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New Economy - old theory

Die Regulationstheorie am Ende der Fahnenstange?

von Bernd Röttger


Angesichts des derzeitigen Wandels der kapitalistischen "Betriebsweise" und der regulatorischen Institutionen führt die anhaltende Fixierung auf die Strukturen des Fordismus in eine Krise der Theorie.

Es genügten zwei regulationstheoretische Veröffentlichungen, um Mitte der 80er Jahre einen Paradigmenwechsel in der kritischen Sozialwissenschaft einzuleiten.[1] Wandelte die Gesellschaftskritik vorher eher auf den Pfaden allgemeiner Bestimmungen kapitalistischer Produktionsverhältnisse und des bürgerlichen Staates ("Staatsableitungsdebatte"), balancierte sie sich nun in Analysen nachfordistischer Restrukturierung von Ökonomie und Gesellschaft neu aus. Die in Frankreich entstandene Theorie der Regulation wurde (neben der Rezeption der politischen Theorie Antonio Gramscis) zu einem entscheidenden Vehikel für eine nicht-ökonomistische Neupositionierung kritischer Gesellschaftstheorie. Sie entfaltete sich in höchst unterschiedlicher Weise: zum einen auf der Grundlage von marxistischer Werttheorie und Tendenzgesetzen der Profitrate, zum anderen auf der Grundlage keynesianischer Nachfragekonzeptionen und preistheoretischer Überlegungen.[2] Der Regulationsansatz beanspruchte von Beginn an, sowohl eine allgemeine Theorie des Kapitalismus und seiner Periodisierung als auch Theorie eines historisch-spezifischen Entwicklungsmodells - des Fordismus - zu sein. Angesichts des derzeitigen Wandels der kapitalistischen "Betriebsweise" und der regulatorischen Institutionen führt die anhaltende Fixierung auf die Strukturen des Fordismus jedoch in eine Krise der Theorie.

Doppelcharakter einer Theorie

Der Januskopf der Regulationstheorie begründete ihre Attraktivität: Offen für grundsätzliche Kapitalismuskritik war sie als "Theorie mittlerer Reichweite" gleichzeitig auch empirisch anschluß- und letztlich mainstreamfähig. Sie war der Versuch, mittels eines makroökonomischen und institutionellen Analyseinstrumentariums den krisenhaften Wandel kapitalistischer Gesellschaften zu ergründen. Sie arbeitete sich somit an dem ab, woran die ökonomistische Marx-Adaption scheiterte. Als ein Ansatz der Kritik der politischen Ökonomie hat die Regulationstheorie zwei Dimensionen zu integrieren: erstens die Kritik theoretischer Vorläufer und konkurrierender Erklärungsansätze, zweitens die Kritik an den realen Ausbeutungs-, Unterdrückungs- und Machtverhältnissen. In der Regulationstheorie wurde vor allem die Kritik an der neoklassischen Ökonomie (Robert Boyer) und an einem wesentlich von Louis Althusser bestimmten strukturalen Marxismus (Alain Lipietz) akzentuiert, während die Kritik fordistischer Unterordnungs- und Zurichtungsverhältnisse unterbelichtet blieb. Sie findet sich noch in den frühen Arbeiten von Michel Aglietta und Lipietz, ist aber mit anhaltender nachfordistischer Restrukturierung weitgehend einer sozialstaatlichen Verklärung des Fordismus gewichen.

Nach einer Durststrecke in den frühen 90er Jahren, in denen innerhalb der sozialwissenschaftlichen Linken vor allem die regulationstheoretischen Defizite diskutiert wurden und die empirischen Ungereimtheiten Kopfzerbrechen bereiteten[3], ist die Regulationstheorie seit der zweiten Hälfte der 90er Jahre mit den neuen Globalisierungs- und Regionalisierungsdebatten zu neuen Ehren gelangt. Deren Grundannahmen sind eigentümlich deckungsgleich mit bestimmten regulationstheoretischen Prämissen. Zwei sind hervorzuheben: erstens die These, daß der Kapitalismus in Strukturen eingebettet werden muß, die ihn beschränken. In den "Grenzen der Globalisierung", wie sie inzwischen allerorts konstatiert werden, artikuliert sich die Tatsache, daß Akkumulation bzw. kapitalistische Reproduktion grundsätzlich von den unterschiedlichen Maßnahmen politischer Regulation abhängig ist. Eine stabile ökonomische Entwicklung - so die verbreitete These - wird es ohne politische Beschränkungen, ohne "soziale Rückbettung" und regionalpolitische Anbindung, kurz: ohne Regulation des Marktes nicht geben.

