Zur normalen Fassung

Wer sich das Hausrecht nimmt

Die deutsche Debatte um Einwanderung und Integration

von Tina Goethe und Jochen Müller



Deutschland ist kein Einwanderungsland - eine Chronologie



"Wir sind an die Grenze der Aufnahmefähigkeit von Ausländern gekommen, weil wir sie nicht mehr integrieren können," stellte Roland Koch noch im August letzten Jahres kategorisch fest. Diese Perspektive ist längst überholt, inzwischen ist man sich fast parteiübergreifend einig, daß Deutschland Zuwanderung brauche, da "das Boot immer leerer wird" (Saarlands CDU-Ministerpräsident Müller). Der Zwang zur Wettbewerbsfähigkeit in Zeiten der Globalisierung und die Rentenversorgung machten es mittlerweile erforderlich, eine "wirtschaftlich und demographisch notwendige" Zuwanderung zu organisieren.

Es wird so oberflächlich wie klar unterschieden zwischen dem "guten", weil genieß-, konsumier- und integrierbaren Anderen und dem "schlechten", das die innere Freiheit bedroht. Es geht es um "Belastungsgrenzen" der deutschen Gesellschaft.

Einwanderung ist also mittlerweile ausdrücklich erwünscht. Allerdings behält sich der Staat die Entscheidung darüber vor, wer und wieviele kommen dürfen. Das zukünftige Einwanderungsgesetz wird die quantitativen und qualitativen Grenzen des Zuzugs festlegen. Im Mittelpunkt der Reform stehen weder die Korrektur der bestehenden Politik, die Zuwanderern die politische und soziale Integration systematisch erschwert, noch die rassistischen Zumutungen, denen sich etwa diejenigen tagtäglich ausgesetzt sehen, die nicht "klassisch deutsch" aussehen. Vielmehr geht es um Selektion. Und zur Legitimation des angestrebten Auswahlverfahrens behält Kochs Rede von den Grenzen der Integrationsfähigkeit Deutschlands ihre Gültigkeit, denn er meint damit nicht etwa die deutsche Unwilligkeit, Zuwanderer zu integrieren, sondern spielt auf eine vermeintliche kulturelle Unvereinbarkeit bestimmter Einwanderergruppen mit hiesigen Gebräuchen an. Ihre "Andersheit" wird besonders hervorgehoben und damit ihr Ausschluß aus dem Pool der mit dem deutschen Wesen kompatiblen Migranten gerechtfertigt.

Es wird also nach wie vor kein Zweifel daran gelassen, "wer das Hausrecht prägt und wer zu Gast ist" (Laurenz Meyer). In der absurden Debatte um die "deutsche Leitkultur" kündigte sich die zukünftige Einwanderungspolitik an: Nach Kräften bemühten sich Leitkultur-Vertreter Charaktereigenschaften und Leistungen der Hausherren zu identifizieren, auf denen das Recht basieren könnte, Hausregeln definieren zu dürfen. Der verzweifelte Versuch, eine homogene deutsche Identität zu bestimmen, entspringt nicht zuletzt der Angst, demnächst womöglich nicht mehr "Herr im eigenen Hause" zu sein. Gegen diese Angst werden einige ureigenste Funktionen des durch politische, wirtschaftliche und kulturelle Phänomene der Globalisierung in vielfältiger Hinsicht bedroht gesehenen Nationalstaats ins Feld geführt: Grenzsicherung, Staatsangehörigkeitsrecht und Ordnungsfragen wie die Ausländerpolitik. Der Staat soll kontrollieren, was deutsch ist.

Die Gretchenfrage

Und dabei wird die kulturelle Zugehörigkeit zur Gretchenfrage. Während die einen eher auf dem Niveau der Unverletzlichkeit des deutschen Reinheitsgebotes argumentieren, führen andere den Verfassungspatriotismus[1] und die Tradition des Abendlandes ins Feld. Renate Künast formulierte "drei Grundsätze des Zusammenlebens", die ihrer Meinung nach "Europa ausmachen": Demokratie, Gleichheit vor dem Gesetz, Gleichheit der Geschlechter. Es sei zum Beispiel wichtig, einem Einwanderer aus Asien klarzumachen, daß in Deutschland der Mensch zuerst als Individuum und nicht als Teil einer Gemeinschaft verstanden werde.

