Risse im Empire

Die neue Weltordnung und der Krieg gegen den Irak

von Thomas Binger

Krieg wird "auf den Status einer Polizeiaktion reduziert

In der nach dem Ende des Kalten Krieges proklamierten 'Neuen Weltordnung' ist der Krieg wieder zu einem weithin akzeptierten Mittel der Politik geworden. Nicht zufällig wurde diese 'Neue Weltordnung' durch den amerikanischen Präsidenten George Bush 1991 anlässlich des zweiten Golfkrieges verkündet. Dieser Golfkrieg steht auch paradigmatisch für den neuen Charakter des Krieges nach dem Ende der Blockkonfrontation. In den neuen Kriegen geht es nicht mehr primär darum Territorien zu erobern, sondern darum, sie zugänglich zu halten und der imperialen Ordnung zu unterwerfen. Der Machtanspruch des Empires ist total und umfasst den globalen Raum in seiner Gesamtheit. Zur Durchsetzung seiner Ordnung ist das Empire mit den notwendigen Gewaltmitteln ausgestattet, um nötigenfalls gegen die Barbaren an den Grenzen und die Rebellen im Inneren 'gerechte Kriege' zu führen. Krieg wird "auf den Status einer Polizeiaktion reduziert" und dabei "zugleich banalisiert und verabsolutiert" (Hardt/Negri, Empire, S.28). Militärische Interventionen erscheinen als "Objekt der polizeilichen Routine" (ebd.). Mittels ihrer permanenten Drohung werden abweichende Elemente diszipliniert.

In den neuen Kriegen geht es nicht mehr primär darum Territorien zu erobern, sondern darum, sie zugänglich zu halten und der imperialen Ordnung zu unterwerfen.

In der Renaissance der mittelalterlichen Vorstellung vom 'gerechten Krieg' verdichtet sich das neue Konzept des Krieges. In der traditionellen katholischen Vorstellung vom 'bellum iustum' ging es um die moralische und religiöse Überhöhung des Krieges als legitimes Mittel zur Wahrung der territorialen Integrität eines Staates oder als gewaltsame Methode zur Missionierung Ungläubiger. Im Gefolge des Zweiten Golfkrieges taucht dieser im neuzeitlichen politischen Denken der Moderne verworfene Begriff im säkularen postmodernen Gewand erneut auf. Beim 'gerechten Krieg' der Gegenwart geht es jedoch nicht mehr länger um Verteidigungs- und Widerstandshandlungen einer um das eigene Überleben kämpfenden Macht, sondern um die universelle Legitimation des Krieges als ethisch begründetes Mittel, sei es in einem globalen Anti-Terror-Krieg oder in repressiven oder präventiven humanitären Interventionen überall auf der Welt. Während sich die neue Macht durch die Moralisierung des Krieges unangreifbar macht, wird gleichzeitig der Feind als "absolute Bedrohung der moralischen Ordnung" (Empire, S. 29) dämonisiert. Krieg wird als Kampf der Zivilisation gegen die Barbarei konzipiert. Geostrategische Kriegsziele und ökonomische Motive verschwinden unter dieser moralischen und kulturalistischen Dunstglocke.

Globales Gewaltmonopol

Die Macht des Imperiums beruht entscheidend darauf, "den Einsatz von Gewalt als im Dienst des Rechts und des Friedens stehend darzustellen" (Empire, S.31). Die Definitionsmacht über den Ausnahmezustand legitimiert dabei den präventiven und repressiven Einsatz der eigenen Gewaltmittel. Der Einsatz globaler Polizeikräfte in den verschiedenen Konfliktzonen der Welt demonstriert die reale Wirksamkeit der imperialen Ordnung.

Voraussetzung für die neue Rolle des Krieges ist die unangefochtene militärische Dominanz der westlichen Staaten in der neuen Weltordnung. Die USA fungieren dabei als oberste Ordnungsmacht und zentrale Autorität im Empire. Sie stehen an der Spitze einer globalen Herrschaftspyramide und garantieren mit ihrer militärischen Macht die globale Hegemonie eines autoritären Neoliberalismus. In der Empire-Analyse von Antonio Negri und Michael Hardt "bilden die Vereinigten Staaten allerdings nicht das Zentrum eines imperialistischen Projekts" (S. 12), sondern sie exekutieren lediglich das globale Gewaltmonopol der imperialen Ordnung. Mit dem Niedergang der nationalen Souveränität und dem relativem Bedeutungsverlust des Nationalstaates ist für Negri und Hardt auch der klassische Imperialismus am Ende. Diese an die Souveränität von Nationalstaaten gebundene Form der Macht gerät in ihren Augen mit der endgültigen Verwirklichung des Weltmarktes und der damit einhergehenden Herausbildung einer imperialen Konstitution in eine irreversible Krise.