Die zweite Prämisse ist die Vorstellung von der Existenz unterscheidbarer Formationen kapitalistischer Entwicklung, die sowohl in der Industriesoziologie ("neue Managementformen") als auch in der Politik- ("neue Staatlichkeit") und der Wirtschaftswissenschaft ("New Economy") die Runden macht. Diese neuen Verhältnisse werden begrifflich von der fordistisch strukturierten Epoche der Sozial- und Wohlfahrtsstaaten abgesetzt ("Postfordismus"), um die These der Durchsetzung einer neuen Qualität von Ökonomie und Politik zu stützen.

Erfassung der Endlichkeit

Eine nachfordistische Regulation war auf der Grundlage der kapitalistischen Produktionsverhältnisse des Fordismus und der Zuspitzung ihrer weltgeschichtlichen Widersprüche kaum zu denken.

Allerdings gibt es auch wesentliche Unterschiede zwischen der Regulationstheorie und der Globalisierungs- bzw. Regionalisierungsrhetorik. Alain Lipietz hat mit dem Begriff der Regulation als einer gesellschaftlichen "Fundsache" nicht eine technokratische Regulierung im Sinne einer Optimierung und "sozialen Gestaltung" eines kapitalistischen Verwertungsprozesses im Auge gehabt, sondern Klassenkonflikte und politische Kämpfe, die quasi unbeabsichtigt die Herausbildung einer Regulationsweise zur Folge haben. Regulation als "Fundsache" bedeutet - in Abgrenzung zum aktuellen Diskurs - die Verabschiedung von jeder irgendwie gearteten Idee eines notwendigen "Entsprechungsverhältnisses" von prosperierendem Akkumulationsregime und einem kohärenten Set regulativer Normen und Institutionen. Der Begriff Regulation verweist nicht auf die (notwendige) Durchsetzung von "Reproduktionsanforderungen" im Sinne von Sachzwängen oder "guter Politik", sondern vor allem auf das Primat der Machtverhältnisse und der Hegemonie, deren Ausgestaltung grundsätzlich offen ist. Das bedeutet auch - in bester Tradition materialistischer Geschichtstheorie - kapitalistische Formen sozialer Ungleichheit und politischer Unterdrückung nicht als naturbedingt zu verhandeln, sondern als Quelle gesellschaftlicher Konflikte und historischer Veränderung zu begreifen.

Ein weiterer Unterschied besteht darin, daß die regulationstheoretische Periodisierung des Kapitalismus letztlich auf die Erfassung seiner Endlichkeit zielt. Der Regulationsprozeß bezeichnet die Transformation der sozialen Beziehungen und die Schaffung neuer Formen, in denen die kapitalistische Produktionsweise auf eine relative Dauer gestellt und eine "lange Welle" stabiler Reproduktion hervorgebracht wird. In der Regulation konstituiert sich die Hegemonie der bürgerlichen Klasse samt ihrer Fähigkeit, sie begünstigende soziale Tendenzen dauerhaft zu machen.

Die Regulationstheorie unterschied dabei Phasen der "régulation à l'ancienne", der "régulation concurrentielle" und der fordistischen "régulation monopoliste": Diese Regulationsverhältnisse waren unmittelbar auf die ökonomische Dynamik des historischen Kapitalismus bezogen, d.h. auf die Verdrängung feudalistischer Strukturen, auf die Verallgemeinerung kapitalistischer Produktionsverhältnisse und auf die im Fordismus realisierte, internationale Konzentrationsbewegung des Kapitals als der "höchsten Stufe" des Kapitalismus. Eine nachfordistische Regulation war auf der Grundlage dieser kapitalistischen Produktionsverhältnisse und der Zuspitzung ihrer weltgeschichtlichen Widersprüche kaum zu denken. Die sozialistische Aufladung der Regulationstheorie hat Alain Lipietz einmal als "rationalistische Endzeiterwartung" charakterisiert.

