Offener Brief an rightnow - Verein zur Wahrung politischer Rechte

von Marcus Hawel



Hannover, 18.12.2003

Sehr geehrter Vorstand,

ich teile Euch mit diesem Schreiben meinen Austritt aus rightnow mit.

Da ich zu den maßgeblichen Gründungsmitgliedern von rightnow gehört habe, die für die politische Ausrichtung und das Tätigkeitsfeld des Vereins, wie sie nicht nur in der gebotenen Abstraktheit der Satzung niedergeschrieben stehen, sondern konkret mindestens das erste Jahr nach der Gründung auch von mir umgesetzt wurden, verantwortlich waren – darüber hinaus seit der Gründung von 2001-2003 den Vorstand bildete, scheint es mir erforderlich zu sein, einen argumentativen Grund für meinen Austritt nachstehend anzugeben.

Die von mir mitintendierte Gründung des Vereines zielte zunächst darauf ab, der Klage gegen mein Ausreiseverbot zum G8-Gipfel in Genua im Jahre 2001 ein politisches Gewicht in der bürgerlichen Öffentlichkeit zu verleihen.[1] Zunächst ging es lediglich darum, innerhalb der bürgerlichen Öffentlichkeit Bündnispartner und Solidaritätsadressen zu gewinnen. Ganz entschieden haben wir uns selbst aber ansonsten politisch und gesellschaftstheoretisch mit der bürgerlichen Öffentlichkeit nicht identifiziert. Ganz im Sinne Antonio Gramscis gingen wir von einem möglichen historischen Block als einem Bündnissystem aus, der zur Schaffung einer kulturellen und politischen Hegemonie gegen den sich zunehmend autoritärer gerierenden Staat notwendige Voraussetzung ist. In diesem Sinne verstanden wir uns als Teil einer linken Gegenöffentlichkeit und zugleich als undogmatische Marxisten, die im Gegensatz zur bürgerlichen Öffentlichkeit unter konkreter Utopie den Weg verstehen, der vom Bestehenden zu einem Sozialismus führt, der seinen Namen auch verdient.

Mit anderen Worten, unser Verhältnis zu den fortschrittlichen Teilen der bürgerlichen Öffentlichkeit sollte ein zweckgebundenes, aber unser Verhältnis zu den bürgerlichen Medien sollte ein instrumentelles sein. Beide Zusammenhänge ergeben den Grund, warum wir als Organisationsform für rightnow die eo ipso bürgerliche Struktur des eingetragenen Vereins wählten, der ja gerade unter dem Gesichtspunkt staatlicher Kontrolle durch die juristischen Satzungsvorgaben an die bedingungslose Anerkennung der politischen Verfassung des Staates gebunden ist. Einerseits stellt diese Bindung eine Kontrolle dar, andererseits bietet sie auch Schutz vor staatlicher Willkür – jedenfalls solange wie die staatlichen Organe, insbesondere die Exekutive, sich selbst halbwegs an die Verfassung halten.

Als eingetragener Verein wollten wir geschmeidig genug sein, um die nötige Anerkennung und Beachtung in den bürgerlichen Medien zu finden, die wir benötigten, um im Spektrum der fortschrittlichen bürgerlichen Öffentlichkeit Solidaritätsadressen und Bündnispartner zu finden.

Unsere Einstellung zur politischen Verfassung des deutschen Staates sollte in einer zeitkerngemäßen kritischen Solidarität bestehen. Es ist richtig, daß die Deutschen mit der Gründung der Bundesrepublik bis 1989/90 die beste Verfassung in ihrer Geschichte hatten, und daß nach der faktischen Abschaffung des Asylrechts und vieler Einschränkungen der politischen und individuellen Freiheiten die jetzige Verfassung immer noch recht respektabel ist. Auf der anderen Seite werden in den bestehenden Verfassungspositionen die kapitalistischen Eigentumsverhältnisse weitgehend zementiert. Zwar sieht die Verfassung der Möglichkeit nach auch eine Sozialisierung der Schlüsselindustrien vor, aber nur seitens des Staates, nicht durch die Gesellschaft. Dies stellt gerade vor dem Hintergrund der in Deutschland historisch mißlungenen gegenseitigen Durchdringung von Staat und Gesellschaft, welche in der sogenannten westlichen Welt gemeinhin ihren Idealtypus in den Anstößen der Französischen Revolution gefunden hat, keine wirkliche Alternative dar. Ganz abgesehen davon, daß eine Verstaatlichung von Schlüsselindustrien gleichsam nur eine staatskapitalistische Variante bedeutet, die wir im sogenannten Realsozialismus, aber auch in Ansätzen im Faschismus erlebt haben.

