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Doch dieses Bündnis, die Hauptleistung dieser Regierung gegen Rechts, ist mehr Schein als Sein. Es bewertet offenbar jeden Bittbrief und jeden Anruf als Beitrittserklärung. Seine Aktivitäten beschränken sich im wesentlichen auf eine jährliche Festveranstaltung für Honorationen mit anschließendem Buffet. Was die Bundesregierung zum Kampf gegen Rechts beiträgt, besteht aus - inzwischen seltener werdenden - großen Worten und wenig Geld. So hat das Bündnis für Toleranz Ähnlichkeiten mit dem Bündnis für Arbeit. Die Arbeitslosigkeit hält an, die Gewalt von Rechts desgleichen. Aber die Arbeitslosenstatistik wird verschönert, und über Bluttaten junger Rechtsextremer erfährt die Öffentlichkeit fast gar nichts mehr. Das Gegenteil war versprochen worden: Die Öffentlichkeit sollte zuverlässiger informiert werden. Nachdem Kanzler Schröder im Oktober 2000, veranlaßt durch den im Ausland stark beachteten gewaltsamen Tod jüdischer Aussiedler in Düsseldorf, den »Aufstand der Anständigen« ausgerufen hatte, wurde eine neue, angeblich viel bessere, weil endlich zutreffende Erfassung rechter Gewalt- und Straftaten eingeführt. Doch sie hat sich seither als ähnlich unzuverlässig herausgestellt wie die vorherige. Oder als noch unzuverlässiger. Als ich 1992 nach den Morden und Brandstiftungen in Mölln, Solingen, Rostock und Hoyerswerda begann, die damalige Regierung jeden Monat nach rechtsextremistischen und antisemitischen Straftaten zu befragen, wollte sie anfangs überhaupt nicht antworten. Stattdessen verwies sie auf die polizeiliche Kriminalstatistik und den einmal im Jahr vorgelegten Verfassungsschutzbericht. Es dauerte Jahre, bis man sich endlich bequemte, zu antworten. Aber die von den Innenministern des Bundes und der Länder präsentierten Angaben über das Ausmaß rechter Gewalt erwiesen sich immer wieder als unzutreffend, offensichtlich bagatellisierend. Im November 2000, als Tagesspiegel und Frankfurter Rundschau - auch mit Materialien aus meinem Büro - ihre Liste der Todesopfer rechter Gewalt seit 1990 vorlegten, entstand für kurze Zeit der Eindruck, daß es die Behörden nicht mehr wagen würden, weiterhin in der gewohnten Weise mit mörderischer rechter Gewalt umzugehen. Zu groß war die Differenz zwischen den nach offiziellen Angaben damals 26 und den in der Presse dokumentierten 93 Toten. Inzwischen sind über 18 Monate vergangen. Aus den 93 wurden über 100. Die amtliche Statistik dagegen nennt bis heute nur 38. Zwei von drei Todesopfern rechter Gewalt werden ignoriert. Damals, im Herbst 2000, gelobte Bundesinnenminister Schily Besserung: Er werde alle amtlichen Statistiken überprüfen lassen und ein neues Erfassungsverfahren einführen. Ergebnis war die Anhebung der amtlichen Zahl von 26 auf 38 - mehr nicht. Im Mai 2001 trat dann das neue polizeiliche Erfassungsverfahren in Kraft. Schon das vorangegangene Hickhack der Innenminister - besonders der mecklenburg-vorpommersche Minister Gottfried Timm (SPD) sorgte sich öffentlich um den Ruf seines Landes - ließ Schlimmes befürchten. Der neue »Kriminalpolizeiliche Meldedienst ›Politisch motivierte Kriminalität‹ (KPMD-PMK)«, der nun fast ein Jahr besteht, soll neben staatsgefährdender, als »verfassungsfeindlich« geltender Kriminalität auch andere politisch motivierte Taten erfassen, die sich »gegen eine Person aufgrund ihrer politischen Einstellung, Nationalität, Volkszugehörigkeit, Rasse, Hautfarbe, Religion, Weltanschauung, Herkunft, sexuellen Orientierung, Behinderung oder ihres äußeren Erscheinungsbildes« richten. Nach den guten Worten auf geduldigem Papier sollen besonders auch Angriffe auf Obdachlose oder Punks und ähnliche Gewalttaten einbezogen werden. Doch die amtliche