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Das amerikanische Imperium entschied anders: Anstatt die Hand zu bieten zu einem System der kollektiven Sicherheit, weigerte es sich, die ungeheuerliche, während des Kalten Krieges aufgebaute Militärmaschine abzubauen. Gegen das Prinzip der friedlichen Konfliktlösung wählte es den Weg des imperialen Diktates. Gegen die Schiedsgerichtsbarkeit und die multilaterale Diplomatie optierte es für die autistische, unilaterale Weltmachtpolitik. Anstatt normativer Ökonomie und der Verteilung der - vor allem für die Dritte Welt - lebenswichtigen Güter durch multilaterale Konventionen errichtete es den vom amerikanischen Finanzkapital total beherrschten, globalisierten Weltmarkt. * Die amerikanische Kapitaloligarchie, die von der die Regierung Bush weitestgehend beherrscht wird, funktioniert gemäß einem Kodex, den man den "Consensus of Washington" nennt. Seine vier heiligen Regeln sind: totale Liberalisierung der Kapital-, Waren-, Dienstleistungs- und Patentströme; Privatisierung des öffentlichen Sektors; Deregulierung und Flexibilisierung aller Sozial- (insbesondere der Arbeits-) Beziehungen. Dieser "Consensus" wird weltweit durchgesetzt von den Söldnerorganisationen des internationalen, meist amerikanischen Finanzkapitals: der Welthandelsorganisation, des Weltwährungsfonds und der Weltbank. Thomas Friedman, früherer Assistent von Ministerin Madeleine Albright, schreibt: "Damit die Globalisierung funktioniert, dürfen die Vereinigten Staaten nicht zögern, als die unbesiegbare Weltsupermacht zu agieren, die sie sind. Die unsichtbare Hand des Marktes funktioniert nicht ohne die sichtbare Faust. McDonalds kann nicht prosperieren ohne McDonnel-Douglas, Fabrikant der Kampfflieger F-15. Die sichtbare Faust sichert auf der ganzen Welt den Sieg der Technologieprodukte aus dem Silicon Valley. Diese Faust sind die Landstreitkräfte, die Marine, die Luftwaffe und das Marinekorps der Vereinigten Staaten." Am 28.10.2001 erklärte George W. Bush anläßlich der Kongreßdebatte über das neue Ermächtigungsgesetz in Sachen Außenhandel ("Trade Promotion Authority Act"): "Die Terroristen haben das World Trade Center angegriffen. Wir werden sie besiegen, indem wir den Welthandel noch energischer liberalisieren." Und vor der Welthandelskonferenz in Doha, November 2001, sagte sein Außenhandelsminister Robert Zoellnik: "Die befreiten Kapitalflüsse sind nicht nur ökonomisch äußerst effizient. Sie befördern in der ganzen Welt auch die ethischen Werte der Freiheit." * Globalisierung ist täglicher Terror. Alle sieben Sekunden verhungert ein Kind unter zehn Jahren. Alle vier Minuten verliert ein Mensch das Augenlicht wegen Mangel an Vitamin A. Über 100 000 Menschen sterben jeden Tag am Hunger oder seinen unmittelbaren Folgen. 828 Millionen Kinder, Männer und Frauen waren letztes Jahr permanent schwerstens unterernährt. Die FAO errechnet: Die Weltlandwirtschaft könnte heute ohne Probleme zwölf Milliarden Menschen ernähren. Ohne Probleme heißt, jedem Menschen jeden Tag 2700 Kalorien Nahrung geben. Die gegenwärtige Erdbevölkerung beträgt 6,2 Milliarden. Es gibt keine Fatalität, nur imperiale Vernichtung und Arroganz. Wer heute am Hunger stirbt, wird ermordet. Wer Geld hat, ißt und lebt; wer keines hat, hungert, wird invalid und/oder stirbt. * Vor über 2000 Jahren schon schrieb Marc Aurel: Imperium superat regnum. Das Imperium unterwirft sich alle anderen Mächte. Die Oligarchie des amerikanischen Finanzkapitals beherzigt diese Lektion aufs Trefflichste. Die amerikanische Präsidentschaft hat den Vertrag über das Verbot der Fabrikation und des Verkaufs von Anti-Personen-Minen abgelehnt. Sie hat das Kyoto-Protokoll zur Kontrolle der Vergiftung der Luft durch CO2-Ausstoß sowie den Vertrag zur Kontrolle der interkontinentalen, ballistischen, mit Atomsprengkörpern bestückten Flugkörper widerrufen. Sie weigert sich, das Protokoll zur Kontrolle der biologischen Waffen zu unterzeichnen. Sie bekämpft die OECD-Konvention zur Kontrolle der weitgehend kriminellen Offshore-Märkte. Den internationalen