Kritische Solidarität zur bestehenden Verfassung wollten wir dennoch einnehmen, weil wir der Ansicht waren, daß sich die Herrschenden in einer gesellschaftlichen Gesamtkonstellation befinden, in denen ihnen die konkreten Verfassungspositionen mehr als Fessel denn als Kittfunktion für den politisch-ökonomischen Zusammenhalt erscheinen und demzufolge die Bereitschaft der staatlichen Organe und Funktionsträger zunimmt, die durch die Verfassung verbrieften politischen Freiheiten der Menschen zu mißachten. Nach dem strategischen Konzept von Jürgen Seifert u.a. beabsichtigten wir, den Kampf um Verfassungspositionen der mittlerweile in die Jahre gekommenen undogmatischen Linken fortzusetzen. Das sollte uns jedoch wiederum nicht gleich zu Verfassungspatrioten a la Jürgen Habermas werden lassen, auch wenn wir mit unserem Konzept innerhalb der radikalen Linken , zu der wir uns selbst zählten, einige Kritik geerntet haben.

rightnow hatte mit diesen theoretischen und politischen Grundannahmen ein respektables Gesicht, welches sich in den gehaltenen Reden auf Demonstrationen, in öffentlichen Stellungnahmen und in den Vorträgen auf diversen politischen Veranstaltungen – zumindest im ersten Jahr – weitgehend widerspruchsfrei zeigte.

Doch allmählich scheinen die Aktivitäten des Vereines in Widerspruch mit den Konzepten und Ansichten geraten zu sein. Ich verschweige nicht, daß dies auch mit einer zunehmenden Störung im privaten Umgang innerhalb des Vorstandes zusammenhing, welche zur Passivität auf der einen Seite und zur nicht mehr gemeinsam abgesprochenen Aktivität auf der anderen Seite führte. Während in der Konsequenz diese Seite schließlich sich durchsetzte, und jene Seite aus dem Vorstand ausschied, muß nun auch die letzte logische Konsequenz erfolgen, die den Austritt aus dem Verein bedeutet, weil eine Identifikation mit dem Verein mir nicht mehr möglich erscheint.

Die letzten Aktivitäten des Vereines sind gewiß nach moralischen und humanistischen Gesichtspunkten nicht zu verwerfen. Dazu gehören die pazifistischen Aktivitäten im Zusammenhang des von der USA und ihren Alliierten geführten dritten Golfkrieges zum Sturz des Hussein-Regimes, d.h. die Reise von Beate Malkus im Rahmen einer „Friedensdelegation“ in den Irak sowie die anschließende Vortragstätigkeit in Deutschland, aber auch das Sammeln von Spenden für die Opfer des Krieges. Daß die deutsche Bundesregierung parallel eine scheinbare Antikriegshaltung eingenommen hat und imstande war, breite Teile der pazifistischen Bewegung für ihre Zwecke zu instrumentalisieren, verweist jedoch gleichzeitig auf die besondere Brisanz dieser Angelegenheit, die sich auch in der Medienpolitik widerspiegelt. Die Medien haben unbedachte, weitgehend nur moralisch motivierte Kriegsdistanzierung zum Kuß mit ihrer überwiegend antiamerikanischen Berichterstattung gezwungen und damit der Kritik den Stachel ausgezogen. Kritik, die dieser Eskamotion hätte entgehen können, hätte antiimperialistisch gegenüber dem eigenen Staat sein müssen, gemäß dem Diktum von Karl Liebknecht, daß der Feind im eigenen Land stehe. – Dies, gerade weil die Bundesregierung frühzeitig ein kategorisches Nein zu einer Beteiligung deutscher Soldaten am Golfkrieg erklärt hatte – nicht weil sie pazifistisch gestimmt war, sondern weil sie zum einen auf der Woge der mehrheitlich pazifistisch gestimmten Bevölkerung Pluspunkte im Bundestagswahlkampf sammeln wollte und zum anderen weil die „deutschen“ und „europäischen Interessen“ besser realisiert werden würden, käme es in dieser Region zu keinem Krieg.

