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Krise und Krieg

Der Krieg in Afghanistan ist ein Symptom für die gesellschaftliche Krise des Westens

von Gregor Kritidis (sopos)


Der Verdacht liegt nahe, daß die seit dem 11. September forciert betriebene Burgfriedenspolitik weniger auf etwaige Terroristen in der Bundesrepublik zielt, sondern vielmehr zur Legitimation eines präventiven Programms zur inneren Aufstandsbekämpfung dient.

Der Ton in den Gazetten wird rauher: Lange Zeit war lediglich von "Globalisierungskritikern" die Rede. Nachdem in Göteborg und Genua die Kritik in Protest umgeschlagen war, avancierten die "Kritiker" zu "Globalisierungsgegnern". Seit den Terroranschlägen in den USA scheint nun das Denken in Freund-Feind-Kategorien unaufhaltsam. In einem Bericht über die Friedensbewegung in der Süddeutschen Zeitung vom 15. November wurde im Zusammenhang mit der Position von ATTAC von "Globalisierungsfeinden" gesprochen. (Joachim Käppner, Zurück auf die Straße, Süddeutsche Zeitung vom 15.11.2001, S. 6). In Zeiten der "uneingeschränkten Solidarität" im Kampf gegen das "Böse", das zeigen die Debatten der letzten Wochen, wird jede Form der Abweichung unnachgiebig bekämpft. Eine derart eifrige Jagd auf Andersdenkende macht mißtrauisch. Der Verdacht liegt nahe, daß die seit dem 11. September forciert betriebene Burgfriedenspolitik weniger auf etwaige Terroristen in der Bundesrepublik zielt, sondern vielmehr zur Legitimation eines präventiven Programms zur inneren Aufstandsbekämpfung dient. Welcher Terrorist, zumal wenn es sich um einen "Schläfer" handelt, der sich völlig legal und unauffällig verhält, soll denn etwa dadurch ergriffen werden, daß der Personalausweis mit einem Fingerabdruck seines Inhabers versehen wird? Wem nützt die Stärkung der Exekutive, die zu einem Protest aller juristischen Berufsgruppen geführt hat? Warum soll die Trennung von Polizei und Geheimdiensten weiter aufgehoben werden? Steht etwa die Stasi oder die GeStaPo für eine gelungene Sicherheitspolitik?

Wer sich seiner Sache nicht sicher ist, muß zu autoritären Mitteln greifen. Eine Bundesregierung, die als Sachwalter der politischen Interessen der sozialen Eliten sich auf eine Politik der Ausgabenkürzungen, der Privatisierung und gesamtgesellschaftlichen Arbeitsverdichtung festgelegt hat, ist notwendigerweise darauf angewiesen, dem zerbröckelnden sozialen Zusammenhalt mit den Mitteln staatlicher Gewalt zu begegnen. Zogen nicht auch die Attentate auf Wilhelm I. 1878 die Gesetze gegen die "gemeingefährlichen Bestrebungen der Socialdemokratie", die sogenannten Sozialistengesetze, nach sich?

Die von der Bundesregierung geplanten bzw. bereits verabschiedeten Gesetze zur inneren Sicherheit zielen nicht in erster Linie auf den internationalen Terrorismus, sondern auf den potentiellen inneren Feind. Dem Sozialabbau folgt der Demokratieabbau auf dem Fuße. Gleiches gilt für die "Antiterrormaßnahmen" in den anderen westlichen Staaten. Die Financial Times brachte Mitte Oktober diesen Tatbestand unverhohlen zum Ausdruck:

"Die Bewegung gegen die Globalisierung war im Wesen eine Bewegung des Selbstzweifels im kapitalistischen Westen, der den Planeten globalisierte. Während die USA in der Offensive sind, befindet sich die antikapitalistische Bewegung auf dem Rückzug. (...) Diejenigen, die befürchten, daß der Aktivismus gegen die Globalisierung eine Bremse für den Beginn einer neuen Runde der Liberalisierung des Handels durch die Welthandelsorganisation werden könnte, fühlen jetzt, daß die Aktivisten ignoriert werden können. Die antikapitalistische Allianz tritt jetzt einem mehr als zuvor mobilisierten und entschlossenen Establishment gegenüber. Aktivisten, die sich angewöhnt hatten, die revolutionäre Rhetorik zu genießen, halten jetzt ihren Mund geschlossen".[1]

Wer sich seiner Sache nicht sicher ist, muß zu autoritären Mitteln greifen.