Die Scheidelinie zwischen dem begrüßenswerten Phänomen der Hybridität und dem abzulehnenden des rigiden "Fundamentalismus" muß ständig kontrolliert und gesichert werden. Das schließt rassistische Gewalt und Abschiebung nicht aus.

Damit werden nun aber lediglich Ideale des bürgerlichen Nationalstaates zitiert, die dieser selbst an keinem Ort und zu keinem Zeitpunkt in seiner Geschichte tatsächlich erfüllt hätte. Kategorien, wie die von Künast genannten, dienen in der kapitalistisch verfaßten Gesellschaft schließlich dazu, den Individuen ihre Gleichheit vorzugaukeln, obwohl sie in eben dieser Ordnung gar nicht zu verwirklichen ist. Vor allem aber stehen solche Appelle an aufklärerische Traditionen wie eh und je im Zusammenhang eigener Identitätskonstitution, die danach strebt sich positiv abzugrenzen vom unzivilisierten Anderen. Auch in der Integrationsdebatte wird die Kultur von Minderheiten vornehmlich als rückständig und repressiv wahrgenommen.

Festgemacht wird dies immer wieder an den Geschlechterrollen - respektive der Unterdrückung der Frau. Neben mangelnden Sprachkenntnissen[2] sind es ein paar kulturelle Praktiken wie Zwangsverheiratung, Verschleierung oder Beschneidung, die als Wesensmerkmal der ganz anderen, vor allem der islamischen Kultur herhalten müssen und mittels derer sich noch die größten Chauvinisten zu Vorkämpfern der Emanzipation stilisieren können.[3] Hinter diesen eher spitzfindigen Vorwürfen verbirgt sich oft der ganz normale Rassismus, die Angst vor "Überfremdung". Ganz im Zeichen modernisierter, das heißt über den nationalen Rahmen hinaus gehender Identitätskonstruktionen, wird denn auch der vermeintlich homogenen fremden eine ebenso homogene, aufklärerisch geprägte "EU-Kultur" gegenübergestellt. An deren Begründung basteln gegenwärtig ganze Stäbe von Historikern und Geisteswissenschaftlern, während auf der anderen Seite - Huntington läßt grüßen - populistische Feindbilder nicht-integrierbarer, außer-europäischer Migranten dazu dienen, die Flüchtlingsabwehr zu begründen: Gruppen von Zuwanderern mit irgendwie von der europäischen abweichender Lebensart - in einem solchen Szenario wittern viele die Gefahr ethnischer Konflikte auf deutschem Boden und die Gefährdung von Ruhe, Ordnung, Reinheit und Sicherheit im Vaterland.

Solange der deutsche Staat, der nicht einmal die doppelte Staatsbürgerschaft einführen will, individuelle Rechte nur dem Kollektiv der Geburtsdeutschen, nicht aber den Nicht-Deutschen gewähren will, solange wird jede eigentlich individuell zu bestrafende Beschneidung, jeder Ausschluß eines Mädchens vom Turnunterricht oder jede Lehrerin mit Kopftuch zur Arena eines allgemeinen Kulturkampfes. In dessen Rahmen verhandelt die Mehrheitsgesellschaft ein ums andere mal die "Integrationsfähigkeit" des Minderheitenkollektivs. Solange Einwanderer keine Deutschen sein sollen, wird - statt zu diskutieren, wie die Lehrerin ihren Unterricht gestaltet - weiterhin politisch darüber gestritten und juristisch entschieden, ob ihr Kopftuch Symbol ist für eine fremde Gesamtkultur, deren Angehörige kollektiv als Bedrohung empfunden und von denen Fernbleiben oder Assimilation erwartet wird. Bevor von der migrantischen Bevölkerung irgendwelche Integrationsleistungen eingefordert werden können, müssen ihnen politische Rechte und soziale Gleichstellung gewährt werden.

Der politisch und wirtschaftlich gefragte Immigrant ist ca. 30 Jahre alt, männlich, alleinstehend, englisch-sprachig und mit guter Ausbildung. Als mittelständischer Weltbürger flieht er nicht vor Armut und Unterdrückung, sondern ist schon vor seiner Integration integriert: Er kommt in Schlips und Kragen, nicht mit Kopftuch.