Strafgerichtshof (Konvention von Rom 1998) verwirft sie. Jede Art militärischer Abrüstung ist ihr ein Greuel. Das Imperium tätigt im Jahr 2002 allein 42 Prozent aller Militärausgaben der Welt. * Nichts und niemand kann den fürchterlichen Angriff auf die New Yorker Zivilbevölkerung vom 11. September 2001 erklären, geschweige denn rechtfertigen. Über 3000 Menschen aus 62 Nationen sind innerhalb dreier Stunden ermordet worden. Aber auch das schlimmste Verbrechen darf die rechts staat lichen Grundsätze einer zivilisierten Gemeinschaft, wie es die amerikanische ist, nicht außer Kraft setzen. Die Terrorbombardements der amerikanischen Luftwaffe auf die afghanischen Städte und Dörfer von Oktober bis Dezember 2001, die menschenunwürdige Behandlung der Kriegsgefangenen sowie die Weigerung, die Genfer Konvention in Afghanistan zu respektieren, sind die Markenzeichen imperialer, menschenverwüstender Arroganz. Bush und seine Akkoliten aus Texas definieren autonom - jenseits aller Völkerrechtsgrundsätze -, wer ein Terrorist ist und wer nicht. James H. Hatfields akribisch recherchiertes Buch zeigt den Direkteinfluß der texanischen Ölmilliardäre auf die Familie Bush. Der weltweite Krieg gegen den Terror hat einiges zu tun mit der Profitmaximierung der Investitionen im internationalen, insbesondere mittelöstlichen und zentralasiatischen Erdölgeschäft. Unheimlich ist mir auch die Doppelzüngigkeit des Imperiums. Bush pachtet für sich die menschliche Zivilisation, ihre Moral und deren Verteidigung. Gleichzeitig duldet er die schrecklichen Kriegsverbrechen der Regierung Scharon in Palästina, insbesondere das Massaker an Hunderten von Frauen, Männern und Kindern im Flüchtlingslager von Dschenin, in Ramallah und Nablus im April 2002. Mit großzügigem Schuldenerlaß beschenkt er Vladimir Putin, der in Tschetschenien die Zivilbevölkerung massakriert. Den türkischen Folterschergen läßt er Waffen und Kredite in Milliardenhöhe zukommen. Traurig als Europäer und Sozialdemokrat stimmt mich die unterwürfige Lakaienmentalität, die so viele meiner Genossen und Genossinnen aus der Sozialistischen Internationale gegenüber den stumpfsinnigen Weltherrscher-Aspiranten in Washington an den Tag legen. Gerhard Schröder und Anthony Blair sind nicht die einzigen. * Am Nachmittag des 9. November 2001 präsentierte ich meinen Bericht über das Recht auf Nahrung vor der UNO-Generalversammlung in New York. Am Vormittag wurde ich vom Editorial Board der New York Times zu einem Gedankenaustausch in den Hauptsitz der Zeitung, ins Haus No. 229 West 43. Straße eingeladen. Ich stand Rede und Antwort. Am Gesprächsende stellte ich meinerseits eine Frage: "Wie soll man als Europäer die gegenwärtige Strategie der Administration Bush in Zentralasien verstehen?" Roger Normand vom Center for Social and Economic Rights, der ebenfalls am großen, runden Holztisch saß, antwortete: "It's oil and the military." Alle Anwesenden nickten zustimmend. * Ich kenne kaum ein faszinierenderes, vielfältigeres und kreativeres Volk als die Amerikaner. In Greenwich Village und an der Columbia University habe ich während vier Jahren mehr über die Menschen und die Welt gelernt als während irgendeiner anderen Zeit meines Lebens. Amerikanische Gastfreundschaft und Warmherzigkeit sind mir unvergeßlich. Die amerikanische basisdemokratische Opposition gegen die Rassengesetze in den frühen sechziger, die Opposition gegen den Mörderkrieg in Vietnam in den frühen siebziger Jahren sind Sternstunden der Menschheit. Amerikanische Studentinnen und Studenten, Gewerkschafter, Priester, Schriftsteller, Journalisten, einfache Bürgerinnen und Bürger haben leuchtende Seiten in das Buch der Geschichte geschrieben. Michael Harrington, der Freund von Willy Brandt, ist mir unvergeßlich. Hatfield und sein großartiges Buch gehören in die lange Reihe dieses für alle Völker der Welt beispielhaften Widerstandes. Er hat diesen Widerstand mit seinem Leben bezahlt. Wir schulden ihm Bewunderung, Dankbarkeit und Solidarität.
Erschienen in Ossietzky 10/2002 |
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