Lücken über Lücken

So notwendig die regulationstheoretisch inspirierte Reorientierung der Gesellschaftskritik in den 80er Jahren gewesen war, nach über 15 Jahren Analyse des nachfordistischen Kapitalismus werden immer mehr Ungereimtheiten an die Oberfläche gespült. Sie stellen die Regulationstheorie - nicht nur als empirisches Forschungsprogramm - zunehmend in Frage. In der gegenwärtigen Verfassung stößt der regulationstheoretische Zugriff auf die nachfordistischen Veränderungen auf erhebliche Probleme. Sie verweisen auf die Borniertheit eines sich immer mehr formalisierenden Forschungs- und Deutungsrepertoires, das sich in einer Standardisierung des verwendeten Indikatorensystems, d.h. eines mehr oder weniger fixierten "Settings" zu analysierender institutioneller Formen der Regulation, und einer zunehmenden Mathematisierung, d.h. einer Orientierung auf makroökonomische Stabilitätsanforderungen, ausdrückt. Es ist vor allem diese Formalisierung, durch die die Regulationstheorie immer weniger geeignet scheint, analytisch in die herrschenden Verhältnisse zu beißen. Eine kritische Rekonzeption der Regulationstheorie wird es nur auf der Grundlage einer "rücksichtslosen Kritik alles Bestehenden" (Marx) - auch des eigenen Forschungsrasters - geben.

Einigkeit bei den Fakten

So befindet sich die Regulationstheorie heute an einem Scheideweg. Entweder sie ergibt sich der allgemeinen (Globalisierungs-) Litanei von der Entbettung marktlicher Prozesse von 'der Politik', geht in der damit zusammenhängenden euphemistischen Umdeutung nationalstaatlicher oder regionaler Politik auf und wird damit eher zu einem Komplement neoliberaler Theoriebildung als zu deren kritischem Gegenüber. Oder Regulationsverhältnisse des nachfordistischen Kapitalismus werden wieder verstärkt auf Veränderungen in der ökonomischen Betriebsweise des Kapitalismus und der Transformation gesellschaftlicher Kräfte- und Machtverhältnisse bezogen, d.h. sie rekonstruiert sich als kritische Gesellschaftstheorie.

Ungeachtet massiver Umbrüche des Weltsystems, der nachdrücklichen Veränderung politisch-ideologischer Kräfteverhältnisse und der Durchsetzung neuartiger betrieblicher und gesellschaftlicher Zugriffe auf die Arbeit wird nach wie vor eine seit den 70er Jahren anhaltende Krise des Fordismus beredet und vorwiegend über das Nicht-Entstehen einer nachfordistischen Formation des Kapitalismus schwadroniert. Die Veränderungen in den so genannten "intermediären Verhältnissen" des nachfordistischen Kapitalismus wurden mittlerweile hinreichend untersucht. In den intermediären Verhältnissen nimmt die historische Ausformung von Akkumulation (Ökonomie) und Regulation (Politik) Gestalt an - insbesondere das Geld- und Lohnverhältnis sowie die Konkurrenz- und Weltmarktverhältnisse. Weitgehend einig sind sich diese Analysen bei den empirischen "Fakten". In der Frage aber, ob die Transformationsverhältnisse nach wie vor als Krisenmomente des Fordismus oder als Durchbruch zu einer neuen historischen Formation des Kapitalismus zu interpretieren sind, scheiden sich die Geister komplett. Während der Durchbruch zum Shareholder-Value-Kapitalismus für die einen aufgrund seiner makroökonomischen Widersprüche und Krisenanfälligkeit kein neues Regime darstellen kann, steht er für die anderen paradigmatisch für die neue Formation des Kapitalismus, und zwar wegen der in ihm aus dem Zusammenspiel von Weltmarktstrukturen und Interessen wirkenden "transnationalen Herrschaftssynthese".