Selbst dann bliebe aber die Integration noch ein einseitiger Akt, der den Staat in seiner Verfaßtheit stützt. Das deutsch-türkische Wochenblatt Persembe formulierte zwar im Februar diesen Jahres: "Wir haben es satt, die Opferrolle für euch zu spielen. Ihr verlangt von uns ´Integration´, ´Eingliederung´. Niemand fragt, ob uns der Körper gefällt, in welchen wir uns integrieren sollen. Wir wollen den Körper verändern." Der Erfolg der Strategie, Veränderungen von innen heraus zu erreichen, bleibt indes mehr als fraglich. Das ist allerdings kein Grund, politische und soziale Rechte, die eben an die Zugehörigkeit zu einem Staat geknüpft sind, gar nicht erst einzufordern. Keine andere Institution kann Menschenrechte zumindest theoretisch garantieren. Hannah Arendt analysierte diese "Aporie der Menschenrechte" als paradoxes Phänomen: "Die Garantie allgemeiner Menschenrechte wird in dem Augenblick in moderne Verfassungen aufgenommen, in dem mit der Proklamation der Nationalstaaten allgemeine Menschenrechte als nationale Rechte definiert werden." Resigniert stellt Arendt daher fest: "...daß es politisch sinnlos ist, seine eigenen Rechte als unveräußerliche Menschenrechte zu reklamieren, da sie konkret niemals etwas anderes sein können, als die Rechte eines Engländers oder eines Deutschen oder welch anderer Nation auch immer." Nationale Identität ist Voraussetzung für Rechte, die immer nur als Staatsbürger eingeklagt werden können.

Globaler Glamour

Während aber kulturelle Zuschreibungen zur Legitimation von quasi militärischer Abschottung nach außen und zur autoritären Grenzbehauptung (Lehrverbot für Kopftuchträgerinnen) nach innen dienen, wird gleichzeitig ein das Land bereicherndes multikulturelles, offenes, globalisiertes Image gepflegt. So ist auf der Ebene der Repräsentation das produktive Spiel mit kultureller Differenz inzwischen alltäglich geworden. Hautfarbe scheint dort die Dimension der Ausgrenzung verloren zu haben und wirkt beinahe wie eine private Option. Der Musiksender Viva oder die alljährliche Loveparade inszenieren Differenz mit Hilfe symbolischer Ingredienzien von Ethnizität als Ausdruck privaten Lebensstils.

Man könnte darin eine hybride Selbstinszenierung der "Neuen Mitte" Deutschlands erkennen. Die neue Mitte wäre demnach tolerant, multikulturell und demokratisch. Wie im politischen und ökonomischen Feld definiert allerdings auch hier das durch nationale und rassistische Diskurse geformte "hegemoniale Subjekt" der Mehrheitsgesellschaft, welche Abweichungen vom bunten mainstream zulässig sind. Es wird so oberflächlich wie klar unterschieden zwischen dem "guten", weil genieß-, konsumier- und integrierbaren Anderen und dem "schlechten", das die innere Freiheit bedroht. Auch hier geht es um "Belastungsgrenzen" der deutschen Gesellschaft. Die Scheidelinie zwischen dem begrüßenswerten Phänomen der Hybridität und dem abzulehnenden des rigiden "Fundamentalismus" muß ständig kontrolliert und gesichert werden. Das schließt rassistische Gewalt und Abschiebung nicht aus.

Nach dem kanadischen Vorbild wird wohl ein Punktesystem, in dem Sprachkenntnisse und berufliche Qualifikation nachzuweisen sind, entscheiden, wer angepaßt genug ist, nach Deutschland einzureisen, dort zu bleiben oder gar Deutscher zu werden.

So unterscheidet sich der pop-kulturell gewünschte Immigrant nur in Nuancen vom politisch und wirtschaftlich gefragten: Dieser ist ca. 30 Jahre alt, männlich, alleinstehend, englisch-sprachig und mit guter Ausbildung. Als mittelständischer Weltbürger flieht er nicht vor Armut und Unterdrückung, sondern ist schon vor seiner Integration integriert: Er kommt in Schlips und Kragen, nicht mit Kopftuch. Nach dem kanadischen Vorbild wird wohl ein Punktesystem, in dem Sprachkenntnisse und berufliche Qualifikation nachzuweisen sind, entscheiden, wer angepaßt genug ist, nach Deutschland einzureisen, dort zu bleiben oder gar Deutscher zu werden.