In Wirklichkeit bestimmt auch in einer bürgerlichen Demokratie eben nicht die Mehrheit der Bevölkerung die außenpolitischen Wege und Geschicke einer kapitalistischen Nation. Auf die Interessen der Bevölkerung kommt es nicht an; sie gehen nicht in die inhaltliche Bestimmung der Staatsräson ein. Die Diktatur der Staatsräson in außenpolitischen Fragen geht allein von den staatlichen Institutionen aus, in denen sich die gesellschaftlichen Eliten eines Landes versammeln; ihre Vorgabe ist eine quasi strukturelle Gewaltförmigkeit, die sich aus den kapitallogischen Gesetzmäßigkeiten ergeben. Dagegen nützt auch ein grüner Außenminister nichts, der im Wahlkampf 2002 kundtat, er sei außen Minister und innen grün, und schon 1998 klargestellt hatte, daß es mit ihm keine grüne Außenpolitik geben werde. Seither war die Außenpolitik statt dessen olivgrün: eine Fortsetzung der schwarz-gelben mit militärischen Mitteln.

Das Sammeln von Spenden für die Linderung des Leids der Kriegsopfer ist auch nicht ganz unproblematisch. Spenden lindern einerseits tatsächlich das verursachte Leid, andererseits beruhigen sie allzu leicht das Gewissen der Spender, die intuitiv spüren, daß sie „was tun“ möchten, weil sie nicht einmal auf die Idee gekommen sind, vermeintlich rechtzeitig auf „demokratischem“ Wege die Geschicke in der Außenpolitik zu bestimmen. Weil sie auf diese Idee nicht gekommen sind, haben sie in der Regel auch nicht erfahren, daß das gar nicht oder nur in äußerst begrenztem Maße möglich ist. Der Spender bleibt kontemplativ gegenüber der Politik. Was ihm als schäbiges Geschäft erscheint, davon möchte er sich die Hände nicht schmutzig machen. Kriegführende Staaten rechnen mit der Spendenbereitschaft ihrer Bevölkerungen genauso wie mit ihrer Kontemplation. Radikalerer Widerstand geht von diesen Bevölkerungsschichten erst aus, wenn ihre eigene Existenz unmittelbar bedroht wird, sei es durch ein Atomkraftwerk in ihrer Gemeinde oder durch einen frei herumlaufenden Sexualstraftäter.

Die Spendenproblematik erkennt man auch sehr gut an der bis zum dritten Golfkrieg gültig gewesenen Arbeitsteilung zwischen den USA und Europa: die USA stellten überwiegend die Truppen, führten hauptsächlich die Kampfeshandlungen durch, während den Europäern die Aufgabe des nation building zukam. Menschenrechtsorganisationen werden dabei zunehmend gleich von Anfang an in das Kriegskonzept integriert. Der Aufbau von Flüchtlingslagern durch zivile Hilfsorganisationen wird zunehmend gleich durch das Militär koordiniert, Entwicklungshilfe mit diesem verzahnt. Diese Zusammenarbeit ist so problematisch geworden, daß selbst Mitarbeiter dieser zivilen Organisationen Unbehagen artikulieren, weil sie sich zu Vollstreckungsgehilfen von Kriegsparteien gemacht fühlen. Das Militär erhöht damit nämlich seine Legitimität.