Die unilaterale Machtpolitik der US-Administration im Gefolge des 11. September hat allerdings die Zweifel verstärkt, ob die Totenglocken des Imperialismus nicht zu früh geläutet wurden. Die USA sind aufgrund ihres militärischen Potenzials der einzige Nationalstaat, der tatsächlich dazu in der Lage wäre, zu einer klassischen imperialistischen Politik im globalen Maßstab zurückzukehren. Die im neokonservativen Establishment der amerikanischen Politik und in den US-Medien geführten Debatten über die neue imperiale Rolle der USA, in der Washington schon als das "neue Rom" imaginiert wird, liefern zumindest starke Indizien für eine derartige Selbstdefinition der amerikanischen Außenpolitik.

Krieg gegen Terror

In der beim Washingtoner Jubiläumsgipfel 1999 beschlossenen NATO-Präventiv-Strategie und in der neuen National Security Strategy der USA konkretisiert sich das neue transnationale Kriegsregime. Die NATO verabschiedet sich mit der neuen Strategie endgültig von ihrer Selbstdefinition als transatlantisches Verteidigungsbündnis und verkündet ihre weltweite Zuständigkeit für Konflikte unterschiedlichster Art: vom Kampf gegen den Terror über die Unterdrückung ethnischer Konflikte, den Kampf gegen die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen, die Unterbindung von Verletzungen der Menschenrechte bis hin zur Sicherung der Zufuhr lebenswichtiger Ressourcen. "Dieses Kriegsszenario umfasst alle Formen gesellschaftlicher Instabilität des Empires."[1] Damit lassen sich sowohl Anti-Drogen-Feldzüge, low intensity warfare gegen Guerillagruppen als auch regionale Kriege gegen so genannte Schurkenstaaten rechtfertigen. Die militärische Intervention wird zur einer permanenten Drohung mit disziplinierender Wirkung. Im Zweifelsfall erteilt sich die NATO selbst das Mandat für ihre weltweiten Einsätze. Das Völkerrecht wird suspendiert und die Vereinten Nationen zum reinen Akklamationsorgan degradiert. Die Grenzen zwischen Repression und Prävention verschwimmen genauso wie diejenigen zwischen Krieg und Frieden.

Die Attentate vom 11. September markieren einen wichtigen Einschnitt in der Herausbildung der neuen internationalen Ordnung. Ihre Wirkung auf die entstehende globale Ordnung ist dabei durchaus ambivalent. In ihrem Angriff auf die Symbole der wirtschaftlichen und militärischen Macht des Westens destruieren sie den Mythos der Unverwundbarkeit und Unangreifbarkeit imperialer Macht und provozieren die angegriffenen USA zu einer Art von "imperialist backlash".[2] Die amerikanische Administration handelt im Gefolge des 11. September eher wie ein traditioneller imperialistischer Staat, der sich an die Neuordnung der geopolitischen Realitäten begibt. Zu Lasten transnationaler Organisationen wie der UNO oder der NATO drohen die USA angesichts dieser ungeheuren Herausforderung zu einer überwunden geglaubten Form unilateraler Machtpolitik zurückzukehren. Laut Michael Hardt befinden sich die USA mit diesem Rückfall in den alten Imperialismus nicht auf der Höhe des Empires.

Auf der anderen Seite beschleunigen die Attentate und der globale Krieg gegen den Terror den Übergang zu einer neuen internationalen Vergesellschaftungsweise. Der Konflikt zwischen militantem Islamismus und westlicher Reaktion sprengt alle nationalstaatlichen Grenzen und spielt sich unmittelbar in einem globalen politischen Raum ab. Toni Negri begreift ihn als Ausdruck eines globalen Bürgerkrieges um die imperiale Führungsrolle. Der Kampf gegen den Terror erhält in diesem Kontext den Status einer weltweiten präventiven Polizeiaktion. Der 'Allianz gegen den Terror' ist dabei klar, dass ein Krieg gegen den Terrorismus genauso wenig zu gewinnen ist wie ein Krieg gegen Drogen. Die Strategie der hegemonialen Mächte zielt deshalb auch auf eine eher polizeiliche als militärische Kriegsführung, die auf jede räumliche Begrenzung oder zeitliche Befristung verzichtet. Ziel ist die Etablierung eines dynamischen Kontrollregimes durch flexible Militärinterventionen und geheimdienstliche Operationen.

