Bei den Präsidentschaftswahlen am 17. April auf Nordzypern ist der bisherige Ministerpräsident und Annan Plan-Befürworter, Mehmet Ali Talat, nun auch zum Präsidenten der international nicht anerkannten Türkischen Republik Nordzypern (TRNZ) gewählt worden. Mit eindrucksvollen 55,6% der Stimmen ließ Talat bereits im ersten Wahldurchgang seinen rechtskonservativen Hauptrivalen Dervis Eroglu, der gegen den Annan Plan eintritt und nur 22,73% der Stimmen erhielt, weit hinter sich.[1] Der amtierende Präsident Rauf Raif Denktas trat zu den Präsidentschaftswahlen nicht mehr an, zumal er seine dominante Position über die letzten drei Jahre sowohl im Inselnorden einbüßte als auch die Unterstützung für seine Politik durch die türkische Regierung verlor. Die Regierung Erdogan/Gül unterstützt offen Mehmet Ali Talat und die Lösung des Zypernkonfliktes. Mit der Ablösung von Denktas, der ein hartnäckiger Gegner des Annan Plan ist und für die Unabhängigkeit Nordzyperns oder bestenfalls einer losen Konföderation mit dem Inselsüden eintritt, durch Talat hat sich die politische Wende auf Nordzypern vollendet. Denktas bestimmte die Politik des von der Türkei protegierten Nordzypern seit der Teilung der Insel 1974; und seit der unilateralen Proklamation 1983 zur international nicht anerkannten Türkischen Republik Nordzypern (TRNZ) füllte er das Präsidentenamt.
Mit der Präsidentschaftswahl bestätigte sich erneut die politische Wende auf Nordzypern, welche sich bereits im Juni 2002 mit dem Sieg von Talats Türkisch Republikanischer Partei (CTP) bei den Kommunalwahlen ankündigte.
Mit dem Ringen um eine politische Lösung des Zypernkonfliktes auf Basis des Annan Plan polarisierte sich die politische Landschaft Nordzyperns in Befürworter und Gegner einer künftigen bizonalen und bikommunalen Föderation und dem Beitritt zur Europäischen Union. Der zunehmende gesellschaftliche Druck für eine Lösung des Konfliktes veranlasste Denktas am 23. April 2003 schließlich zur Grenzöffnung für gegenseitige Besuche im Norden und Süden der Insel - dem seit der Teilung der Insel 1974 wohl bedeutendsten Schritt in Richtung künftiger Konfliktlösung.
Bei den Parlamentswahlen am 14. Dezember 2003, die auch als 'Schicksalswahlen' bezeichnet wurden, konnte zwar das Parteienbündnis der Lösungsbefürworter nicht die absolute Mehrheit der Parlamentssitze erringen, aber die Lösungsgegner erlitten schwere Stimmenverluste, so dass von einem Sieg der Lösungsbefürworter gesprochen werden kann.[2] Die Pattsituation im Parlament führte zu einer Koalition zwischen der CTP[3] und der Demokratischen Partei (DP) von Serdar Denktas, dem Sohn des Präsidenten Rauf Raif Denktas. Talat wurde Ministerpräsident und Serdar Denktas Außenminister.
Die Verhandlungen über den Annan Plan wurden fortan nicht mehr alleine durch den Präsidenten Rauf Raif Denktas geführt. Vielmehr traten nun Talat und Serdar Denktas zusammen mit R. Denktas als Triumvirat bei den Verhandlungen auf. Rauf Denktas verlor damit seine bisher unangefochtene Position als Volksgruppenführer. Zudem unterstützte die türkische AKP-Regierung nunmehr eine Lösung des Konfliktes nach dem Annan Plan.
Das deutlichste Votum für eine Lösung des Konfliktes und für einen gleichzeitigen EU-Beitritt auch des Inselnordens stellten die am 24. April 2004 im Norden und Süden Zyperns getrennt und simultan durchgeführten Referenda dar. Mit deutlichen 65% der Stimmen votierten die Nordzyprer für die Annahme des Annan Plan. Mit diesem Votum zeigte sich, dass sich inzwischen die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung Nordzyperns für eine Lösung des Konfliktes und für einen Beitritt zur EU aussprachen. Die Bildung einer bizonalen und bikommunalen Föderation und der EU-Beitritt der gesamten Insel scheiterte nun an der zyperngriechischen Bevölkerung, die sich mit überwältigenden 75,8% gegen den Annan Plan aussprach. Damit folgte die zyperngriechische Bevölkerung dem Appell ihres Präsidenten Tassos Papadopoulos, der sich vehement gegen den Annan Plan aussprach.
