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Wir, die besseren Imperialisten?
von Christoph Jünke
Freud und Leid der gegenwärtigen Regierungskoalition auf den Begriff zu
bringen, ist ein so herausragendes wie unbeabsichtigtes Verdienst des soeben
erschienenen Buches von Ernst-Otto Czempiel. Wenige Wochen, bevor US-Verteidigungsminister
Donald Rumsfeld von dem »alten Europa« sprach, das gegen die Vernunft
in der aktuellen Weltpolitik, sprich: gegen die USA aufbegehre, drehte der Autor
den Spieß schon um und proklamiert kampfeslustig, daß die Stunde
Europas geschlagen habe.
Die USA sperren sich, so Czempiel, den weltpolitischen Umbruch zu akzeptieren,
den sie selbst in den Jahren 1990/91 in Gang gesetzt haben, als Bush sen. von
einer neuen Weltordnung sprach, die multilateral auf den Prinzipien der Vereinten
Nationen beruhen sollte. Heute müsse »Europa den Amerikanern helfen,
das Mißverständnis zu überwinden, ihr überlegenes Machtpotential
enthalte ein Ordnungsmonopol«. Solch süffisante Offenheit ist selten
und die damit verbundene Abrechnung mit den USA harsch: Washington habe nichts
getan, die Anschläge vom 11.9. aufzuklären und verdränge die
weltpolitischen Hintergründe und Quellen des neuen Terrorismus, beispielsweise
den Nahost-Konflikt. Schon seit dem Krieg gegen Jugoslawien habe die US-Regierung
zunehmend auf ihren politischen und militärischen Führungsanspruch
gesetzt und die an sich begrüßenswerte Erweiterungspolitik von EU
und NATO dazu benutzt, ihre Hegemonie auszubauen. Im neuen strategischen NATO-Konzept
von 1999 habe sie diesen Führungsanspruch zementiert und das Bündnis
– ebenso wie die UN – gleichsam zur US-amerikanischen Institution
degradiert. Seit dem 11.9. sei diese »selektive Weltherrschaft«
rücksichtslos errichtet worden.
Obwohl Czempiel selbst auf die lange latente Tradition dieser neuen Politik
der USA hinweist, behauptet er, die Entwicklung habe sich nicht vorhersehen
lassen. Noch Clinton sei guten Willens gewesen, habe sich aber gegen die Republikaner
nicht durchsetzen können. Mit dem Amtsantritt von Bush jun. habe ein Eliten-
und Politikwechsel mit einer schroffen Absage an den Multilateralismus stattgefunden.
Ob Kyoto-Protokoll, Atomwaffenteststopp, Biowaffen-Konventi-on, ABM-Vertrag,
Internationaler Strafgerichtshof oder Ächtung von Anti-Per-sonen-Minen
– die Bush-Administration habe konsequent mit jeder Form des Multilateralismus
gebrochen, die Weltpolitik militarisiert und den Kampf gegen die von ihr willkürlich
benannten Schurkenstaaten dieser Welt ausgerufen.
Soweit Czempiel beschreibt, ist sein Buch zutreffend und erfrischend. Fragezeichen
sind jedoch angebracht, wenn er die Triebkräfte des faustischen Drangs
zur Weltdominanz zu erklären versucht. Gerade das, was Czempiel als bis
vor kurzem unvorhersehbar ansieht, ist vom britischen Politikwissenschaftler
Peter Gowan bereits 1999 ausführlicher und analytisch tieferdringend dargelegt
worden. Wo Gowan eine mehr oder weniger bewußte imperialistische Neuordnungspolitik
im Zuge der politischen Ökonomie der Globalisierung herausarbeitet, verdeckt
Czempiel seinen auf dasselbe hinauslaufenden Befund mit einer personalisierenden
Darstellung, die sich theoretische Rückendeckung bei der sogenannten Liberalen
Schule der internationalen Beziehungen holt. Er sieht eine gesellschaftliche
Demokratisierung am Werk, die sowohl die Handlungen von Staaten als auch den
Prozeß der Globalisierung bestimme. In den letzten zwei Jahrzehnten habe
sich der Anteil der Menschen, »die in voll oder wenigstens halbwegs (!)
ausgebildeten demokratischen Herrschafts(!)systemen« leben, von 57,5 auf
64,4 Prozent ausgebreitet. »Das Verlangen nach Partizipation ist der stärkste
Trend in der Gesellschaftswelt.« Herrschafts-, Ausbeutungs- und vor allem
Ideologisierungsprozesse ignoriert oder verschweigt er.
