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Michael Schiffmann hat Chomsky-Bücher ins Deutsche übersetzt und soeben im Freiburger Verlag Orange Press eine Chomsky-Biografie vorgelegt: »absolute Noam Chomsky«. »Die Intellektuellen haben die Verantwortung, die Wahrheit zu sagen und Lügen aufzudecken.« Dieser berühmt gewordene Satz aus dem im Februar 1967 in der New York Review of Books erschienenen Artikel »Die Verantwortlichkeit der Intellektuellen« stammt von einem Mann, der damals selbst schon ein weltbekannter Intellektueller war: dem Sprachwissenschaftler Noam Chomsky. In dem Jahrzehnt zuvor hatte Chomsky mit seiner sogenannten generativen Transformationsgrammatik die Linguistik revolutioniert und die Erforschung des menschlichen Sprachvermögens zu einem festen Bestandteil der modernen Kognitionswissenschaft gemacht. In diesem Rahmen hatte er sich mit dem befaßt, was er später »Platos Problem« nannte: Wie kommt es, daß sich die Menschen trotz kurzer Lebensspanne und höchst unterschiedlicher Erfahrungen so komplexe Wissenssysteme, wie es menschliche Sprachen sind, aneignen können? Aufgrund der verstörenden Erfahrung des US-amerikanischen Krieges in Vietnam und der quälend langsamen Entwicklung öffentlicher Reaktionen und Proteste dagegen wandte sich Chomsky Mitte der sechziger Jahre einer genau entgegengesetzten Frage zu: Wie kommt es, daß wir gerade im sozialen und politischen Bereich so erschütternd wenig wissen, obwohl doch in demokratischen Gesellschaften Informationen wie zum Beispiel über die Greuel der US-Armee in Indochina frei verfügbar sind? Und was kann man gegen diese paradoxe Unwissenheit tun? Chomsky spricht hier von »Orwells Problem«, anspielend auf den aus George Orwells Roman »1984« stammenden staatskonformen Slogan »Nichtwissen ist Macht«. Die Äußerung über die Verantwortung der Intellektuellen markierte den Beginn einer zweiten, außerhalb des Bereichs der Wissenschaften liegenden Karriere Chomskys als unermüdlicher Kritiker der Politik des US-amerikanischen Staates und als politischer Aktivist. Seither hat er in Dutzenden von Büchern, Hunderten von Artikeln und Essays und Tausenden von Reden, Vorträgen und Diskussionsbeiträgen immer wieder demonstriert, was er unter Verantwortung der Intellektuellen versteht. Er beteiligte sich als einer der ersten prominenten US-Amerikaner an der Bewegung gegen den Vietnamkrieg, zu einer Zeit, als die Antikriegsdemonstrationen noch polizeilich vor Gewalttätigkeiten superpatriotischer Lynchmobs geschützt werden mußten. 1968 entging er im Zusammenhang mit dem Verschwörungsprozeß gegen die Organisatoren der Massendemonstration vom Oktober 1967 am Pentagon, wo 13 000 Demonstranten verhaftet worden waren, nur knapp einer langjährigen Gefängnisstrafe. Von 1965 bis 1975 waren die Kriege der USA in Indochina Chomskys Hauptthema; in den achtziger Jahren trug er maßgeblich zur Entstehung der nordamerikanischen Bewegung gegen die Massenschlächtereien der US-gesponserten Terrorregimes in Mittelamerika und gegen den Contra-Terror in Nicaragua bei, und in den neunziger Jahren beschäftigte sich Chomsky als einer der ersten Intellektuellen von Format mit den Themen, die heute als Globalisierungskritik bekannt sind. Daneben sprach und schrieb er immer wieder über die jeweils brennendsten zeitgenössischen Konflikte wie den indonesischen Völkermord in Osttimor, den Krieg und die Sanktionen gegen den Irak, die Zerschlagung der Demokratie in Haiti, den NATO-Überfall auf Jugoslawien und die auf dem ungelösten Palästinaproblem beruhende Dauerkrise im Nahen Osten. Chomskys auch auf Deutsch erschienene Bücher »Amerika und die neuen Mandarine«, »Im Krieg mit Asien«, »Über Erkenntnis und Freiheit«, »Aus Staatsraison, Sprache und Verantwortung«, »Vom politischen Gebrauch