Der alleinige EU-Beitritt der zyperngriechischen Republik Zypern am 1. Mai 2004 und die anschließende Blockadepolitik durch die Republik Zypern führte zum Zusammenbruch der CTP/DP-Koalition im Oktober 2004 und zu Neuwahlen des Parlaments am 20. Februar 2005. Bei der Neuwahl des Parlamentes zeigte sich zum dritten Mal - nach den Wahlen vom 14.12.2003 und dem UN-Referendum vom 24. April 2004 - , die breite Unterstützung für die Politik von Talat. Zwar erreichte die CTP/BG auch bei diesen Wahlen nicht die absolute Mehrheit, gewann jedoch 6 Sitze hinzu und kam nun auf 24 der insgesamt 50 Sitze im Parlament.[4] Die Koalition zwischen CTP und der DP, die 6 Sitze erhielt, wurde neu aufgelegt, nun jedoch als Übergangsregierung bis zu den Präsidentschaftswahlen.
Nachdem Mehmet Ali Talat erwartungsgemäß zum Präsidenten gewählt wurde, übernimmt er am 24. April offiziell das Präsidentenamt. Anfang der Woche wird der neue Präsident den Vizeparteivorsitzenden der CTP/BG, Ferdi Sabit Soyer, mit der Bildung einer neuen Regierung beauftragen. Wie nach den Parlamentswahlen am 20. Februar vereinbart, wird es eine Fortsetzung der CTP/BG-DP-Koalition geben.[5]
Innenpolitisch haben sich durch das Ergebnis der Parlamentswahlen vom 20. Februar und den Präsidentschaftswahlen vom 17. April die Befürworter des Annan Plan weiter durchgesetzt und institutionell weiter verankert. Damit wächst der Druck auf den zyperngriechischen Präsidenten Papadopoulos, ernsthafte Verhandlungen wieder aufzunehmen. Die Wiederaufnahme von Verhandlungen wird seit den gescheiterten Referenda sowohl von Erdogan als auch von Talat gefordert und von Papadopoulos faktisch verweigert.
Spätestens seit den letzten gescheiterten Verhandlungen und den anschließenden UN-Referenda ist eines klar: die Lösung des Zypernkonfliktes hängt maßgeblich von der Haltung der Zyperngriechen ab.
Die Wahl Talats zum Präsidenten Nordzyperns weckt erneut die Hoffnung auf eine baldige Lösung des Konfliktes, möglichst noch vor dem 03. Oktober. An diesem Tag entscheidet die EU, ob Beitrittsverhandlungen mit der Türkei aufgenommen werden. Es ist jedoch äußerst fraglich, ob sich die Hoffnungen auf eine politische Lösung des Zypernkonfliktes bis dahin erfüllen werden. Zweifel sind angebracht, ob es während der Amtszeit des zyperngriechischen Präsidenten Tassos Papadopoulos überhaupt zu einer Einigung auf Basis des Annan Plan kommen kann. Seine bisherige Haltung während der Verhandlungen seit seiner Wahl zum Präsidenten am 16. Februar 2003 und im Vorfeld des UN-Referendums belegen, dass er an einer bizonalen und bikommunalen Föderation auf Basis des Annan Plan offenbar nicht interessiert ist - trotz gelegentlich anderslautender Lippenbekenntnisse. Darüber hinaus betreibt Papadopoulos seit dem EU-Beitritt der zyperngriechischen Republik Zypern am 01. Mai 2004 eine Blockadepolitik hinsichtlich der von den übrigen EU-Staaten gewünschten und von UN-Generalsekretär Kofi Annan[6] empfohlenen Lockerung der wirtschaftlichen Isolation des Nordens. Ferner hat die zyperngriechische Seite, trotz Aufforderung durch den UN-Generalsekretär Annan als auch von Talat bis heute keine Liste mit den zyperngriechischen Lösungsvorstellungen bzw. Änderungswünschen am Annan Plan vorgelegt. Kofi Annan hat bereits deutlich gemacht, dass erneute Verhandlungen erst dann stattfinden können, wenn die zyperngriechische Seite ihre Vorstellungen zur Lösung des Konfliktes darlegt, was sie bis heute offensichtlich verweigert. Insofern sind gelegentliche Beteuerungen der zyperngriechischen Seite, für die Wiederaufnahme von Verhandlungen auf Basis des Annan Plan bereit zu sein, bestenfalls Lippenbekenntnisse.