Die Regulationstheorie hat offensichtlich ihre Maßstäbe für die Bewertung der kapitalistischen Entwicklung eingebüßt. Nicht umsonst stehen seit geraumer Zeit die theoriestrategischen Beschränkungen des Regulationsansatzes im Mittelpunkt der Diskussion. Die sich als kritisch verstehende Forschung arbeitet systematisch daran, die Regulationstheorie zu erweitern, um ihre "Leerstellen" zu füllen: von der schon früh konstatierten "soziologischen Lücke" und den staatstheoretischen Defiziten, über die Fixierung auf nationalstaatliche Regulationsverhältnisse, bis zu der in jüngerer Zeit beklagten Ausblendung von Geschlechter- und Naturverhältnissen. Nur: wie viele Lücken kann eine Theorie eigentlich aufweisen, um nicht als "Grundgerüst" einer kritischen Gesellschaftstheorie zusammen zu purzeln? Die immer ausgefuchster werdende Methoden-Beliebigkeit der Regulationstheoretiker erledigt jedenfalls einen strukturierten kritischen Gesellschaftsbegriff gleich mit.

Neue Betriebsweisen

In der "Kultur des Marktes" wird die fordistische Herrschaft der Juristen durch das sich einlagernde Diktat der Betriebswirte auch im politischen Prozeß zwar nicht vollständig abgelöst, aber doch wirkungsmächtig ergänzt.

Es gehört zu den grundlegenden Charakteristika des nachfordistischen Kapitalismus, "diskontinuierlichen Wandel" zu erzeugen. Die systemimmanente Revolutionierung der Produktivkräfte kommt nicht mehr in langen Produktzyklen modellhafter Innovation (wie z.B. die berühmten Fließbänder des Fordismus) zum Ausdruck, sondern tendiert zu einer permanenten Neudefinition von Produktions- und Tauschnormen auf der Grundlage einer Neuordnung globaler und regionaler Unternehmensnetzwerke. Dieses Wechselspiel von globaler und regionaler Reorganisation ist zugleich ein wesentlicher Regulationsmodus für das nachfordistische "game of profit making" entlang von Wertschöpfungsketten, die das Ausbeutungsverhältnis zwischen Zentren und Peripherie neu strukturieren. In ihnen bilden sich aber nun keine eindeutigen neuen Branchendominanzen, Hierarchien in der internationalen Arbeitsteilung und hegemoniale Formen der Arbeitsorganisation aus, die analog zum Fordismus zu untersuchen wären und die den Durchbruch zu einer neuen Formation dokumentieren könnten. Der aktuelle empirische "Durchhänger" der Regulationstheorie hat vor allem hier seine Wurzeln: Sie ist ihres angestammten Gegenstandes beraubt und kommt daher mit ihrem standardisierten Forschungsrepertoire nicht mehr weiter.

So geht es in der als "New Economy" bezeichneten Transformation der Betriebsweise des Kapitalismus nicht zuvorderst um alte und neue Wirtschaftszweige, sondern um unterschiedliche ökonomische Regeln, die sich in einer Neuordnung vorherrschender Bearbeitungsformen ökonomischer Widersprüche ausdrücken (z.B. Tendenzen zur Betriebsvergemeinschaftung und der Durchsetzung neuer Partizipationsformen jenseits festgelegter Mitbestimmungsrechte). Mit der Erosion fordistischer Regulationsverhältnisse in der Branchenhierarchie und den gleichzeitig sich durchsetzenden Formen "mikrosozialer Regulation" (Klaus Dörre) durch wettbewerbskorporative Koalitionen vor allem auf regionaler Ebene entsteht eine neue Form der "Reproduktions-Regulation". In sie ist nicht nur interessenpolitischer Rückschritt eingeschrieben, weil 'Unternehmer'- und 'Arbeitnehmer'-Interessen vorgeblich verschmelzen, sondern es werden auch neue Formen der politischen "Einbettung" der Akkumulation in regionalen Wettbewerbskoalitionen erprobt. In den regionalen Entwicklungskoalitionen entwickeln sich nicht "Regionen für sich", die eine alternative Entwicklungsoption eröffnen, sondern neue Formen der politischen Konstitution des kapitalistischen Marktes. Darin ist eine neue Qualität der Imperative der Kapitalverwertung eingeschrieben. Ausgehend von diesen neuen Organisationsformen eines Ausbeutungsverhältnisses ließe sich der technisch-ökonomische Kern der nachfordistischen kapitalistischen Formation samt seiner Formen sozialer Integration wesentlich präziser fassen, als dies in der gängigen regulationstheoretischen Rede von einem "finanzgetriebenen Akkumulationsregime"[4] bisher gelingt.

