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Die Forderung nach Studiengebühren für Kinder Besserverdienender geht in eine falsche Richtung

Armen und Reichen Studierenden ist es gleichermaßen erlaubt, unter Brücken zu schlafen, sofern sie zu deren Finanzierung beitragen

von Gregor Kritidis (sopos)

Die Forderung umzudrehen und Studiengebühren für die Kinder des "Akademikeradels" zu fordern, beinhaltet erhebliche Risiken und ist nach m.A. in der Zielrichtung auch politisch falsch.

Die Frage der Einführung von Studiengebühren ist seit den Studierendenprotesten 1997/98 das zentrale Kriterium, an dem sich der Fortschritt der "neoliberalen" Gegenreformen an den Hochschulen festmachen läßt. Während der Protestwelle 1997/98 bildeten viele Studierende - so diffus viele Probleme damals auch blieben - in diesem Punkt ein klares Bewußtsein aus: Studiengebühren, in welcher Form und unter welchem Label auch immer, werden die soziale Polarisierung innerhalb und die Ausgrenzung aus der Universität erheblich verschärfen. Die eklatante Unterfinanzierung des öffentlichen Sektors - und damit auch der Unis - wurde zwar thematisiert ("Alle geben uns recht, aber keiner gibt uns Geld" - so ein Transparent von ChemiestudentInnen in Hannover 1997) - die miesen Studienbedingungen und die geplanten Studiengebühren bildeten jedoch den entscheidenden mobilisierenden Punkt. Die 1998 neu gewählte Bundesregierung beendete diesen Konflikt mit dem allgemeinen Verbot von Studiengebühren im Hochschulrahmengesetz und unterband damit größtenteils die Versuche einzelner Länderregierungen, allgemeine Studiengebühren auf eigene Faust einzuführen. Seitdem hat es verschiedene Einbrüche in die 1997/98 errichtete Abwehrfront gegeben: Neben der Einführung von "Einschreibe"-Gebühren sind in verschiedenen Bundesländern Gebühren für "Langzeitstudierende", d.h. für Studierende mit einer Semesterzahl über der - völlig irrealen - Regelstudienzeit, eingeführt worden. Daß viele Studierende tatsächlich Arbeitnehmer sind, die nebenher studieren und daher für ihr Studium eine längere Zeit brauchen, ist ebenso unstrittig wie das Problem aberwitziger Studien- und Prüfungsordnungen, die unter den gegebenen Bedingungen in der Regelstudienzeit kaum zu erfüllen sind.

Die medialen Kampagnen gegen "Bummelstudenten" und "BAföG-Betrüger" zielt vor diesem Hintergrund auf die Studienbedingungen eines sehr konkreten Teils der Studierendenschaft - die "Gewinner" der Bildungsreformen seit Ende der 60er Jahre. Angesichts dieser politischen Stoßrichtung ist es nicht überraschend, daß ausgerechnet die Frage der Studiengebühren zum Symbol für die strukturelle Krise der Hochschulen insgesamt geworden ist: Insbesondere von Seiten der die Traditionen des Bildungsbürgertums repräsentierenden politischen Rechten und der "neoliberalen" Wortführer in den sozialen, politischen und medialen Eliten werden Studiengebühren als zentraler Hebel begriffen, die eigenen Bildungsprivilegien zu behaupten und auszubauen. Hinzu kommt die Absicht, das Input-Output-Verhältnis im Bildungssektor zu verbessern, d.h. die Rationalisierung und Leistungsverdichtung auch in diesem gesellschaftlichen Bereich voranzutreiben. Der große Teil derjenigen Arbeitnehmerkinder insbesondere aus den mittleren Schichten,[1] die seit den Bildungsreformen der 1960er und 70er Jahre an den Unis studieren, sollen entweder ausgegrenzt werden oder mit einem Bachelor abgespeist werden. Bildung in einem umfassenden oder gar gesellschaftskritischen Sinne ist nicht mehr gefragt. Freilich ist dieser Teil der Studierenden, der nach meiner Einschätzung zwischen 40 und 60 Prozent der Studierendenschaft ausmacht, äußerst heterogen und aufgrund unterschiedlicher politisch-kultureller Prägungen keinesfalls gänzlich für eine emanzipative Politik zu gewinnen. Ihnen aber pauschal Karrierismus oder Kundenorientierung zu unterstellen, halte ich für vermessen. Die Studie des zum Bertelsmann-Konzern gehörenden Centrums für Hochschulentwicklung gibt dafür keinen Anhaltspunkt: Wenn 59% der Studierenden sich für die Einführung von Studiengebühren aussprechen, sofern diese den Universitäten zugute kommen, wie es die Studie behauptet, belegt das nach meiner Auffassung allenfalls, wie sehr die Sparideologie noch in den Köpfen verankert ist. Wer glaubt, man könne mit derartigen Studiengebühren die eigene soziale Position bzw. die Möglichkeit, eine gesicherte Position zu erlangen, bewahren, irrt schlicht und ergreifend. Diese Illusion bei vielen KommilitonInnen aufzubrechen und die Dimension der politischen Angriffe auf den (Arbeitnehmer-) Teil der Studierenden deutlich zu machen - das ist eine zentrale Aufgabe der studentischen Linken.

Freilich handelt es sich bei der Ablehnung von Studiengebühren um eine defensive Position, die es zu überwinden gilt. Die Forderung umzudrehen und Studiengebühren für die Kinder des "Akademikeradels" zu fordern, beinhaltet jedoch erhebliche Risiken und ist nach meiner Auffassung in der Zielrichtung auch politisch falsch.