Die ideologische und politische Agressivität, mit der gegen Kritiker am Krieg in Afghanistan und einer Entsendung deutscher Truppen vorgegangen wird, verweist auf die innere Schwäche der Bundesregierung. Diese politischen Konflikte, die ein breites soziales Unterfutter haben, werden mit der gegenwärtigen Rezession zunehmen. Das Versprechen marktradikaler Ideologen, die "Globalisierung" biete der breiten Mehrheit der Weltbevölkerung eine Perspektive, bröckelt unter dem Eindruck der wirtschaftlicher Stagnation, in den Arbeiterquartieren und Slums der Dritten Welt hat an derartige Mythen ohnehin niemand geglaubt.

Die Eilfertigkeit, mit der auch hierzulande ein militärisches Vorgehen gegen "den Terror" propagiert wurde, hat nicht allein mit unmittelbaren ökonomischen und geostrategischen Interessen zu tun. Sicher, es geht um den Zugriff auf das kaukasische Öl, und die Art und Weise, wie von den beteiligten Großmächten und den USA um die zukünftige afghanische Regierung gefeilscht wird, verweist auf die Bedeutung dieser Angelegenheit. Es geht aber auch um die grundsätzliche Frage, wie die bestehende Weltordnung aufrechterhalten und gesichert werden kann. Die UN sei mit der Neuordnung Afghanistans überfordert, vermerkt etwa Karl Grobe in einem Kommentar in der Frankfurter Rundschau; "an auswärtigen Interessen, die mit dem Öltransportgeschäft zusammenhängen, und internen, deren Gegenstand der Drogenhandel ist, können sie nur scheitern."[2] Die Financial Times spricht etwas allgemeiner von der "Notwendigkeit eines neuen Imperialismus" und propagiert: "In dieser Welt muß eine neue Ordnung etabliert werden". Die Rede Tony Blairs auf dem Parteitag der Labour Party faßte das Blatt folgendermaßen zusammen:

"Blair betrachtet die gegenwärtigen Ereignisse als Gelegenheit zur Neuordnung der Welt. Es kann jedoch sein, daß nicht einmal er sich vergegenwärtigt, wie radikal diese Neuordnung sein muß. Dieses Ziel bringt eine Transformation unserer Herangehensweise an das Thema der nationalen Souveränität mit sich - ein grundlegender Baustein der heutigen Welt. (...) Afghanistan ist nur ein Beispiel für die sich auflösenden Staaten, welche die internationale Weltordnung bedrohen. Die einzige Lösung besteht im aktiven Eingreifen des Westens," wobei vor allem "der Repressionsapparat von außen auferlegt werden" müsse.

Zweifel am Gelingen sind angebracht, denn dazu sind die Widersprüche zu groß. Man muß schon einige ideologische Anstrengungen unternehmen, um aus der gegenwärtigen Lage noch eine "zivilisierte" Weltordnung herauszudestilieren: Jahrzehntelang (und immer noch) unterstützt man durch und durch korrupte und reaktionäre Regimes, die nur mit politischen und polizeilichen Terror ihre Macht erhalten können; abtrünnige Teile der sozialen Eliten dieser Gesellschaften instrumentalisiert man als Streitmacht gegen die Sowjetunion respektive Rußland und läßt sie von Tschetschenien bis nach Bosnien überall antreten. Wenn sich diese Leute gegen einen selbst wenden, agitiert man gegen das, was man selbst in der Welt ständig praktiziert: Terror gegen Unschuldige, wobei man das Völkerrecht den eigenen Interessen gemäß biegt und bricht. Sodann bricht man einen Krieg von Zaun, wobei man sich mit dem pakistanischen Militärdiktator, den man schnell zum "Präsidenten" adelt, verbündet, um eine Räuberbande gegen eine andere auszuwechseln. Die Nordallianz besorgt allerdings die Geschäfte der russischen Konkurrenz, ein Makel, den man nun unter dem Motto der demokratischen Repräsentanz aller Bevölkerungsgruppen in Berlin diplomatisch auszubügeln trachtet. Am grundsätzlich gewalttätigen und terroristischen Gesamtzusammenhang ändert das nichts. Diese Weltordnung als prinzipiell friedlich und demokratisch zu legitimieren, dürfte zunehmend schwer fallen. Selbstzweifel bezüglich des eigenen Gesellschaftssystems sind das mindeste, was man in Anbetracht dieser internationalen Entwicklungen haben sollte.


Anmerkungen

[1] Auch im folgenden zitiert nach der griechischen Wochenzeitung Prin vom 14.10.2001. Da es sich um eine Rückübersetzung aus dem Griechischen handelt, sind leichte Abweichungen gegenüber dem Original nicht auszuschließen.

[2] FR vom 14.11.2001

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https://sopos.org/aufsaetze/3bfe7bd243f74/1.html