All dies legt einerseits nahe, dass Papadopoulos auf Zeit spielt, um ‚bessere Konditionen' verhandeln zu können und vielleicht sogar ein Veto gegen die Eröffnung von EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei einzulegen, falls die Türkei die zyperngriechische Republik Zypern nicht (voll) anerkennt.[7] Andererseits bestärkt diese Haltung den Verdacht, dass Papadopoulos weiterhin davon ausgeht, dass die internationale Rechtsposition des Alleinvertretungsanspruchs mit der Zeit dazu führen wird, dass sich die Zyperngriechen mit ihren Maximalpositionen durchsetzen können.
Es wird sich zeigen, ob die EU genug diplomatischen Druck auf die zyperngriechische Republik Zypern ausüben kann und wird, um nicht nur ein mögliches Veto für die avisierten Beitrittsverhandlungen mit der Türkei zu verhindern, sondern auch, um Papadopoulos von seiner intransigenten Haltung abzubringen. Zu konstatieren ist, dass es der EU seit dem Beitritt der Republik Zypern am 01. Mai 2004 nicht gelungen ist, Papadopoulos von seiner Blockadepolitik abzubringen. Maßnahmen der EU zur Milderung der wirtschaftlichen Isolation des Nordens wurden bislang erfolgreich von der Republik Zypern verhindert.
Neben dem diplomatischen Druck durch die EU ist auch die Haltung der zyperngriechischen Zivilgesellschaft entscheidend. Aber bislang hat sich gegen die Politik von Papadopoulos noch keine ausreichende Oppositionsbewegung gebildet, welche innenpolitisch genügend Druck erzeugen könnte, um Papadopoulos zum Einlenken zu bewegen.
Vor diesem Hintergrund muss deutlicher als bisher die Frage gestellt werden, ob die zyperngriechische Seite, insbesondere unter der Führung von Papadopoulos, tatsächlich bereit ist, eine bizonale und bikommunale Föderation zu akzeptieren. Genauer: akzeptiert die zyperngriechische Seite die Zyperntürken tatsächlich als politisch gleichberechtigt, d.h. eben auch als gleichberechtigtes politisches Kollektiv? Wenn ja, gibt es kaum eine vernünftige Erklärung dafür, warum die zyperngriechische Seite bisher ihre Lösungsvorstellungen nicht offen gelegt hat.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der Instanbul Post vom 25. April 2005.
[1] Siehe für das Wahlergebnis vom 18.04.2005.
[2] Bei den vorherigen Parlamentswahlen 1998 erhielten die konservativen Parteien UBP (Nationale Einheitzspartei) und DP zusammen 62,9% der Stimmen.
[3] Seit Sommer 2002 auch CTP/BG (CTP/Vereinigte Front), ein Zusammenschluss mit anderen Oppositionsparteien. Der Zusammenschluss wurde gebildet, um bei den Wahlen am 14. Dezember 2003 gemeinsam die Status Quo Parteien abzulösen. Allerdings trat dennoch jede Partei für sich selbst an.
[4] Siehe Wahlergebnis vom 20. Februar 2005.
[5] Vgl. hierfür Kibrisgazetesi. vom 23.04.2005.
[6] Siehe hierfür United Nations: Security Council - Report of the Secretary General on his mission of good offices in Cyprus, 28.05.2004, S. 1-27.
[7] Die Türkei hat sich zwar mit der EU auf einen Text des sog. Ankara-Protokolls geeinigt, wodurch die Zollunion auch auf die Republik Zypern ausgeweitet werden wird, aber gleichzeitig deutlich gemacht, dass dies aus Sicht der Türkei keine Anerkennung der Republik Zypern bedeutet. Das Dilemma besteht darin, dass mit der Anerkennung der Republik Zypern auch ihr Alleinvertretungsanspruch anerkannt werden würde. Eine Nichtanerkennung wiederum würde bedeuten, dass die Türkei eines der Mitglieder derjenigen Organisation nicht anerkennt, zu der es beitreten will.
https://sopos.org/aufsaetze/426ffba705ca4/1.phtml
sopos 4/2005