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HARTZ III und der Umbau der Arbeitsämter

Tatsachen und Legenden

von Jürgen Karasch

HARTZ führt bestenfalls zu einer besseren Verwaltung der Arbeitslosigkeit.

Die Ursache der seit Jahren herrschenden Massenarbeitslosigkeit ist der Mangel an Arbeitsplätzen in einer Größenordnung von sechs bis sieben Millionen - eine einfache Tatsache, die weder Politiker noch Berater (und das für 40 Millionen € im Jahr!) wahrhaben wollen. Hartz III und der damit intendierte Umbau der Bundesanstalt für Arbeit (BA) - neuerdings Bundesagentur für Arbeit - beheben diesen Mangel nicht, weil sie keinen einzigen zusätzlichen Arbeitsplatz schaffen. Sie führen bestenfalls - nicht mehr und nicht weniger - zu einer "effektiveren" und "effizienteren" Verwaltung dieses Mangels, das heißt zu einer besseren Verwaltung der Arbeitslosigkeit.[1]

Immerhin sind bereits 2003 insgesamt über 1,3 Millionen Arbeitslose aus der Statistik heraus gefallen, ohne daß sie eine neue Arbeit aufgenommen haben; alleine die Zahlen der verhängten Sperrzeiten haben sich mehr als verdoppelt und der Inanspruchnahme vorruhestandsähnlicher Regelungen um ein Viertel zugenommen, auch die unternehmerischen Kümmerexistenzen der ICH-AG und die trotz Vertrages mit den Personal-Service-Agenturen (PSA) arbeitslos Gebliebenen tauchen in der Statistik nicht mehr auf.

Der erste Streich dieses Umbaus wurde bereits geführt: die Einführung des Virtuellen Arbeitsmarktes (VAM), der die einzelnen Internetauftritte der Bundesanstalt seit 1.12.2003 zusammenfaßt. Seither können Arbeitsuchende und Arbeitgeber selbständig Bewerber- bzw. Stellenprofile erfassen, verwalten und nach geeigneten Stellen bzw. Bewerbern suchen, allerdings - trotz Einstandskosten von fast 100 Millionen € - mit erheblichen Problemen, was Einstieg, Suche und Schnelligkeit angeht. Auch harrt die Vision einer Einbindung aller offenen Stellen weiterhin der Verwirklichung, weil die kommerziellen Jobbörsen und die Zeitungsverlage sich nach wie vor weigern, ihre Daten kostenlos zur Verfügung zu stellen.

Der zweite Streich folgte sogleich zum 1.1.2004: die 7,5 Millionen € teure Umbenennung der Bundesanstalt in "Bundesagentur für Arbeit", der Landesarbeitsämter in "Regionaldirektionen" (RD) und schließlich der guten, alten Arbeitsämter in "Agenturen für Arbeit". Allerdings existiert diese Namensänderung bis heute außer im Bundesgesetzblatt noch nicht einmal auf dem Papier; die Änderungen der Briefköpfe, Stempel, Schilder usw. werden sich vereinzelt sogar noch bis zum Jahresende 2004 hinziehen. Vielleicht hätte man aber auch besser die Arbeitslosen umbenannt, in "Glück(s)lose" zum Beispiel, oder "ICH-Aktionäre"; damit wäre das Problem der Arbeitslosigkeit zumindest definitorisch gelöst.

Der dritte Streich kommt demnächst in diesem absurden Theater: die Einrichtung von ServiceCentern (den Begriff "Callcenter" - denn um solche handelt es sich in der Praxis - hat man wegen damit verbundener möglicher negativer Assoziationen bewusst vermieden), die inzwischen in elf Agenturen für Arbeit (Annaberg-Buchholz, Bremerhaven, Heilbronn, Marburg, Stuttgart, Essen, Schwerin, Eberswalde, Mainz, Neubrandenburg, Halle) ans Netz gegangen sind. Es ist beabsichtigt, im Laufe des Jahres 2004 bundesweit insgesamt 42 ServiceCenter-Verbünde jeweils in der Regel für drei bis fünf Agenturen einzurichten.

Das angestrebte Ziel - bessere telefonische Erreichbarkeit für die Kunden der Agenturen und Entlastung der Fachkräfte der Agenturen in der Beratung, Vermittlung und Sachbearbeitung - kann allerdings auf diesem Weg nicht erreicht werden, weil für die ServiceCenter kein neues Personal eingestellt wird, sondern die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus dem Beritt der normalen Funktionsbereiche der Agentur kommen, wo sie logischerweise vor allem für die Sachbearbeitung fehlen, was zu mehr Bearbeitungsrückständen und längeren Bewilligungszeiten als je zuvor führen wird.

Der vierte Streich soll ebenfalls Verbesserungen im Bereich Beratung und Vermittlung, dem künftigen sogenannten "Kerngeschäft" der BA, bringen: die Unterscheidung der Bewerber und Bewerberinnen nach "Kundengruppen" und die Einrichtung von "Kundenzentren", wobei allein schon die Unterstellung, Arbeitslose seien "Kunden", absurd wirkt, da die Arbeitsverwaltung - ob sie nun Amt oder Agentur heißt - ein Anbietermonopol hat und der Arbeitslose auf seine Nachfrage keinesfalls verzichten kann - es sei denn um den Preis seines physischen Überlebens.

