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Als jetzt das erste Agenda-Sondergesetz, das "Gesundheitsmodernisierungsgesetz", durch den Bundestag gebracht wurde, billigten auch die meisten "Linken" aus SPD und den Grünen eine "Reform", die die Kranken, die abhängig Beschäftigten und besonders die Rentner enorm belastet: Das Krankengeld wird aus der paritätischen Finanzierung von Arbeitgebern und Arbeitnehmern herausgenommen, so daß künftig die Arbeitnehmer allein - mit 0,8 Prozent vom Bruttolohn - dafür aufkommen müssen; Rentner müssen den vollen Beitragssatz auf Versorgungsbezüge und Alterseinkünfte aus selbständiger Arbeit entrichten, einschließlich der Mitfinanzierung des Krankengeldes, auf das sie selber keinen Anspruch mehr haben. Für Zahnersatz muß in Zukunft jede und jeder eine Zusatzversicherung abschließen, unabhängig vom Einkommen. Das Sterbegeld fällt weg, ebenfalls das Entbindungsgeld. Die gesetzliche Krankenkasse zahlt auch nichts mehr für Sterilisation, für Krankenfahrten oder Brillen. Weitere Einzelheiten: Zehn Euro Eintrittsgeld pro Vierteljahr beim Arzt, zehn Euro pro Tag Zuzahlung im Krankenhaus, beim Kauf von Medikamenten zehn Prozent Eigenanteil, mindestens fünf Euro. Und so weiter. Ärzte und Apotheker müssen zwar verschiedene Neuregelungen ihrer Zuständigkeiten hinnehmen und ihre Organisationsstruktur in Teilen ändern, ihre finanzielle Ausstattung wird jedoch kaum berührt, durch vermehrte Privatisierung (z. B. Ausgliederung nicht verschreibungspflichtiger Medikamente aus dem Leistungskatalog der Krankenkasse) wird ihr Geschäft eher noch lukrativer. Die Pharmaindustrie darf ihre enormen Einnahmesteigerungen (innerhalb von sechs Jahren von 14 Milliarden Euro auf 23 Milliarden) behalten und weiter ausbauen, lediglich zu einem Einmalrabatt von 0.8 Milliarden Euro als Rückzahlung an die Kassen war sie bereit. Die zuvor immer angekündigte Arzneimittelpositivliste kommt nicht, ebenso wenig eine Kosten-Nutzen-Bewertung von Arzneimitteln; die Ärzte werden also auch nicht verpflichtet, von mehreren Medikamenten gleicher Zusammensetzung jeweils das kostengünstigste zu verschreiben. Neben der Pharmaindustrie können alle Arbeitgeber rundum zufrieden sein: Daß sie sich nicht mehr an der Finanzierung des Krankengeldes zu beteiligen brauchen, daß bisher von ihnen mitgetragene Lasten auf die Versicherten (Zahnersatz), auf die Rentner abgewälzt werden und daß künftig tief in die Taschen der Kranken gegriffen wird, soll ja dazu dienen, die Personalausgaben der Unternehmen zu senken. Nach den Hochrechnungen der Regierung soll sich der Arbeitgeberanteil an der Krankenversicherung von jetzt 7,7 Prozent vom Bruttolohn auf 6,1 Prozent verringern - ein Geschenk von 16 Milliarden Euro für die Kapitalseite. Rentner und Kranke werden geschröpft, damit die Gewinne in Deutschland noch reichlicher sprudeln. Doch die Mär, daß die Gewinne von heute die Investitionen von morgen und die Arbeitsplätze von übermorgen sein sollen, hat zwar schon Helmut Schmidt gern erzählt; geglaubt wird sie offenbar nur noch von jenen Politikern in Berlin, die dabei vorrangig an ihre eigenen Arbeitsplätze in Parlament und Regierung denken. Einst sozial engagierte Volksvertreter greifen gern nach solchen falschen Argumenten wie dem von den arbeitsplatzvernichtenden Lohnnebenkosten oder betreiben Angstpropaganda mit den angeblich zu vielen kranken Alten. Zur Beschwichtigung öffentlichen Unmuts und vielleicht auch ihrer unruhigen Gewissen haben sie jetzt außerdem eine neue "Vision" namens "Bürgerversicherung" entdeckt. Vor allem die Grünen