Ich will nicht mißverstanden werden: Mir ist das Leid von Kriegsopfern nicht egal! Aber Kriegsopfer werden am besten vermieden, wenn die Bevölkerungen im eigenen Land den Imperialismus ihrer kriegsbejahenden Parteien bekämpfen. Spenden sind dagegen nur ein bürgerlich-moralisches Feigenblatt, welches den nächsten Krieg nicht verhindert, sondern diesen für die kriegführenden Parteien einfacher und erträglicher macht. Zukünftige Kriegsopfer können sich lediglich damit trösten, daß ihnen, nachdem ihr Haus weggebombt wurde, ein Zelt, was zu Essen und Medikamente zur Verfügung gestellt werden – zur Linderung eines Leids, das nicht entstanden wäre, hätte es keinen Krieg gegeben.

Schon Brecht fragte sich – ein Jahr nach dem Ersten Weltkrieg -, ob solche Einrichtungen wie die „Liga für Menschenrechte“ im Kampf gegen das Unrecht einen Wert hätten. Zwar versprach auch er sich nichts von diesem Pazifismus, „der, ohne Aussicht zu haben, an den Ursachen etwas ändern zu können, die Kriege, welche doch nur Folgeerscheinungen sind, geradezu, ohne Umwege und mit den schwächsten Mitteln (…) zu bekämpfen unternahm“.[2] Es sei aber – und dies verstehe ich als einen guten Einwand gegen meine obigen Ansichten – wichtig, „daß das Unrecht nicht nur in der endgültigsten, seine Ursachen mit einbeziehenden Weise, sondern auch in der allgemeinsten Weise, d.h. mit allen Mitteln, d.h. auch den schwächsten, bekämpft werden muß“. Selbst auf die schwächsten Mittel könne im Kampf gegen das unnötige Elend nicht verzichtet werden.

rightnow scheint sich – und das ist mein Fazit – jenem oben erwähnten Kuß nicht widersetzt zu haben – und das, obwohl die selbstgesteckten Aufgaben grundlegend ein Primat der Innenpolitik erkennen ließen, bzw. auf Europa ausgerichtet waren. Die Teilnahme an der unter Michail Gorbatschows Schirmherrschaft gestandenen World Peace Conference , die – aber vor allem die im Fernsehen übertragende Gala-Show – den Anschein einer Alibiveranstaltung für die bürgerliche Öffentlichkeit hatte, macht deutlich, daß der, dem ein A gegeben wurde, dann aus Freude an der zuteil gewordenen Anerkennung innerhalb der bürgerlichen Öffentlichkeit sich oft auch ein B usw. geben läßt.

Weil diese letzten Aktivitäten aber nicht verwerflich – im Gegenteil sogar moralisch einwandfrei sind, wünsche ich dem Verein deshalb auch weiterhin viel Erfolg und ein langes Bestehen. Insbesondere zu kritisieren aber habe ich die vollzogene Kehrtwende, die ganz offensichtlich zu einer affirmativen Identifikation mit der bürgerlichen Öffentlichkeit des Vereines geführt hat, auch wenn es sich dabei um das fortschrittliche Segment handelt. Nach seiner Kehrtwende kommt für mich der Verein leider nur noch als Bündnispartner jenes Teils einer fortschrittlichen bürgerlichen Öffentlichkeit in Frage, nicht aber als meine eigene politische Heimat.

 

Mit solidarischen Grüßen,

Marcus Hawel

 

Fußnoten

[1] Man kann sich natürlich nachträglich wie Bertolt Brecht fragen, warum einer sich wundert, „wenn das Unrecht über den triumphiert, der Gerichte wie die unsern anruft?“ – Dann kann man aber auch mit Brecht antworten, daß man sich nicht nötig zu wundern brauche, um sich zu beschweren; die Ansichten über Polizei und Gerichte allein vermögen jedenfalls diese noch nicht zu ändern.

[2] Bertolt Brecht: „Man muß das Unrecht auch mit schwachen Mitteln bekämpfen“, Werke Bd. 6, Frankfurt a.M. 1997, S. 170f.