Zum einen Handelt es sich bei der Debatte um die verschiedenen Finanzierungsmodelle der Unis um einen politischen Köder, mit dem eben jene Kundenorientierung durchgesetzt werden soll, die es aufs energischste zu bekämpfen gilt - auch bei denjenigen, die es sich leisten können. Mit der Behauptung, mit einem Beitrag der Studierenden zur Finanzierung der Hochschulen könnten die Studienbedingungen verbessert werden, sollen aber gerade diejenigen gewonnen werden, denen man das Fell über die Ohren ziehen will. In dieser Situation das kategorische "Nein" zu Studiengebühren aufzuweichen, würde bedeuten, sich auf das Terrain des Gegners zu begeben anstatt ihn an seinem schwächsten Punkt, der "Begründung" für die Kürzungen, anzugehen. Für die Gegenreform im Bildungssektor ist die Sparideologie der Dreh- und Angelpunkt; folglich muß es der universitären Linken darum gehen, dieses zentrale Ideologem zu demontieren.

Zum anderen halte ich es grundsätzlich für falsch, die Nutzer einer öffentlichen Einrichtung zu deren Finanzierung heranzuziehen - genau das macht ideologisch den Kern der Privatisierung aus. In den 60er Jahren wurde mit dem Mittel der Zwangsexmatrikulation versucht, die Studierenden unter Druck zu setzen und den Absolventen-Output der Universitäten bei geringeren finanziellen Mitteln zu erhöhen.[2] Das Prinzip, "Armen und Reichen ist es gleichermaßen verboten, unter Brücken zu schlafen", ist heutzutage nicht mehr opportun. Statt dessen sollen sich alle gleichermaßen an der Finanzierung der Brücke beteiligen. Das ist der "neoliberale" Autoritarismus, der sich hinter Floskeln wie "Kundenorientierung" und "Eigenverantwortung" verbirgt. Bildung ist aber eine gesellschaftliche Aufgabe, zu deren Finanzierung u.a. diejenigen herangezogen werden sollten, die es können - und zwar über allgemeine Einkommens- und Vermögenssteuern, die selbstredend progressiv zu sein haben.

Natürlich ist es richtig, die sozialen und politischen Frontstellungen innerhalb der Studierendenschaft zu klären. Die Forderung nach einer Studiengebühr für die Kinder von Besserverdienenden ist dafür jedoch überflüssig. Diese haben diese mehrheitlich nichts gegen Studiengebühren einzuwenden. Sie wollen schnell studieren und dabei nicht von den "Bummelstudenten" und deren Protesten behindert werden - schon gar nicht durch Streiks oder Besetzungen. Die Frage der Protestformen ist daher genügend Zündstoff in den Vollversammlungen.[3] Wer sich jedoch existentiell von der Einführung von Studiengebühren und den Kürzungen insbesondere in den Geisteswissenschaften bedroht sieht - und das können auch Kinder von Besserverdienenden sein, die dann durchaus Bündnispartner sind - der wird den Kampf gegen die Gegenreform an den Unis auch konsequent führen wollen und wird offen sein für ein Bündnis mit der breiten Mehrheit der lohnarbeitenden Bevölkerung. Die Positionen der studentischen Linken und der AktivistInnen der bisherigen Protestwelle sind in dieser Frage sehr eindeutig und durchaus mehrheitsfähig. Die Beunruhigung, die aus manchen Kommentaren in den Medien spricht und die sich an der Frage festmacht, ob die gegenwärtigen Proteste sich zum einem zweiten "68" auswachsen könnten, speist sich aus dieser neuen Qualität: Kleinen Minderheiten der Studierendenschaft ist klargeworden, daß es hier nicht um Einzelfragen geht, nicht um Partikularinteressen, sondern ums Ganze, um die theoretische und praktische Kritik eines Herrschaftszusammenhangs. Das ist schlechterdings nicht verhandel- und schon gar nicht berechenbar. Mit Standesinteressen haben daher Proteste 2003 wenig zu tun - den Aktiven geht es um existentielle Fragen, die Privilegierten schweigen mehrheitlich oder votieren gegen Aktionen, die den Vorlesungsbetrieb unterbrechen.

[1] Damit meine ich grosso modo die Kinder von Facharbeitern, kleinen und mittleren Beamten und Angestellten sowie Kinder, deren Eltern einen akademischen Abschluß haben und untere Leitungspositionen bekleiden.

[2] Die Rebellion an den Hochschule 1968 speiste sich in nicht geringem Maße aus dem Widerstand gegen diese autoritäre Maßnahme. Damals waren viele Studenten in Burschenschaften organisiert - das sollten die Kritiker der derzeitigen "apolitischen" Studierendengeneration nicht vergessen.

[3] Ein Blick auf die Seiten der Ortsgruppen des CDU-nahen RCDS oder der Liberalen Hochschulgruppen verdeutlichen diese Frontstellung. Wenn diese sich gegen Studiengebühren aussprechen, hat das mehr mit politischem Opportunismus als mit studentischer "Volksgemeinschaft" zu tun. Mit anderen Worten: Wenn sich kaum eine politische Kraft findet, die offensiv für Studiengebühren votiert, ist das ein Zeichen des Erfolges der Protestbewegung, kein Verdienst rechter und liberaler Gruppen.

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https://sopos.org/aufsaetze/3ff1fa5557a59/1.phtml

sopos 12/2003