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Man feiert das Grundgesetz gern als die freiheitlichste Verfassung, die es je auf deutschem Boden gab. Solches Lob sollte jedoch nicht von der Tatsache ablenken, daß es schon dermaßen ausgehöhlt ist, daß man von einer funktionierenden parlamentarischen Demokratie (»Alle Staatsgewalt geht vom Volk aus«) kaum mehr reden kann. In den »Wirtschaftswunder«-Jahren des Kanzlers Ludwig Erhard sprach man viel vom »Primat der Wirtschaft« und meinte damit, daß im gesellschaftlichen Leben »die Wirtschaft« das Sagen haben müsse – wobei allmählich in Vergessenheit geriet, daß sie dem Wohl der Menschen zu dienen habe und nicht umgekehrt daß der Mensch ihr unterzuordnen sei. Die bittere Wirklichkeit sieht heute so aus, daß der »Primat der Wirtschaft« durch das Diktat der Wirtschaft ersetzt worden ist – präzise ausgedrückt: Die Wirtschaft entwickelt sich im wesentlichen unabhängig von Gesetzgebung und parlamentarischer Kontrolle. Die Volksvertretung wirkt allenfalls indirekt durch Steuergesetzgebung oder Subventionen ein. Das Kartellamt ist der Bundesregierung untergeordnet (also nicht unabhängig), so daß gigantische Fusionen und Konzern-Zusammenschlüsse nicht nur ländergrenzenüberschreitend, sondern über Kontinente hinweg durchgeführt werden können und der schlichte Bürger, der gelegentlich von »feindlichen Übernahmen«, unglaublichen Gewinnen in Management-Etagen, begleitet von steuerlicher Zwielichtigkeit oder Illegalität liest, das wahre Ausmaß der Transaktionen nur erahnen kann. Im Zuge dieser Entwicklung erscheint es nicht als Zufall, daß nach bisher acht Bundespräsidenten jetzt als neunter ein »Mann der Wirtschaft«, hervorgezaubert aus im Dunkel wirkenden Zirkeln, das höchste Amt im Staate angetreten hat – ein Banker, der im globalisierten Finanzkapitalismus großgeworden ist. Sicherlich, hierzulande verfügt das Staatsoberhaupt – glücklicherweise – nicht über die Machtfülle eines US-Präsidenten; sein Amt ist mehr auf repräsentative Aufgaben zugeschnitten als auf Einflußnahme in wirtschaftspolitischen Entscheidungen. Gleichwohl hat die Köhler-Kür Symbolcharakter. Sie wirkt als Sinnbild für die sich weiter verstärkende Position des Geldgewerbes im Sozialgefüge unserer Gesellschaft bei gleichzeitiger Mißachtung des Sozialstaatsgebots in Art. 20 des Grundgesetzes: Die sozial Schwächeren bekommen derweil weiteren Sozialabbau zu spüren, erhebliche Einbußen durch höhere Gebühren/Abgaben – namentlich auf dem Gesundheitssektor – und müssen befürchten, daß sie noch weiter zur Kasse gebeten werden. Als Indiz für die Geistesverfassung des neuen Staatsoberhaupts darf die Sympathie nicht außer acht bleiben, die er der Organisation »Zentrum gegen Vertreibungen« des Bundes der Vertriebenen entgegenbringt, der unter dem Druck des supranationalistischen »Witiko-Bundes die These vom »Völkermord-Charakter« der tschechischen Vertreibung verbreiten möchte. Eine der schmerzlichsten Erfahrungen eines Langlebigen ist es, daß die Menschen aus der Vergangenheit keine Erkenntnisse ableiten und aus den Abläufen keine Lehren ziehen wollen oder können. Klar erwiesene Unwahrheiten können sich lange halten. Aber Täuschung muß mit Enttäuschung enden: Das Wählervolk wurde jahrelang zum Beispiel mit der Floskel von den »Selbstheilungskräften des freien Marktes« gefüttert; doch diese These ist inzwischen schon seit Jahren durch die Massenarbeitslosigkeit gründlich widerlegt. Weiterhin zeigt aber die Politik eine Tendenz, den Kündigungsschutz abzubauen, flächendeckende Tarifverträge zu behindern oder Sonderleistungen über die Vertragslage hinaus einzustellen. Im Rahmen einer ungebremst freien Marktwirtschaft mit Rationalisierung, laufenden Fusionen und Ausnutzung der Billiglohnländer im Bereich der EU-Erweiterung und Globalisierung ist keine Schaffung neuer Arbeitsplätze zu gewärtigen, sondern Vernichtung bestehender Arbeitplätze, Massenentlassungen, auch wenn die Gewinne bei Konjunkturbelebung ansteigen... Wie kann man dem Sozialabbau entgegenwirken? Bei Umfragen äußert ein wachsender Teil der Befragten, er traue der jetzigen Regierung nicht zu, der Schwierigkeiten Herr zu werden. Die Ungewißheit über die Zukunft läßt Schlimmes befürchten: Wird im nächsten Bundestag die Linke marginalisiert sein? Werden die wenigen Liberalen in der FDP und bei den Grünen willens und bereit sein, die Entwicklung zu bremsen? Und was kommt dann? Mehrheitswahlrecht, Zweiparteiensystem nach US-Vorbild? Die Alarmzeichen deuten auf einschneidende Änderungen im Parteienwesen hin. Aber welche politischen Kräfte sind sichtbar, die verhindern könnten, daß die totale Kommerzialisierung am Ende steht und Deutschland auf das Prädikat »Kulturstaat« verzichten muß? Kontext:
Erschienen in Ossietzky 14/2004 |
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