Die regressive politische und militärische Reaktion der Bush-Administration auf den 11. September befindet sich mit ihrer populistischen Rhetorik, ihrem Appell an nationale Identifikationen und die zivilisatorische Mission der Vereinigten Staaten in einem offenen Gegensatz zu diesem beschleunigten imperialen Trend. Dies gilt auch für die Interessen transnational orientierter Kapitalfraktionen im eigenen Land, die auf ein offenes System der Produktion und des Warenaustauschs angewiesen sind und keine neuen Hürden für die globalen Kapitalflüsse durch einen wild gewordenen US-Imperialismus gebrauchen können. Nicht umsonst wurde beim World Economic Forum in Davos das Gespenst einer drohenden Rezession der Weltwirtschaft als Folge eines längeren Krieges in der Golfregion beschworen. Bereits jetzt zeigt der Dollar deutliche Schwächeerscheinungen, und auch die Stimmung an den Börsen leidet unter der allgemeinen Verunsicherung über die weltpolitische Lage. Michael Hardt gelangt vor diesem Hintergrund zu einer düsteren Prophezeiung: "Einige der schlimmsten Tragödien in der Geschichte der Menschheit ereigneten sich, als die Eliten nicht dazu in der Lage waren, in ihrem eigenen Interesse zu handeln."[3] In dieser Widersprüchlichkeit liegt die ganze Dramatik der gegenwärtigen weltpolitischen Situation.

Der Schurkenstaat Irak

Auch der anstehende Krieg gegen den Schurkenstaat Irak ist Teil dieser neuen politischen Konstellation. Mit den vorgeblichen Kriegszielen der Beseitigung der Bedrohung durch irakische Massenvernichtungswaffen, der Demokratisierung einer Diktatur und der Bekämpfung terroristischer Gefahren erscheint der Krieg als polizeiliche Intervention zur Entwaffnung eines unberechenbaren Despoten. Die Zentralmacht des Empire dokumentiert damit ihren Anspruch, über die Legitimität der Gewaltmittel einer untergeordneten Regionalmacht zu entscheiden. Die Prinzipien von nationaler Souveränität und territorialer Integrität - Grundpfeiler des Völkerrechts und moderner nationalstaatlicher Souveränität in der alten Weltordnung - werden dabei über Bord geworfen. Der Irak-Krieg wird zum Exempel für die im letzten Jahr verabschiedete neue Nationale Sicherheitsstrategie der USA, die ausdrücklich vom Recht auf Präventivkriege und vorbeugende Militärschläge (preemptive strikes) spricht.

Es geht beim Irak um die Demonstration globaler amerikanischer Dominanz und die exemplarische Bestrafung eines Regimes, das sich den Vorgaben der imperialen Ordnung nicht bedingungslos unterwirft. Die abschreckende Wirkung dieser Intervention zielt dabei auf alle potenziell abtrünnigen und unsicheren Staaten in der Region. Insbesondere Saudi-Arabien gilt seit dem 11. September nicht mehr als verlässlicher Garant westlicher Interessen bei der Kontrolle des globalen Ölmarktes. Der Irak-Krieg ist insofern das Startsignal für eine Neuordnung der gesamten arabischen Region. Die Bereitschaft der US-Alliierten, den Krieg notfalls auch ohne Unterstützung regionaler Mächte zu führen, ist ein deutliches Signal an alle Regierungen der Golfregion. Wer sich nicht der 'Koalition der Willigen' anschließt, ist vielleicht morgen schon selber Ziel der nächsten Intervention.

Ziel der Intervention ist dabei tatsächlich nicht, ein Territorium zu erobern und langfristig zu besetzen, sondern durch die Beseitigung eines unliebsamen Regimes ein Gebiet zu öffnen und den Zugriff auf seine strategischen Ressourcen politisch neu zu ordnen und militärisch auf Dauer zu sichern. Dabei geht es immerhin um die strategische Sicherheit der Energieversorgung der westlichen Metropolen und den Zugriff auf die zweitgrößten Ölreserven der Welt. Vor dem Hintergrund der grundsätzlichen Abhängigkeit des Westens vom arabischen Öl und der instabilen Lage im Nahen und Mittleren Osten gilt es zu verhindern, dass Öl noch einmal - wie in den beiden Ölkrisen der siebziger Jahre - zu einer politischen Waffe in den Händen der OPEC-Staaten wird. Die Bush-Regierung hat der "politischen Ökonomie des Öls"[4] von Anfang an eine besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Bereits im 'Cheney-Report' zur amerikanischen Energieversorgung vom Mai 2001 wird der sicheren Versorgung mit Erdöl höchste Priorität für die amerikanische Außen- und Handelspolitik eingeräumt. Grundlage des offiziellen Regierungsreports ist die Prognose einer wachsenden Importabhängigkeit der amerikanischen Energieversorgung, nach der die USA bis 2020 etwa zwei Drittel ihres Erdölbedarfs importieren müssen.

