Agenda neue Logik

von Dietrich Kittner

Wer Sozialabbau als Fortschritt zu verkaufen versucht, legt wohl auch sonst innovative Maßstäbe an die Logik an. Nur so ist erklärlich, daß ein Bundeskanzler und Parteivorsitzender erfolgreich mit Rücktritt drohen kann, nachdem er in den Umfragen die Wählerzustimmung für seine Politik auf satte 26 Prozent hinabzusteigern und seiner Partei eine unaufhaltsame Austrittswelle zu bescheren vermochte. Es gab Zeiten, da mußte so einer zurücktreten. Nach neuer Logik heißt man das vermutlich Gesundschrumpfen des Wählerpotentials und einen durchgreifenden Selbstreinigungsprozeß – gewissermaßen eine Säuberungswelle auf freiwilliger Basis. Wenn jetzt bei der SPD alles weiterhin mit rechten Dingen zugeht, bleibt am Ende ein kleiner festgeschlossener Kader, in dem alles mit einer Stimme spricht: mit der Schröders. »Geschlossenheit« bedeutet ihm, wie man hört, in letzter Zeit alles. Bis der Laden endgültig geschlossen ist. * Ähnlich die neue Logik der sogenannten Sozialreformer: Kürzung des Arbeitslosengeldes schafft Arbeitsplätze. Komplette Abschaffung der Arbeitslosenunterstützung bedeutet folglich Vollbeschäftigung. (Nur die Pflichtbeiträge der Arbeitnehmer muß man dann noch an die großen Firmen überweisen.) Zum Beweis der logische Umkehrschluß: Bei Vollbeschäftigung braucht das Arbeitsamt sowieso nichts zu zahlen. Logo, oder? Da ist es schon nicht mehr verwunderlich, wenn der neue niedersächsische Ministerpräsident, der Zwangsgentestverfechter Christian Wulf (CDU), auf ein und derselben Pressekonferenz verkündet, er wolle die Arbeitslosigkeit im Lande angehen und gleichzeitig einer proporzgerechten Verwaltungsarbeit wegen zunächst 6000 Landesbedienstete einsparen. Logisch: Bekanntlich verhalten sich Stellenabbau und Arbeitsplatzangebot zueinander irgendwie umgekehrt proportional. So deutlich hat man es selten gehört. * Daß eines eben immer vom anderen abhängt, weiß auch die Europäische Union. Deren vereinigte Innenminister beschlossen jüngst, Entwicklungshilfeländer mit fühlbaren Wirtschaftssanktionen zu überziehen, sofern diese nicht von sich aus 11/2003 375 den Strom der Asylbewerber drastisch eindämmen, der unser schönes Schengener Gemein-Wesen zu vernichten droht. (In Bangladesch soll bereits für blondgelockte, aufgrund der Übervölkerung kurz vor dem Verhungern stehende europäische Babys gesammelt werden.) Bei Innenministern stimmt natürlich nicht nur die Innere Sicherheit, sondern auch die innere Logik: Je weniger Entwicklungshilfe wir zahlen, je schlechter es der Bevölkerung in den betroffenen Ländern geht, je schärfere soziale und politische Spannungen dort entstehen, desto heldenmütiger werden die Menschen, statt zu flüchten, weiter daheim leiden wollen, schon um den armen Schengenern ihr schönes Land nicht zu versauen. * US-Militärs und Rüstungskonzerne beklagen Pressemeldungen zufolge, daß die »goldene Möglichkeit für Waffentests unter realistischen Bedingungen« im Irak- Krieg nicht weitergehend genutzt wurde. Ihnen geht es um neuentwickelte elektronische wie auch biologisch-chemische Kriegsmittel. Over-Kill-Experte Donald Rumsfeld bemerkte dazu, man müsse nun überlegen, ob sich die USA nicht aus dem internationalen Abkommen zur Ächtung von B- und C-Waffen lösen sollten. Armee und Rüstungsindustrie befänden sich durch solche Verträge nämlich »in einer Zwangsjacke«. Na endlich, möchte man meinen. Aber leider zu schön, um wahr zu sein. Bush verbreitet Gottes und Lockheeds Botschaft noch immer in der Bomberjacke.

Erschienen in Ossietzky 11/2003