Praxis hat sich seither nicht verbessert, sondern verschlechtert. Schilys monatliche Antworten auf meine Anfragen nach rechten Straf- und Gewalttaten im Jahre 2001 nennen kein einziges Tötungsdelikt. Demgegenüber hat allein mein Büro fünf Morde gezählt - gefunden in Presseberichten, gemeldet von Opfergruppen oder antifaschistischen Bündnissen. Am 28. März 2001 berichtete die Berliner Zeitung, ein 51-jähriger Sozialhilfeempfänger aus Grimmen (Mecklenburg-Vorpommern) sei von zwei 17 und 21 Jahre alten Männern, ebenfalls aus Grimmen, zu Tode geschlagen und getreten worden. Am 21. April 2001 berichtete die algerische Tageszeitung Le Quotidien d'Oran unter dem Titel »Rassismus. Ein junger Oraner in Deutschland ermordet« über den Mord an dem Asylbewerber M.B. Die Täter waren vier Greifswalder Jugendliche. In Bad Blankenburg erlag laut Thüringer Landeszeitung vom 29. Mai 2001 nach einer Schlägerei ein 27-jähriger seinen schweren Verletzungen. Der 24-jährige Tatverdächtige aus dem Kreis Saalfeld-Rudolstadt sei als Gewalttäter aus der rechten Szene bekannt und unter anderem wegen gefährlicher Körperverletzung und wegen eines Propagandadelikts vorbestraft. Am 9. August prügelten fünf Jugendliche in Dahlwitz (Brandenburg) einen Obdachlosen zu Tode. Keiner dieser vier Fälle ist bisher von den Behörden als rechte Gewalt erfaßt. Der fünfte mir bekannt gewordene Mordfall sei hier als Beispiel etwas ausführlicher dargestellt: In der Nacht vom 24. zum 25. März 2001 wurde der 38jährige Willi W. in Milzau (Sachsen-Anhalt) von einer fünfköpfigen Gruppe junger Männer im Alter von 15 bis 24 Jahren vor einer Diskothek zusammengeschlagen und -getreten. Drei Tage später starb er an seinen Verletzungen. Die Ermittlungsbehörden rechnen die Angreifer zur regionalen rechtsextremistischen Szene. Zwei von ihnen sind u.a. wegen Propagandadelikten vorbestraft oder nach dem Jugendstrafrecht ermahnt. Die Staatsanwaltschaft Halle sagt, die Gruppe habe mit »unglaublicher Brutalität« agiert. Sie geht von »Rache« als Motiv aus, da der 19jährige Haupttäter einige Monate vorher von seinem Opfer wegen unterlassener Hilfeleistung bei einem Verkehrsunfall angezeigt worden war. Die Diskothek, vor der Willi W. angegriffen wurde, gilt als Treffpunkt der rechtsextremen Kameradschaftsszene. Die Jugendkammer des Landgerichts Halle verurteilte alle fünf Tatbeteiligten wegen Mordes zu Haftstrafen zwischen acht und vier Jahren. Die Vorsitzende Richterin betonte, daß die Kammer einen klaren Zusammenhang zwischen der brutalen Tat und der rechten Gesinnung der Angeklagten sehe. »Erst in der Gruppe, die Gewalt und die Morde der Altvorderen verherrlicht, bekamen sie die Einstellung, eine solche furchtbare Sache zu machen«, so die Richterin (Mitteldeutsche Zeitung, 13.11.2001). Trotzdem findet sich weder in der Polizeilichen Kriminalstatistik für Sachsen-Anhalt, die Innenminister Püchel (SPD) am 13. Februar 2002 präsentierte, noch in Schilys Antworten auf meine Anfragen im Bundestag bisher ein einziges Wort über diesen offensichtlichen rechten Mord. Selbst in so eindeutigen Fällen wie diesem, wo deutsche Richter unmißverständlich geurteilt haben, schweigt die amtliche Statistik weiter. Bedarf es noch weiterer Beweise, daß die deutschen Sicherheitsapparate strukturell unfähig sind, rechtsextremistische Gewalt zu erfassen und ihr angemessen zu begegnen? Ich halte es für unausweichlich, gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit eine unabhängige Beobachtungsstelle zu errichten. Ulla Jelpke ist die innenpolitische Sprecherin der PDS im Bundestag. In ihrem Büro können weitere Informationen zu diesem Thema bestellt werden.
Erschienen in Ossietzky 8/2002 |
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