der Waffen«, »Die fünfte Freiheit«, »Haben und Nichthaben«, »Sprache und Politik«, »Die politische Ökonomie der Menschenrechte«, »Der neue militärische Humanismus. Lehren aus dem Kosovo«, »Profit Over People« und »Offene Wunde Nahost. Israel, die Palästinenser und die US-Politik« sind einige Zeugnisse permanent wahrgenommener Verantwortung, die Chomsky von den Intellektuellen nicht nur eingefordert, sondern selbst praktiziert hat. Angesichts seiner umfangreichen intellektuellen Produktion könnte man denken, er sähe in den Intellektuellen die eigentliche vorwärtstreibende Kraft der Geschichte und traute ihnen zu, Orwells Problem einfach dadurch zu lösen, daß sie die von ihm postulierte Verantwortung wahrnehmen, »die Wahrheit zu sagen und Lügen aufzudecken«. Doch im Gegenteil: Scharfe und ätzende Kritik am Verhalten von Intellektuellen, ob in den Sozialwissenschaften, in den Medien oder direkt als »Kopflanger« der Großkonzerne, zieht sich wie ein roter Faden durch Chomskys Werk, mit dem er den Kern der Innen- und Außenpolitik der herrschenden kapitalistischen Elite der USA aufdeckt. So ist es kein Zufall, daß er in einem seiner wichtigsten Vorträge in den siebziger Jahren die Worte des linken schwedischen Schriftstellers Jan Myrdal über die Intellektuellen zitiert: »Wir sind nicht die Träger des Bewußtseins, wir sind die Huren des Verstands«; an anderer Stelle sagt er: »Intellektuelle können wirklich wunderbar lügen – sie sind geradezu Profis auf diesem Gebiet.« Der Grund für dieses von ihm diagnostizierte Verhalten der Intellektuellen sieht er darin, daß die Intellektuellen selbst eine Elite darstellen und durch tausend Fäden mit der jeweils herrschenden Elite der Gesellschaft verknüpft sind. Oder wie Myrdal sagt: »Wir leben unter den Reichen. Wir leben von der Beute und verkuppeln den Reichen Ideen.« Die treibende Kraft im Kampf gegen die heute weltumspannend gewordene Ausbeutungs- und Unterdrückungspolitik der herrschenden Eliten verortet Chomsky an ganz anderer Stelle: bei den sogenannten »einfachen Leuten«, die Opfer dieser Politik sind und im Gegensatz zu den meisten Intellektuellen kein Interesse daran haben, sie schönzufärben und so zur Vertiefung von Orwells Problem beizutragen. Dementsprechend hat er immer wieder darauf hingewiesen, wie manche historische Fortschritte in Richtung auf mehr Freiheit und Gerechtigkeit ganz ohne Führer aus den Reihen der Intellektuellen zustande gekommen sind, Fortschritte, die seiner Ansicht nach auch in Zukunft möglich sind. Chomsky versucht, seine eigene Tätigkeit in den Dienst solcher Bewegungen zu stellen, und ist seit Jahren in ein breites, dichtes Netzwerk von Aktivistinnen und Aktivisten eingewoben, die an noch weiter reichenden Themen arbeiten als er selbst. Die Zeitschrift Z-Magazine und die Verlage South End Press, Common Courage und Seven Stories, denen Chomsky zu größeren Auflagen verhalf, sind Beispiele dafür. Dabei bewertet er seine eigene Rolle als prominenter »öffentlicher Intellektueller« folgendermaßen: »Ich finde, ich bin derjenige, der sich auf die anderen Leute stützt. Wenn ich, sagen wir einmal, nach Chicago gehe, um einen Vortrag zu halten, tue ich ja nicht mehr, als hinzugehen. Die ganze Arbeit ist dann von den Organisatoren schon gemacht worden… Ich beute die Arbeit anderer Leute aus. Das heißt, eigentlich ist es gegenseitige Ausbeutung...« Das mag ein wenig kokett klingen, ist aber durchaus ernst gemeint. Seit Jahrzehnten arbeitet Chomsky, der im letzten Dezember 75 Jahre alt geworden ist, beharrlich daran, Intellektuelle und die Massenbewegungen für Freiheit und Gerechtigkeit zusammenzubringen. Engagiert, risikobereit, mutig, leidenschaftlich, konsequent.
Erschienen in Ossietzky 10/2004 |
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