Primat der Institutionen

Schließlich verändern sich die Terrains der Kämpfe und damit die Orte, an denen um Hegemonie gestritten wird. Insbesondere die nachfordistische Ökonomisierung der Zivilgesellschaft im Zuge einer neuen Phase "innerer Landnahme" der kapitalistischen Produktionsweise konstituiert eine umfassende "Kultur des Marktes" (Stephen Gill). Darin wird die fordistische Herrschaft der Juristen durch das sich einlagernde Diktat der Betriebswirte auch im politischen Prozeß zwar nicht vollständig abgelöst, aber doch im Sinne einer wettbewerbskonformen Zurichtung der Gesellschaft wirkungsmächtig ergänzt. Auf jeden Fall wird der "historische Block" des nachfordistischen Kapitalismus jenseits der bekannten "institutionellen Formen" geschmiedet.

Infolge dieser Probleme der Analyse der technischen Basis, der Produktionsbeziehungen und der hegemonialen Konfiguration können grundlegende Elemente des zeitgenössischen Kapitalismus nicht mehr gesellschaftstheoretisch eingefangen werden. Zugleich verweisen sie auf eine von Beginn an ungenügende Trennschärfe der Begriffe "strukturelle" und "institutionelle" Formen der Akkumulation, in denen sowohl die allgemeine Kapitalismustheorie wie auch die Analyse der formationsspezifischen Regulationsverhältnisse theoretisch "aufgehoben" werden sollte. Dabei ist die Unterscheidung essentiell: Strukturelle Formen verweisen auf formationsunabhängige Strukturen im kapitalistischen Entwicklungsmodus, also auf die grundlegende Widersprüchlichkeit und die allgemeinen Funktionsmodi einer Produktionsweise. Institutionelle Formen stehen dagegen für soziale Formen historisch-konkreter Widerspruchsbearbeitung, also für formationsspezifische Verhältnisse. Sie bilden auf der Grundlage von Kräfteverschiebungen ein hegemoniales System aus, in dem sich die kapitalistischen Grundstrukturen reproduzieren können. Anders gesagt, das Bürgertum stützt seine Herrschaft immer auf die Grundformen kapitalistischer Eigentums-, Produktions- und Aneignungsverhältnisse; deren Reproduktion aber kann nur in historisch variierenden hegemonialen Praxen politisch organisiert werden. In der Geschichte der Regulationstheorie wurden mit dem Begriff der "institutionellen Form" allerdings schrittweise kapitalismustheoretische "Grundfragen" ausgetrieben und eine "reife Wissenschaft" auf den Weg gebracht. Die bekannten institutionellen Formen wurden aus ihrem historischen Entstehungskontext herausgesprengt und zu allgemeinen Reproduktionsbedingungen kapitalistischer Gesellschaften stilisiert, etwa all jene verteilungspolitischen Formen, die im Fordismus eine sowohl makroökonomische wie soziale Kohärenz erzeugten (z.B. die "Tarifpartnerschaft").

Am Ende vom Anfang

Was infolge der nachfordistischen Reorganisation kapitalistischer Gesellschaftsformationen zunächst bleibt, ist ein analytisches Projekt, das den Kapitalismus als einen "bestimmten Markt" (Gramsci) - als ein hegemonial strukturiertes soziales Verhältnis - begreift.

Die sozialen Verhältnisse der neuen Formation bewirken nicht zwangsläufig einen Bruch mit der regulationstheoretischen Tradition. Fraglich ist nur, an welche Traditionslinie eigentlich anzuschließen wäre. Die Regulationstheorie als Bestandteil eines "fordistischen Marxismus" hat ihren ehemals selbstevidenten Bedeutungshintergrund eingebüßt. Mit dem Ende traditioneller Formen sozialer Konflikte und (institutionalisierter) Kompromisse in der Geschichte kapitalistischer Expansion[5] hat sie als formalisierte Theorie mittlerer Reichweite das Ende der Fahnenstange erreicht.