Hinsichtlich ihrer Integrationschancen in den Arbeitsmarkt und demzufolge ihrem Unterstützungsbedarf werden dennoch zukünftig folgende Kundengruppen unterschieden:
1. "Marktkunden" (die mit internetgestützten Informationseinrichtungen alleine zurande kommen);
2. "Beratungskunden" (die aktiviert oder gefördert werden müssen);
3. "Betreuungskunden" (die eines intensiven Fallmanagements bedürfen).

Für jede "Kundengruppe" sollen spezifische "Handlungsprogramme" zur Verfügung stehen, die den jeweils erfolgversprechendsten Weg aus der Arbeitslosigkeit darstellen sollen. Qualitativ unterschieden wird dabei zwischen Fordern und Fördern. Je nach individueller Vermittlungschance geht es um die Abnötigung von "Perspektivenwechseln", um die "Marktfähigkeit" von Arbeitslosen zu erhalten bzw. herzustellen, oder um den "Abbau von Beschäftigungshürden", d.h. Qualifizierung für erweiternde Fähigkeiten zur chancenreicheren Vermittlung.

Im Rahmen der neuen "Kundenzentren" soll eine strikte Steuerung der "Kundenströme" erfolgen. Im neu geschaffenen Empfang der Agentur sollen Anliegen der "Kunden" geklärt und möglichst sofort beantwortet oder an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Eingangszone bzw. an das zuständige ServiceCenter der Agentur weitergeleitet werden.

Ziel: keine Warteschlangen mehr

Kernaufgaben von Kundenzentrum und ServiceCenter sollen die möglichst gute Vorbereitung der Arbeit der Spezialisten in Leistung und Vermittlung (die im übrigen wieder getrennt werden, nachdem sie erst vor kurzem im Rahmen des Reformprozesses "Arbeitsamt 2000" unter großem Aufwand unter den Schlagworten "alles aus einer Hand" und "statt der Kunden sollen die Daten laufen" zusammengelegt worden waren) und die Steuerung der nachgelagerten Prozesse durch strikte Terminierung aller Vermittlungsgespräche und der Antragsannahme in der Leistungsgewährung sein. Die Vermittlung soll gestärkt werden durch Vermittlungsgespräche nur auf Termin und mit garantiertem Zeitbudget, was dazu führen soll, daß die Wartezeit auf fünf Tage reduziert wird; parallel dazu soll die dadurch freigespielte Zeit für eine intensivere Betreuung der Arbeitgeber-Kunden eingesetzt werden.

Das erste Kundenzentrum wurde in der Agentur Heilbronn eingerichtet, und weitere sollen dann ab Frühjahr 2004 schrittweise, nach einer Modellphase in zehn Agenturen, eingeführt werden.

Auch hier ist eine gehörige Portion Skepsis angebracht, ob die angestrebten hehren Ziele auch tatsächlich erreicht werden können. Nicht nur, daß der Umbau unter erheblichem Zeit- und Kostendruck sowie ohne Beteiligung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stattfindet (die Führung der BA zieht vielmehr die Umbauprojekte durch, als ginge es um die Entwicklung neuer Maschinen und nicht um Menschen, sowohl um Arbeitslose, die nur noch als Kennziffern und Kostenstellen wahrgenommen werden, als auch um Mitarbeiter, die häufig überlastet, ausgebrannt und verunsichert sind). Durch alle Umbauten werden aber auch weder die Zahl der Arbeitslosen signifikant sinken - eben weil keine zusätzlichen Arbeitsplätze geschaffen werden - noch die Zahl der Vermittlungsfachkräfte nennenswert steigen, so daß das Betreuungsverhältnis Vermittler zu Arbeitsuchenden unverändert, und das heißt bei 1: 700 bis 1:1000, bleiben wird. Deshalb wird weder für die Vermittlung noch für die Beratung hinreichend Zeit zur Verfügung stehen und sich die Wartezeit für ein Gespräch wohl eher nach Wochen als nach Tagen bemessen (wobei allerdings nicht die Einstellung weiterer Vermittler vorrangig ist, sondern die Schaffung neuer Arbeitsplätze, denn was sollten die wohl sonst vermitteln? Oder sollten sie nur noch mehr Meldekontrollen durchführen und Sperrzeiten produzieren?).

Den Arbeitslosen fehlt es nicht etwa an "Arbeitsanreizen", sondern an Arbeitsplätzen, mit denen sie ihren Lebensunterhalt bestreiten können. Dieser Mangel an Arbeitsplätzen wird aber durch die "Reform" der BA, die im Kern darauf hinausläuft, Arbeitslose stärker unter Druck zu setzen, nicht behoben.


Anmerkung:

[1] Volkswirtschaftlich gesprochen wir dadurch die friktionelle Arbeitslosigkeit verringert, die durch den Wechsel von einem Arbeitsplatz zu einem anderen entsteht. Offene Stellen werden also schneller wieder besetzt. An den strukturellen Ursachen der Arbeitslosigkeit ändert das jedoch nichts.


Jürgen R. Karasch ist Politologe und Verwaltungswirt. Seit 1976 ist er in verschiedenen Funktionen für die Bundesanstalt für Arbeit tätig, zur Zeit Arbeitsvermittler und Arbeitsberater für Angehörige hochqualifizierter Berufe im Hochschulteam Köln.

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https://sopos.org/aufsaetze/401bf983c7fd4/1.phtml

sopos 1/2004