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Da staunte die Leserschaft, und der Clan wunderte sich über Einmischung in deutsche Geistesreiche. Die Stadt Frankfurt, auch nicht faul, mietete sich einen bildenden Phantasten, der Adornos Schreibtisch auf einem öffentlichen Platz aufstellen ließ, im Glaskasten gesichert wie böse Angeklagte vor Gericht. Dem Vernehmen nach will sie Schopenhauers Pudel demnächst in Stein gehauen auf dem Römerberg postieren, Goethes Stehpult in Weimar klauen und vor der Deutschen Bank ansiedeln, Überschrift: Kultur und Kapital, das war einmal. Vor einem Vierteljahrhundert brachte ich den West-Berliner Senat auf die Spur der drei Schreibtische Tucholskys in Schweden. Sie wurden erworben und können heute im vereinten Berlin aus Geldmangel nicht mehr gezeigt werden. Mein Vorschlag: Wegkaufen und vor der Frankfurter SPD-Zentrale in der Fischerfeldstraße präsentieren. Einige Tucho-Zitate gleich dazu: "Wir sind noch nie so weit entfernt gewesen von jenem Weg, den uns geführt Lassall'!" Oder ebenfalls aus "Sozialdemokratischer Parteitag" (1921): "Und unser Scheidemann hat keine Seite, nach der er nicht schon umgefallen ist." Inzwischen wimmelt es in der Partei von Scheidemännern. 1929 sprach Tucholsky vom "Machtkoller", "der so vielen kleinen zur Macht gekommenen Leuten der SPD zu Kopf gestiegen ist". Zum Beispiel solchen, die den Kampf für soziale Gerechtigkeit in der Partei glattweg für überflüssig halten. Zurück zu Adorno, dessen erotische Eskapaden plötzlich derart reichhaltig aufgezählt werden, daß statt des öffentlichen Schreibtisches ein Lotterbett samt benutzter Kondome aus Realitätsgründen besser am Platze wäre. Am 9.9. meldete die FAZ das Ableben unseres Freundes, des Tucholsky-Biographen Michael Hepp, der, so wortwörtlich, Tucholskys "ausschweifendes Privatleben nicht verschwieg". Ach, du liebes FAZchen, wer hat dir bloß diesen vergammelten Senf aufgestrichen. Immerhin verstehen wir, weshalb jetzt auch Adornos "ausschweifendes Privatleben" ausführlich dargelegt wird. Was man aber tapfer ausblendet, ist des Totgeehrten radikaler, hart genug erworbener Antifaschismus, der vermutlich den "verstaubten Relikten seiner Irrtümer" zugeschlagen wird, wie Frank Schirrmacher exakt zum 11.9. im FAZ-Leitartikel zu verkünden sich mannhaft erblödete (s. Ossietzky 19/03). Adorno überforderte das Publikum mit seiner antifaschistischen Reflexionskultur, und als die deutschen Bierköpfe der Fürsprache des Exilanten und Remigranten nicht mehr bedurften, überließen sie ihn dem allzeitbereiten Spott. Der Göttersturz fiel leicht, Adorno hatte seinen soziologischen Marxismus auf passive, wenn auch musikalische Analyse beschränkt. Das reichte den 68er Studenten nicht. "Das denkende Subjekt" (Freitag) war ihnen zu wenig, Blochs "revolutionäres Subjekt" begriffen sie nicht, und so wurde der streitbare Herbert Marcuse ihr Mann. Adorno verstarb früh, sein radikaler Nachdenker Krahl verunglückte tödlich. Seither versuchen Alexander Kluge und Oskar Negt ihr Glück als linke Adorno-Schüler; jetzt hat die niedersächsische Regierung Wulff beschlossen, das von Negt aufgebaute Soziologie-Institut an der Universität Hannover abzuwickeln. Negt predigt beharrlich den Gewerkschaften einen aufrechten Gang mit Kultur und Politik. Doch Adornos brillanter Quietismus zeigt seine Grenzen. Das Bürgertum, dem der marxistische Reflexionsartist nie entwich, ist nur zur Rechten hin mobil. Um den Fall nicht zur Frankfurter Lokalposse mit dem öffentlichen Schreibtisch eines belächelten Genies verkommen zu lassen, sei an seinen Rang im Ensemble jüdischer Linksintellektueller erinnert, die heute von abhängigen Politfeuilletonisten madig gemacht werden. Vonwegen "verstaubte Relikte", wir vergessen weder Marx, Trotzki, Rosa Luxemburg, Ernst Bloch, Max Horkheimer, Georg Lukács, Fritz Sternberg, Jean Amery, Kurt Tucholsky, Robert Neumann, Alfred Kantorowicz, Fritz und Leo Bauer, Ludwig Marcuse noch Heinz Brandt, Manès Sperber, Arthur Koestler bis hin zu ihrem Jüngsten, Erich Fried. Mögen sie oft wie Hund und Katz miteinander umgegangen sein, ihr plurales Engagement machte sie zu Zeugen einer anderen Welt, für die gilt, was Adorno nach dem Tode unseres Freundes, des Hessischen Generalstaatsanwalts Fritz Bauer, äußerte: "... daß dem Faschismus in all seinen drohenden Erscheinungsweisen entgegengearbeitet wird". Dazu noch ein schöner Satz aus "Was ist deutsch?": "Wird einmal der Geist, wie freilich Unzählige es möchten, auf Touren gebracht, auf den Kunden zugeschnitten, den das Geschäft beherrscht, indem es seine Inferiorität zum Vorwand der eigenen Ideologie erkürt, so ist es mit dem Geist so gründlich aus wie unter den faschistischen Knüppeln." * PS.: Die FAZ-Operation, Adorno vom kritischen Denker in einen possierlichen Musikanten umzudeuteln, welcher Vorgang am 11. September zum 100. Geburtstag per Schirrmacher-Leitartikel zum siegreichen Abschluß gebracht werden sollte, erwies sich als Schuß in den Ofen. Und so faßte das tüchtige Kampf-Feuilleton später nochmal nach. Dort steht am 27.9. zu lesen: "Gerade wird des 100. Geburtstags Adornos gedacht, und obligat kursiert die Frage: Was ist von ihm geblieben? Mit dem Mut zur Überspitzung ließe sich sagen: die Musik-Konzepte ..." Ab also in den Musikantenstadl mit allen linken Juden. Hans Mayer, Ernst Bloch, Walter Benjamin und sogar Georg Lukács waren auch nur eingebildete Kapellmeister. Kontext:
Erschienen in Ossietzky 20/2003 |
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