Was infolge der nachfordistischen Reorganisation kapitalistischer Gesellschaftsformationen zunächst bleibt, ist ein analytisches Projekt, das den Kapitalismus als einen "bestimmten Markt" (Gramsci) - als ein hegemonial strukturiertes soziales Verhältnis - begreift. Erklärungsbedürftig und hochgradig aktuell bleibt damit die regulationstheoretische Problemformulierung nach der "Art und Weise, in der sich dieses Verhältnis trotz und wegen seines konfliktorischen und widersprüchlichen Charakters reproduziert" (Lipietz). Zu stärken ist also ihr kapitalismustheoretischer Grundpfeiler. Diese Rückbesinnung auf eine hegemonietheoretische Analyseperspektive kann der entscheidende Schlüssel sein, die Regulationstheorie aus ihrer "fordistischen Hülle" zu lösen und für die Analyse des Nachfordismus zu schärfen. Regulationstheorie also am Ende vom Anfang?

Die hegemoniale "Logik" des Kapitalismus, die sich um die Konflikte der warenförmigen Organisation von Ökonomie und Gesellschaft gruppiert, macht allein noch keine neue Gesellschaftstheorie. Sie bietet aber den entscheidenden Ausgangspunkt und ist für die Rekonstruktion eines strukturierten Gesellschaftsbegriffs unabdingbar. Hier liegt übrigens auch das Verdienst des neuen Buches von Michel Aglietta[6], dessen zentrale These so lautet: "Der Kapitalismus ist eine Macht der Veränderung, die ihr Regulationsprinzip nicht in sich trägt; dieses befindet sich in der Kohärenz der sozialen Vermittlungen, die die Kapitalakkumulation auf den Fortschritt ausrichten" (S. 40). Analytisch eher schwach, methodisch eher normativ ausgerichtet, verpflichtet Agliettas polarisierende Schrift dennoch eindeutig auf die Analyse der neuen Formation des Kapitalismus, auf seine Widersprüche und hegemonialen Konstellationen. Nur in diesem wissenschaftlichen Disput wird die Regulationstheorie als kritische Gesellschaftstheorie eine Überlebenschance haben.


Anmerkungen:

[1] Alain Lipietz, Akkumulation, Krisen und Auswege aus der Krise: Einige methodische Überlegungen zum Begriff 'Regulation', in: Prokla Nr. 58/1985, S. 109-135; Joachim Hirsch/ Roland Roth, Das neue Gesicht des Kapitalismus. Vom Fordismus zum Post-Fordismus, Hamburg 1986.

[2] Zur ersten Position gehörte vor allem die "Groupe des Recherches sur la Régulation de l'Economie Capitaliste" (GRREC), aber auch Michel Aglietta und Alain Lipietz. Zur zweiten Position ist vor allem Robert Boyer vom "Centre d'Etudes Prospectives d'Economie Mathematique à la Planification" (CEPREMAP) in Paris zu zählen.

[3] Mit der regulationstheoretischen Empirie war es schon immer so eine Sache: zwar konnten vor allem zur fordistischen Dynamik in den USA und Frankreich vorzügliche empirische Arbeiten vorgelegt werden; aus der Untersuchung des "Export-Modells Deutschland" entstanden jedoch seit jeher erhebliche Probleme. Die Grundannahme einer abnehmenden Bedeutung des Außenhandels infolge der Veränderung von Konsummustern und neuer Branchenhierarchien war kaum mit dem auf Investitionsgüter gestützten Spezialisierungs- und Exportprofil der bundesdeutschen Industrie zu vermitteln.

[4] Vgl. insbesondere Robert Boyer, Is a finance-led growth regime a viable alternative to Fordism? A preliminary analysis, in: Economy and Society, Nr. 1/2000: S. 111-145.

[5] Vgl. Bernd Röttger, Neoliberale Globalisierung und eurokapitalistische Regulation. Die politische Konstitution des Marktes, Münster 1997, S. 89 ff.

[6] Michel Aglietta, Ein neues Akkumulationsregime. Die Regulationstheorie auf dem Prüfstand, Hamburg 2000.


Bernd Röttger ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des Forschungsinstituts für Arbeiterbildung an der Ruhr-Universität Bochum.
Der Artikel erschien zuerst in der Nr. 254 der iz3w - blätter des informationszentrums 3. welt.


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