Obwohl die Ziele einer Neuordnung des Nahen Ostens und einer politischen Kontrolle über die Erdölvorräte der Region unter den führenden Mächten des Empires unstrittig sind, zeigen sich bei der aktuellen Kriegsvorbereitung gegen den Irak trotzdem deutliche Risse im imperialen Konsens. Während die USA und Großbritannien seit dem zweiten Golfkrieg 1991 völlig aus dem Irak-Geschäft ausgeschieden sind und auf ein strenges Sanktionsregime setzen, haben Firmen aus europäischen Ländern wie Frankreich und Italien sowie aus Russland und China lukrative Vorverträge über die Erschließung und Ausbeutung der riesigen irakischen Ölfelder abgeschlossen. Sie würden bei einer Aufhebung der Sanktionen oder bei einem nicht-kriegerischen Ende des Regimes von Saddam Hussein automatisch in Kraft treten. Ein erfolgreicher Krieg der USA und ihrer Alliierten und die Installation eines proamerikanischen Regimes in Bagdad könnte diese Wirtschaftsabkommen annullieren und "als militärische Variante einer 'feindlichen Übernahme'" fungieren.[5]

Imperialer Dissens

Der Streit um das richtige strategische Vorgehen und die ökonomische Konkurrenz in der Golfregion sind ein wichtiges Indiz für das Fortbestehen nationalstaatlicher Rivalitäten und die Brüchigkeit des übergreifenden imperialen Konsenses. Der Kampf um die Definitionsmacht bei der notwendigen transnationalen politischen Homogenisierung und der Formulierung gemeinsamer imperialer Interessen ist offensichtlich in vollem Gange. In diesen Konflikten zeigt sich, dass die Nationalstaaten, nicht zuletzt auch durch die nationalstaatliche Verfügung über die militärischen Gewaltmittel, auch unter imperialen Bedingungen bedeutende Akteure bleiben. Die höchst ungleichgewichtige Verteilung des militärischen Potenzials erschwert dabei die Herausbildung eines übergreifenden hegemonialen Konsenses, der nicht als Diktat des Stärksten funktionieren kann. Denn Hegemonie besteht immer aus einer Mischung von Zwang und Konsens. Die Bereitschaft, auch ohne Zustimmung des UN-Sicherheitsrates zu intervenieren, zeigt die Option der USA, auf Basis der eigenen militärischen Überlegenheit notfalls auch eine unilateral dominierte Weltordnung durchzusetzen. Nur die USA können als einzig verbliebene Supermacht ihre Interessen auch jenseits von internationalen Institutionen und Übereinkommen, von transnationalem Konfliktmanagement und Völkerrecht militärisch durchsetzen. Eine solche einseitige amerikanische Weltordnungspolitik - frei nach dem Motto 'Die Mission bestimmt die Koalition' und nicht umgekehrt - wäre allerdings ein Rückfall in den klassischen auf der Ausdehnung der nationalstaatlichen Souveränität basierenden Imperialismus und damit das Ende der proklamierten multilateralen neuen Weltordnung. Aus dem transnationalen und dezentrierten Machtnetzwerk des Empires würde ein amerikanisch dominiertes Imperium. Das postmoderne Modell der Souveränität regrediert zu einem Imperium nach antikem Vorbild.



Anmerkungen:

[1]  Katja Diefenbach, Diskontinuität und Terror, in: Telepolis (Internetmagazin)

[2]  Toni Negri in einem Interview mit der amerikanischen Zeitung 'The State', September 2002

[3]  Michael Hardt, Empire vs. US Imperialism, The Guardian 18.12.2002

[4]  Michael Ehrke, Zwei Seiten einer Medaille: Krieg gegen Terror und um Öl, FR-Dokumentation. 6.2.2003

[5]  Wolf Wetzel, Wie man Freunden ins Knie schießt, Junge Welt 22.1.2003

Der Artikel erschien zuerst in der Nr. 268 der iz3w - blätter des informationszentrums 3. welt.