Nur einen Haken hat die Sache: Ein paar tausend Spezialisten sind zu wenig, um das Rentenloch zu stopfen. Außerdem bekommen die genauso wenig Kinder wie ihre deutschen Kolleginnen und Kollegen. 500.000 Einwanderer jährlich - diese Zahl nennt die Zuwanderungskommission und erschrickt damit die Deutschen und alle Parteien - wären nötig, um langfristig die Alterspyramide wieder in Form zu bringen und die Rentenkassen aufzufüllen. Zu diesem Zweck sollen die, die da kommen sollen, vor allem eins sein: jung und arbeitswillig. Ein paar tausend "fremde" Asylberechtigte ließen sich da schon noch verkraften.


Anmerkungen:

[1] Der von Jürgen Habermas geprägte Begriff entstand im Zuge des Historikerstreits und zielte selbst auf eine Identitätsstiftung der Bundesrepublik. Habermas grenzte ihn dabei von ethnisch-nationalen Vorstellungen ab: Die Verfassungspatriotische Bindung an abstrakte Prinzipien wie Demokratie und Menschenrechte hätte nichts mit Vaterlandsliebe zu tun. Dennoch müsse sie "sich freilich aus dem konsonanten Erbe kultureller Überlieferungen speisen". Habermas erwähnt dabei "Sprache, Literatur und Geschichte der eigenen Nation". (s. Oliver Tolmein (Hg.), Besonderes Kennzeichen D, Konkret-Verlag 2001)

[2] Meist reduzieren sich konkrete Vorschläge zu Integrationsbemühungen, die allein von den Nicht-Deutschen gefordert werden, auf den Spracherwerb, der Voraussetzung für die Eindeutschung sei. So führte die Berliner Ausländer-Beauftragte Barbara John die Arbeitslosenquote von 42% innerhalb der türkischen Community hauptsächlich auf unzureichende Sprachkenntnisse zurück. Außerdem scheitere die Integration daran, daß sich die Türken über Satellitenfernsehen, Reisen und Telefon viel zu stark mit ihrem Heimatland verbänden, was in "Selbst-Ghettoisierung" und "Ethnische Nischenwirtschaft" resultiere. Darüber hinaus würden auch Kindererziehung und Partnerwahl Integration verhindern, da viele in Berlin lebende türkische Männer Frauen aus der Türkei heiraten.

[3] Daran beteiligen sich auch kritische Geister. Vor zwei Jahren machte sich beispielsweise die Zeitschrift "konkret" auf, die Welt vor "Gesichtspelzen" und "Kopfwindeln" zu schützen. Gemünzt waren diese Metaphern auf den radikal-traditionalistischen Islamismus der Taliban, gerichtet waren sie jedoch ganz allgemein an "den Islam". Dahinter steht eine Vereinheitlichung der verschiedenen Lebensweisen von Millionen von Muslimen ebenso wie die von jeder Kritik verlassene Konstruktion einer aufgeklärten Zivilisation.



Der Artikel erschien zuerst in der Nr. 253 der iz3w - blätter des informationszentrums 3. welt .
Tina Goethe und Jochen Müller sind Mitarbeiter im iz3w.





Deutschland ist kein Einwanderungsland - eine Chronologie

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Über 7 Mio. Menschen nicht-deutscher Herkunft oder/und ohne deutschen Paß leben derzeit in Deutschland. Nach dem jahrelangen Bedrohungsszenario haben sich die Vorzeichen der Debatte wie über Nacht verändert. Der Standort Deutschland brauche Zuwanderung heißt es jetzt. Gleichzeitig konstatiert der Migrationbericht von 1999, daß die Zuzüge nach Deutschland seit 1992 kontinuierlich gesunken seien und 1998 die Fortzüge (638.955) die Zuzüge (605.500) überstiegen. Ein Negativsaldo also und das bei sinkender Deutschenzahl. Es muß etwas getan werden - und wie so oft wird zuallererst die Rhetorik angepaßt. Eine Rückschau auf 40 Jahre Einwanderung:

Die Geschichte der "ignorierten Einwanderung" nach Deutschland beginnt Ende der 50er / Anfang der 60er Jahre, als "Gastarbeiter" nach Deutschland geholt wurden. Diese sollten, so die Vorstellung, eine Zeit lang ihre Arbeitskraft zur Verfügung stellen und dann wieder in ihre "Heimat" zurückkehren. Mit dem Anwerbestopp von 1973 hätte sich "das Problem" eigentlich erledigen sollen, man erwartete, daß die nun nicht mehr gebrauchten "Gastarbeiter" Deutschland verlassen würden. Doch viele blieben und holten noch ihre Familien nach. Nun sah sich die Öffentlichkeit mit dauerhaft in Deutschland lebenden Nicht-Deutschen konfrontiert, die fortan als "Ausländer" wahrgenommen wurden. Die deutsche Staatsangehörigkeit, sprich politische und soziale Rechte, wurden ihnen nicht zugestanden. Dennoch: Akulturation wurde als möglich erachtet.

Erst Ende der 70er Jahre entdeckten Medien und Politik "das Fremde" in den Ausländern. "Fremd" waren vor allem diejenigen, die Integration nicht als Assimilation interpretiert hatten und von der Mehrheitsgesellschaft unterscheidbar blieben. Fremdsein wurde nicht als Prozeß sozialer und kultureller Konstruktion erkannt, sondern galt als natürlicher, herkunftsbedingter Zustand. Das neue Zauberwort Ethnizität sollte erklären, warum die Integration oftmals mißlang. Gerade der Bevölkerung türkischer Herkunft wurde vorgeworfen, sich selbst zu ghettoisieren. Gewalt und Kriminalität aus den Ghettos wurden vermehrt als eine für die deutsche Gesellschaft unzumutbare Bedrohung ausgemacht.

Mit der Konstituierung der Europäischen Union und der darin geltenden freien Wahl von Wohn- und Arbeitsort erhöhte sich die innereuropäische Mobilität. Zudem konnten für EU-Ausländern begrenzte politische Rechte (z.B. Kommunales Wahlrecht) durchgesetzt werden, die Nicht-EU-Bürger nicht zugestanden wurden. Damit verfestigte sich auch auf juristischer Ebene eine Unterscheidung, die in der öffentlichen Meinung längst galt und nach wie vor gilt: Es gibt fremde und weniger fremde Nicht-Deutsche, gute und schlechte "Ausländer". Allen nicht-westlichen Migranten in Deutschland wurde eine statische kulturelle Orientierung zugeschrieben, die mit demokratischen Regeln und christlichen Grundwerten unvereinbar schienen. Die von der Sozialwissenschaft entdeckte kulturelle Identität der türkischen und außereuropäischen Einwanderer galt sowohl als Resultat wie als Ursache für eine Lebensweise, die einer deutschen entgegen stehe.

In den 80er Jahren entstand so der Mythos vom Leben "zwischen zwei Kulturen", das die Betroffenen vor schwere innere Konflikte stelle. Eine zunehmende Selbstethnisierung der Deutschen, die in einem neuen Nationalismus seit der Wiedervereinigung ihren Ausdruck findet, entspricht die üblich gewordene Fremdethnisierung von Nicht-Deutschen. Es folgte die Panik vor Einwandererfluten und die Erfindung des Asylanten zu deren Eindämmung. Asyl und Flüchtlinge (1993 Reform der Asylgesetzgebung) wurden zu einem auch Wahlkämpfe beherrschenden Thema. In den 90er Jahren lieferten so Politik, Wissenschaft und Medien die Legitimierung der zunehmenden, alltäglichen rassistischen Aggressionen, die sich mehr und mehr auf Flüchtlinge außereuropäischer Herkunft konzentrieren. An der verschärften Abschottungspolitik gegenüber Flüchtlingen wird der jetzt entdeckte Einwanderungsbedarf nichts ändern. Auch für Illegalisierte, die bereits in Deutschland leben, wird es weder einen gesicherten Aufenthalt noch Möglichkeiten legaler Arbeit geben.

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