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Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement weiß und verkündet, daß dies »eine Zumutung, eine Beleidigung der historischen Montagsdemonstrationen« sei. »Wir sind das Volk« ist eine Parole, die im Kampf gegen eine kommunistische Diktatur erlaubt, ja geboten ist. In einer Demokratie aber ist der gewählte Kanzler das Volk, Gerhard Schröder die Verkörperung des Volkskörpers. Das, was nunmehr auf Leipzigs Straßen als Volk auftritt, kann froh sein, wenn es nicht aufgelöst wird von der Polizei. Die Bundesregierung will jetzt in ihrer unendlichen Langmut und Güte eine »Informationsmaßnahme« treffen und das Volk aufklären, wozu die notwendige Bestrafung der Arbeitslosen durch Hartz IV gut ist. Mit einer groß angelegten Plakataktion für die Agenda 2010 leistet unsere Regierung – und da ist ihr kein Euro zu viel – Überzeugungsarbeit. Das ganze Volk steht hinter Schröders Agenda. Der Mann an der Werkbank ist froh: »Exportweltmeister Deutschland: Der Konjunkturmotor springt an.« Auf dem nächsten Regierungsplakat träumt sich lachend ein kleiner Junge auf der Schulbank in die Zukunft: Der immer wieder anspringende Konjunkturmotor wird ihm die Lehrstelle bringen, fest versprochen. Und dann das Plakat, auf dem der Enkel den Arm um den Großvater legt: Amüsiert erinnern sich beide an die Zeiten, als der Clown noch sein »Die Rente ist sicher« eigenhändig an die Litfaßsäule klebte. Heute heißt es – Feststellung oder Befehl? –: »Zukunft nachhaltig sichern – Generation für Generation«. Damit der Arbeitslose erst brav seine Lebensversicherung auflöst, bevor er sein Hartz-IV-Almosen bekommt. Auf jedem Plakat als Motto die Frage: »Warum machen wir die Agenda 2010?« Die Antwort ist kurz und eindeutig: »Darum!«. Die Plakatkunst der Basta-Regierung steht außer Zweifel. Warum da immer noch Leute demonstrieren wollen, bleibt ihr ein Rätsel. Der Teufel? Aber ja. Letzte Woche, nach den Schönheitskorrekturen an Hartz IV, entdeckte das SPD-Vorstandsmitglied Ursula Engelen-Kefer, das im DGB als stellvertretende Vorsitzende agiert, »rechte und linke Rattenfänger«, die sich da – auf die Montagsdemonstrationen – draufsetzen. »Dem wollen wir in keinem Fall einen Vorschub leisten.« Ein gutes Wort in ihres Vorsitzenden Ohr. Michael Sommer, den DGB-Chef, überwältigte die Sorge vor den »politischen Rattenfängern«. Weil zum Beispiel in einigen Städten »rechtsradikale Parteien zu den Veranstaltungen aufrufen« oder auch weil »einige Parteien in Sachsen und Brandenburg die Angst der Menschen für parteipolitische Ziele im Wahlkampf zu nutzen versuchen«, müßten »die gewählten Verantwortlichen des DGB in Regionen und Bezirken selbst entscheiden, ob sie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zur Teilnahme an den berechtigten Protesten aufrufen« – oder ob sie das Protestieren den anderen überlassen. Sommer versprach, die DGB-Führung werde nicht mehr zu Demonstrationen aufrufen. Kleine Frage: Wo Rattenfänger sind, da muß es doch auch Ratten geben. Handelt es sich bei den Leuten, die da immer wieder montags demonstrieren, um Ungeziefer? Wer wie sie den Begriff Montagsdemonstration gegen unsere Agenda-2010-Ordnung mißbraucht, darf sich über diese Frage nun auch nicht mehr wundern. Aber nicht jeder Vergleich zwischen kommunistischer Diktatur und freiheitlichdemokratischer Ordnung ist unzulässig, und nicht jede Reform sichert Wohlstand und Zukunft. Das lehrt der bekannte Büchnerpreisträger Kunze. Er brach in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung in die herzzerreißende Klage aus: »Armes Deutschland«. Gemeint ist nicht Hartz IV, das uns mehr Armut beschert Er habe schon einmal gegen eine Mauer gekämpft, sagt der leidenschaftliche Antikommunist Kunze, die sei gefallen. Nun kämpft Kunze wieder – gegen die Rechtschreibreform: »Seit acht Jahren kämpfe ich wieder gegen eine Mauer, die diesmal nicht durch mein Land, sondern durch meine Sprache verläuft.« Wir dürfen mit ihm hoffen, daß eines Tages auch diese Mauer fällt und die Todesschüsse an der Sprachmauer vor Gericht gesühnt werden. Und wir lernen begierig, daß wir – das ist keine Beleidigung – die Mauer immer eine Mauer nennen dürfen, egal, ob an ihr Menschen oder Dichterherzen verbluten. Nur eines dürfen wir nicht: eine Montagsdemo Montagsdemo nennen, wenn heute in Leipzig und anderswo Menschen gegen die Regierung demonstrieren.
Kontext:
Erschienen in Ossietzky 17/2004 |
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