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Zur Begründung verwies er auf die »Globalisierung«, deren Herausforderungen wir wohl noch nicht richtig wahrgenommen hätten. Wir klammerten uns »zu sehr fest an dem, was wir haben«. Besonders der »Sozialstaat heutiger Prägung« habe sich »übernommen«. Doch in letzter Zeit, sagte Köhler, sei er guter Hoffnung. Die Einigung im Bundesrat über das Hartz-IV-Gesetz, also über die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe (auf dem Niveau der Sozialhilfe mit der Konsequenz der Verarmung einiger Millionen Arbeitsloser und ihrer Familien; O.M.), zeige, daß Regierung und Opposition handlungsfähig seien und »Deutschland in die Wege kommt«. Die Agenda 2010 weise in die richtige Richtung, die stetig und konsequent eingehalten werden müsse. Köhler behauptete: Zwar habe Deutschland von der »Globalisierung« in den letzten 50 Jahren »profitiert wie kaum ein anders Land der Welt«; wahr sei aber auch, »daß uns immer mehr Länder überholen«. Und allen Ernstes sagte er, wir müßten uns an China oder Malaysia messen lassen. Der geradezu mythisch aufgeladene Begriff »Globalisierung«, den Politiker seit Jahren in keiner Rede fehlen lassen, wenn sie ihre sozialen Grausamkeiten an Arbeitslosen, Rentnern oder Kranken zu rechtfertigen versuchen, wird hier aus der Sicht des Weltökonomen Köhler zugespitzt: die Arbeitsmarktbedingungen der Dritten Welt als Vorbild und Ansporn! So hilft der Bundespräsident dabei, Angst und Schrecken zu verbreiten. Kein Wunder, daß Gewerkschaften und Betriebsräte vor der legendenhaft aufbereiteten »Globalisierung« in die Knie gehen und Konzernherren die Belegschaften mit angedrohten Betriebsverlagerungen ins angeblich billigere Ausland erpressen können. International agierende Großkonzerne wie Siemens oder DaimlerChrysler, die ihre Gewinne im ersten halben Jahr 2004 wieder einmal um 25 Prozent gegenüber dem Vorjahr steigern konnten, pressen der einst mächtigen IG Metall Arbeitszeitverlängerungen ohne Lohnausgleich ab und setzen direkte Lohnsenkungen durch. Aber drohen denn wirklich Gefahren für den »Wirtschaftsstandort« Deutschland? Hat die Konkurrenz auf dem Weltmarkt tatsächlich eine derartig neue Qualität erreicht, daß die deutschen Arbeitskosten – einschließlich der Steuern und Sozialabgaben – jetzt direkt mit den Niedriglöhnen in Drittweltländern konkurrieren müßten? In Wirklichkeit ist der grenzüberschreitende Warenhandel mit den meisten Ländern der Dritten Welt rückläufig, nur zwischen den Industrieländern selbst nimmt er zu, über die Hälfte wird zwischen den Tochterfirmen großer Konzerne gehandelt. Auch die grenzüberschreitenden Investitionen werden zu 90 Prozent in Industrieländern getätigt, weil sich die Unternehmen dort Marktanteile sichern wollen. Die deutschen Konzerne exportieren zu mehr als 70 Prozent in den EU-Raum, zehn Prozent in die USA. Konkurrenten der deutschen Exportindustrie – die im übrigen nur ein knappes Drittel der hiesigen Volkswirtschaft ausmacht – sind ganz überwiegend Firmen in der EU, den USA und Japan. Alle seriösen Untersuchungen, die die Bedingungen in diesen großen Industrieländern vergleichen, ergeben, daß Waren aus Deutschland die geringsten Lohn- und Sozialkosten sowie Steuerbelastungen aufweisen. Die neuen EU-Länder im Osten sind keineswegs eine neu aufgetauchte Billigkonkurrenz, die millionenfach die hiesigen Arbeitsplätze bedroht. Deutsche und österreichische Konzerne haben bisher schon wesentliche Teile der dortigen Industrien übernommen, Banken aufgekauft, die Medien usurpiert – hauptsächlich um die Absatzmärkte für die eigenen Waren zu vergrößern. Selbstverständlich wird in Polen oder Ungarn auch vor Ort produziert, soweit es sich rechnet. Das Ergebnis von Produktionsverlagerungen in diese Länder war bisher immer ein positiver Handelssaldo: Aus Deutschland werden mehr hochwertige Waren und Vorprodukte ausgeführt, als Billigwaren oder Zwischenprodukte von dort zu uns gelangen. Gleichwohl ist die Drohung der Einzelunternehmer nicht immer nur Bluff. Sie kann aber nur deshalb Wirkung zeigen, weil die hiesige Wirtschaftspolitik den Binnenmarkt stranguliert und weiter Arbeitsplatzabbau und Sozialraub betreibt. Mit China, Indien oder Malaysia zu drohen, ist ein Witz: Deutschland liefert auch in diese Länder mehr Waren, als es von dort bezieht – obwohl dort doch so fleißig und billig gearbeitet wird. Würden niedrige Löhne Arbeitsplätze bringen – wie die herrschende ökonomische Lehre behauptet –, dann müßte in jedem Drittweltland nicht nur Vollbeschäftigung, sondern Mangel an Arbeitskräften herrschen! In Wahrheit ist die deutsche Industrie der größte Globalisierungsgewinner. 2003 wurden für 130 Milliarden Euro mehr Waren aus- als eingeführt. Das war der größte Exportüberschuß weltweit. In den letzten sechs Jahren hat er sich mehr als verdreifacht. Für 2004 rechnet die Deutsche Bundesbank mit einem neuen Überschußrekord, allenthalben heißt es, daß der »Exportmotor« summt und brummt – leider wartet man nun schon drei Jahre auf das Anspringen der Binnenkonjunktur. Übrigens gilt die positive Handelsbilanz auch noch im Verhältnis zu Polen, Tschechien oder Ungarn. Derart hohe Exportüberschüsse sind der Beweis dafür, daß deutsche Waren nicht mit zu hohen Löhnen, sondern eher mit zu niedrigen hergestellt worden sind. Weil hierzulande Lohn-, Steuer- und Abgaben-Dumping betrieben wird, schlagen die deutschen Großkonzerne ihre Konkurrenten in der EU und weltweit aus dem Feld. Die einseitige Konzentration der staatlichen Wirtschaftspolitik auf die Exportwirtschaft, die Bevorzugung der multinational agierenden Konzerne sowie der Großbanken stranguliert inzwischen die Volkswirtschaft. Im Inneren fehlt es sowohl an öffentlichen Aufträgen wie auch an privater Nachfrage, denn infolge der gesunkenen Reallöhne, Renten und Arbeitslosenunterstützungen ist die Kaufkraft immer schwächer geworden. Die deutschen Multis und Großbanken nutzen ihren Handelsüberschuß für den Aufkauf ausländischer Firmen, aber nicht zur Belebung von Handel und Wandel im Inland. Mit Lohnverzicht und Kürzung der Ansprüche auf Sozialleistungen bezahlen die deutschen Arbeiter letztlich sogar den »Export« ihrer eigenen Arbeitsplätze. Höhere Kapitalsteuern und Sozialbeiträge der Reichen könnten erste Schritte sein für eine dringend benötigte Trendumkehr. Otto Meyer (Münster) wird im September gemeinsam mit Arno Klönne und Daniel Kreutz bei PapyRossa das Buch »Es geht anders! Alternativen für eine bessere Politik« herausbringen (180 Seiten, 13.50 Euro).
Erschienen in Ossietzky 16/2004 |
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