kommen ins Schwärmen, wenn sie prophezeien, alle Probleme würden gelöst, sobald jede "Bürgerin" und jeder "Bürger" in die Sozialversicherung einbezogen würden; doch auch die verbliebenen mehr oder weniger Linken in der SPD haben ihrem Vorsitzenden Schröder und dem Generalsekretär Scholz, die beide nichts von einer Versicherungspflicht für alle halten, "abgetrotzt", daß das Thema auf dem nächsten Parteitag erörtert wird. Und der nach seiner schweren Herzerkrankung sensibel gewordene frühere Gesundheitsminister Horst Seehofer (CSU) ficht dafür, daß auch in den Unionsparteien die Zustimmung zur Bürgerversicherung wachsen soll, was ihm bisher seine Mit-Oberen ein wenig übel nehmen. Wenn die FDP als Partei der Besserverdienenden Zeter und Morido schreit und von staatlich verordneter "Zwangsversicherung" und "Enteignung" spricht, meinen die Linken, sie seien auf dem richtigen Wege. Was sie da gerade beschließen müssen, nämlich der Teilabriß einer in mehr als hundert Jahren erkämpften solidarischen Krankenversicherung für 90 Prozent der Bevölkerung, wird bedeutungslos angesichts ihrer "Vision". Dabei versteht fast jeder etwas anderes unter "Bürgerversicherung". Der Regierungsberater Rürup schlägt vor, daß jeder eine Pauschale von etwa 210 Euro einzahlen soll, bei Auszahlung des bisherigen Arbeitgeberanteils, unabhängig vom Einkommen - ein tolles Geschäft für die Besserverdienenden, kaum zu bezahlen für Niedrigverdiener, weshalb der Staat wohl zuschießen müßte. Der Regierungsberater Lauterbach plädiert dafür, daß auch Beamte und Selbständige in die "Bürgerversicherung" einzahlen sollen entsprechend ihrem Einkommen, unter Einbeziehung von Mieten und Zinseinkünften, aber nicht von Unternehmergewinnen. Die Beitragsbemessungsgrenze solle wie bisher bei 3450 Euro liegen. Wie sich hiermit die Finanzlage der Kassen verbessern soll, bleibt Lauterbachs Geheimnis; die neu Einbezogenen könnten ja auch mal krank werden und Kosten verursachen. Josef Fischer, der große Leader der Grünen, gibt seinem Fußvolk für ihre Bürgerversicherungsspiele eine Order mit auf den Weg: Der bisherige Arbeitgeberanteil solle auf 6,5 Prozent gesenkt und an die Beschäftigten ausgezahlt werden; deren Sache wäre es dann, wie hoch sie sich versichern... Über all das kann man vorzüglich disputieren, zumal es auch noch Leute gibt, die die Entlastung der Unternehmen von jeglichen Beiträgen zur Sozialversicherung und die Umstellung auf Steuerfinanzierung fordern. Da Unternehmen in Deutschland kaum noch Steuern zahlen, könnte sich die Kapitalseite damit anfreunden. Allerdings würde solche "Bürgerversicherung" als Kranken-Grundsicherung für alle wohl nur noch einen Basis-Medizindienst zur Verfügung stellen, erhebliche Zuzahlungen der Patienten erfordern und sowohl das private Versicherungsgewerbe wie auch Privatpraxen und Privatkliniken zum Blühen bringen. Der neoliberalen Konterreformbewegung wäre es ein Leichtes, den so verlockend klingenden Namen "Bürgerversicherung" zu adaptieren für eine Rest-Krankenverwaltung für die Armen. Wann werden die abhängig Beschäftigten und ihre Gewerkschaften beginnen, dafür zu kämpfen, daß ihre Gesundheitsversorgung wie bisher solidarisch finanziert und auf dem medizinisch möglichen Niveau unentgeltlich angeboten wird? Denn Gesundheit ist keine Ware; Heilbehandlung, Pflege, Linderung von Schmerzen sind ein Menschenrecht. Mit der Vision von einer "Bürgerversicherung" soll das brave, viel zu brave Volk bloß getäuscht und abgelenkt werden. Kontext:
Erschienen in Ossietzky 20/2003 |
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