Doch keine Illusion ohne ihren Zweck. Czempiel braucht diesen zivilgesellschaftlichen
Mythos, um sein gesellschaftspolitisches Alternativprogramm zu entfalten. Anders
als die US-Regenten möchte er mittels aktiver Außenpolitik und vor
allem mit wirtschaftlicher Entwicklungshilfe die Quellen des internationalen
Terrorismus austrocknen, zur Staatsbildung in den vom Bürgerkrieg zerrissenen
Peripherien beitragen und vor allem den Nahostkonflikt befrieden. Globalisierung,
so Czempiel, sei wesentlich Regionalisierung und verlange deswegen Multilateralismus
– und »wenn und weil sie mit amerikanischen Führungsvorgaben
nicht übereinstimmen, sind die Westeuropäer gezwungen, durch eigene
Aufrüstung die Gleichberechtigung mit den USA herzustellen«. Nicht
um den USA Paroli zu bieten, sondern um zum handlungsfähigen, effizienten
und einigen Partner des Hegemons zu werden. Solche Politik sei nur im Rahmen
eines Kern europa denkbar. Weil Europa sicherheitspolitisch »ein Subunternehmer,
aber deshalb doch noch keineswegs ein reiner Zulieferer« sei, solle es
sich »weigern, weitere Aufräumarbeiten nach US-Interventionen zu
übernehmen«.
Spätestens hier wird deutlich, für wen Czempiel, Mitarbeiter der Hessischen
Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung, schreibt. Er formuliert das
Credo rot-grüner Politik und preist die »Gesellschaftswelt«.
Macht, erklärt er, beruhe auch hier »auf der Fähigkeit, andere
dazu zu veranlassen, etwas zu tun, was sie sonst nicht getan haben würden.
Die Fähigkeit zur Gewaltanwendung darf dabei nicht fehlen. Im Katalog der
zweckmäßigen Mittel vorgelagert aber finden sich die Strategien des
Überzeugens, Überredens, der Anreize, des Vorbilds, sicherlich auch
die des sanften Drucks.« Und: »Gewaltlose Intervention in die Wirtschafts-
und Herrschaftssysteme der Staaten der Welt ist zwingend geboten, wenn unter
den Bedingungen der Gesellschaftswelt Sicherheit hergestellt werden soll.«
Was ist dies anderes als ein aufgeklärter Imperialismus, der sich ein demokratisch-zivilgesellschaftliches
Mäntelchen umhängt? Es ist dieser von Czempiel paradigmatisch formulierte
»liberale« Imperialismus, der nicht nur seinem Buch die ideologische
Grundlage liefert, sondern auch der Regierungspolitik. Und es ist deswegen sicherlich
kein Zufall, daß sein Buch in einer Lizenzausgabe gleichzeitig auch bei
der Bundeszentrale für politische Bildung erschienen ist und als »ideale
Einführung in die aktuelle weltpolitische Lage« beworben wird.
Ernst-Otto Czempiel: »Weltpolitik im Umbruch. Die Pax Americana, der
Terrorismus und die Zukunft der internationalen Beziehungen«, C.A. Beck
Verlag, 229 Seiten, 12.90 €. Bei der Bundeszentrale für politische
Bildung (»www.bpd.de«) ist das Buch für 2 € (plus Versandkosten)
zu erwerben.
Kontext:
Erschienen in Ossietzky 9/2003
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