von Christian Vasenthien
Ein Wahlkampf, indem das Thema Bildung nicht aufgegriffen wird, ist kaum mehr vorstellbar. Um so merkwürdiger scheint es, daß in diesem öffentlichen Diskurs der Aspekt der Chancengleichheit auf Bildung unabhängig vom Geldbeutel keine herausragende Rolle spielt. Besonders in den Auseinandersetzungen über die PISA-Studie wurde deutlich, daß sich der Bildungsbegriff in einem Prozeß der Neubestimmung befindet. Während Bildung einst als grundlegendes Menschen- und Grundrecht und als Vorraussetzung zur individuellen Entfaltung der Persönlichkeit galt, findet sich die Bildung heute als ein wirtschaftliche Faktor neben anderen in den Diskussionen über die Effizienz und die Modernisierung des Wirtschaftsstandorts Deutschland wieder. Bildung wird dem globalen Wettbewerb unterworfen.
Gleichzeitig findet der reale Prozeß politischer Entscheidungen hinter verschlossenen Türen unter Ausschluß der Öffentlichkeit statt. Der aktuellste und umfassendste Angriff auf öffentliche Dienstleistungen läuft momentan durch die GATS-Verhandlungen. Die vier Buchstaben stehen für „General Agreement on Trade in Services“. Das GATS ist ein internationales Abkommen der Mitgliedsstaaten der Welthandelsorganisation (WTO), die sich vertraglich verpflichtet haben, den Großteil ihres öffentlichen Dienstes zur Privatisierung freizugeben. Darunter sind die Gesundheits- und Wasserversorgung, der Bildungsbereich, Umweltschutzmaßnahmen und die Energieversorgung ebenso wie Museen, Rundfunk, Bibliotheken, Kindergärten und andere gemeinnützige Einrichtungen.
Lobbyverbände wie das Europäische Dienstleistungsforum (European Services Forum), in denen Führungskräfte aus Firmen wie der Allianz, Telekom, Daimler-Chrysler und Bertelsmann sitzen oder die Lobbygruppe Liberalisation of Trade in Services (LOTIS), in der leitende Beamte der britischen Regierung gemeinsam mit Vertretern großer Banken und Versicherungen den Stand der GATS-Verhandlungen diskutieren, sind die treibenden und prägenden Kräfte hinter dem GATS. Selbst die EU-Kommission stellte fest:
„Das GATS ist nicht bloß eine Sache, die zwischen Regierungen existiert. Es ist zuerst und hauptsächlich ein Instrument zum Nutzen der Wirtschaft" [1].
Das GATS beinhaltet die Verpflichtung der Staaten, nachzuweisen, daß ihre Gesetze und Vorschriften auf keinen Fall handelsbeschränkend sind. Staatliche Subventionen wären nur dann noch möglich, wenn alle Anbieter sie ebenfalls bekommen würden.
Sonderpädagogische-, Bildungs- und Forschungseinrichtungen die nicht auf Gewinnmaximierung ausgerichtet sind, würden im marktwirtschaftlichen Konkurrenzkampf im wahrsten Sinne des Wortes Bankrott gehen. Gleichzeitig würden auf den Markt ausgerichtete private Anbieter Zugang zu öffentlichen Geldern bekommen. Konzerne würden also direkt mit Steuergeldern Profite erwirtschaften. Der Sinn des Öffentlichen Dienstes, der gesamten Bevölkerung grundlegende Dienstleistungen wie Bildung, Gesundheitsversorgung oder Kultur zu garantieren, wird mit GATS auf den Kopf gestellt. Das was marktwirtschaftlich effizient ist, z.B. kurze Verweildauer im Krankenhaus oder Lehrpläne, die an den Interessen von Unternehmen ausgerichtet sind, ist in den wenigsten Fällen im Interesse der Menschen. Die Erfahrung hat gezeigt, daß sich in den bereits privatisierten Bereichen des öffentlichen Dienstes die Situation der Beschäftigten verschlechtert und die Mangelversorgung von Menschen mit wenig Geld zugenommen hat. Die Privatisierung der Bildungsversorgung bedeutet, daß Bildung in erster Linie eine Ware ist. Jeder muß sich künftig selbst überlegen, wie viel er in seine Ausbildung oder die seiner Kinder investieren kann. Die Folge ist, daß Kinder einkommensschwacher Familien nicht dieselben Möglichkeiten auf eine Ausbildung besitzen und aus weiten Teilen des Bildungsbereiches ausgeschlossen werden.
International, aber auch in Deutschland, wächst eine Opposition gegen das GATS und einer Wirtschaft, in der Profitinteressen wichtiger sind als Menschen. Ein internationaler Aufruf „Stop the GATS Atack“ wurde von über 500 Gruppen aus über 60 Ländern unterzeichnet. Vom 12. bis 16. November fand in Paris das zweite Europäische Sozialforum (www.fse-esf.org) und vom 16. bis 21 Januar 2004 findet das Weltsozialforum in Indien (www.wsfindia.org) statt. Mit den lokalen, regionalen und internationalen Sozialforen hat sich die Bewegung gegen neoliberale und militärische Globalisierung einen Raum von unten geschaffen, wo Strategien entwickelt, Kampagnen koordiniert und Erfahrungen ausgetauscht werden können.
Richtlinien für unsere Aktionen und den Aufbau eines Europas der Bildung:
1. Bildung ist ein Recht, keine Ware. Bildung ist ein öffentliches Gut, frei und unabhängig. Wir sehen es als Aufgabe des Staates ihre Finanzierung zu gewährleisten.
2. Der Bildungsauftrag lautet ArbeiterInnen, BürgerInnen und Menschen zu bilden und zu qualifizieren. Die Ziele der Bildung dürfen nicht durch wirtschaftliche Rentabilität und Profit geleitet werden. Bildung hat auch die Aufgabe sozialen Wandel zu fördern.
3. Forschung und Wissen müssen sich in allen Bereichen frei entwickeln können und auf gesellschaftliche Bedürfnisse eingehen.
4. Bildung muss allen Bevölkerungsgruppen zugänglich sein. Die Demokratisierung der Bildungssysteme in ganz Europa ist eine Notwendigkeit. Die Anhebung des Bildungsniveau muss ein zentrales Ziel sein.
5. Gegen die Logik der Deregulierung und der wirtschaftlichen Verwertbarkeit. Bildungsgrade müssen in ganz Europa anerkannt werden.
6. Lebenslanges lernen ist ein Recht aller ArbeiterInnen und BürgerInnen.
[1] C. Buchholz, A. Karras, O. Nachtwey, I. Schmidt: Unsere Welt ist keine Ware. Handbuch für Globalisierungskritik; Köln 2002; S. 74
zuerst erschienen in: „Erziehung und Wissenschaft, 17.Nov. 2003 , Zeitschrift der GEW Niedersachsen
https://sopos.org/aufsaetze/3fc336d4dc441/1.phtml
sopos 11/2003