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Privatisierung gegen den Strom

Über das Stromversorgungsdesaster in Kalifornien

von Gregor Kritidis



Die Privatisierung der Stromversorgung in Kalifornien ist für jeden halbwegs denkenden Menschen deutlich sichtbar gescheitert. Nicht jedoch für die Anhänger des "freien Marktes". Die Berichterstattung in den deutschen Medien über das Privatisierungsdesaster ist wie die US-Westcoast von "Rolling Blackouts" betroffen.

Auch staatliche Unternehmen bieten in der Regel Waren auf dem modernsten Stand an; wenn so getan wird, als ob man mit staatlichen Fluggesellschaften nicht fliegen könne, oder das Telefonieren erst von den privaten Konsortien erfunden worden sei, verbirgt sich zumeist ein handfestes wirtschaftliches Interesse dahinter.

Will man dem wirtschaftswissenschaftlichen Mainstream unserer Zeit glauben schenken, stellt die Privatisierung von bisher unter staatlicher Aufsicht betriebenen Unternehmen ein Allheilmittel gegen Ineffizienz, Verschwendung und jede nur denkbare Art von Mißwirtschaft dar. Was bei den Wirtschaftswissenschaftlern gerne verklausuliert "suboptimal" oder "ineffizient" genannt wird, und in den Medien einfach "marode" heißt, erfreut sich dabei häufig bester ökonomischer Gesundheit. Auch staatliche Unternehmen bieten in der Regel Waren auf dem modernsten Stand an; wenn so getan wird, als ob man mit staatlichen Fluggesellschaften nicht fliegen könne, oder das Telefonieren erst von den privaten Konsortien erfunden worden sei, verbirgt sich zumeist ein handfestes wirtschaftliches Interesse dahinter. Ineffizient und unwirtschaftlich bedeutet in der Regel, daß kein privater Investor daran verdienen kann.

Eine derartig verengte Auffassung von Wirtschaft hat nun den Menschen an der Westcoast einige stille und dunkle Stunden beschert. Der Hintergrund dafür bildet eine bisher nicht dagewesene Energiekrise, die mehrfach zu spontanen, sogenannten Rolling Blackouts geführt hat, und die unmittelbar mit der Verscherbelung der Stromversorgung zu tun hat: Mitte der 90er Jahre war die öffentliche Stromversorgung privatisiert worden. Schon im unmittelbaren Vorfeld der Privatisierung waren keine Neuinvestitionen in Kraftwerke und Anlagen mehr getätigt worden. Die neuen Herren des Stroms sahen sich ebenfallls nicht veranlaßt, die dringend notwendigen Mittel zu investieren, ließen sich doch auch ohne eigenes Zutun mit Strom bare Dollars verdienen. Mit anderen Worten, es wurde von der Substanz gelebt. Statt notwendige Reparaturen durchzuführen, beschränkten sich die privaten Anbieter auf den höchsten Zweck jedes kapitalistischen Unternehmens, das Geldverdienen, und legten wegen immer häufiger auftretenden Störungen ca. 25% der Kraftwerkskapazitäten still. Das Ergebnis dieser Unternehmenspolitik waren zunehmende Engpässe in der Stromversorgung und damit steigende Strompreise. Innerhalb eines Jahres stieg der Strompreis an der Energiebörse um das fünfzigfache. In dieser Situation zog das oberste Gericht Kaliforniens die Notbremse und untersagte das Überwälzen der Preise auf die Stromkunden. Ausgerechnet die Republikaner und Demokraten in Kalifornien sind nun, nachdem der Notstand ausgerufen werden mußte, zu der Erkenntnis gekommen, daß die Privatisierung nicht der Weisheit letzter Schluß sein kann. Die Worte "Erpressung" und "Piraterie" machten die Runde, um die Unternehmenspolitik der Stromkonzerne zu charakterisieren.[1]

Anders als in Kalifornien gebe es in Deutschland keinen staatlichen Regulierer, der die Energieunternehmen zwinge, den Strom billiger zu verkaufen, als dessen Erzeugung tatsächlich koste. Nachtigall, ick hör dir trapsen - die US-Amerikaner sollen nicht in der Lage sein, öffentliche Unternehmen marktgerecht zu privatisieren?

Das alles hindert die Verfechter der privaten Wirtschaft in Deutschland jedoch keineswegs daran, das Gegenteil zu behaupten. So läßt etwa die Süddeutsche Zeitung in ihrer Ausgabe vom 20./21. Januar einen Vertreter der Isar-Amperwerke (IAW), Jan Kiver, lang und breit begründen, warum so etwas in Bayern nicht möglich sei. Anders als in Kalifornien, heißt es da, gebe es in Deutschland keinen staatlichen Regulierer, der die Energieunternehmen zwinge, den Strom billiger zu verkaufen, als dessen Erzeugung tatsächlich koste. Es sei den Versorgungsunternehmen per Gesetz verboten worden, höhere Preise an die Verbraucher weiterzugeben. Nachtigall, ick hör dir trapsen - die US-Amerikaner sollen nicht in der Lage sein, öffentliche Unternehmen marktgerecht zu privatisieren? In den USA, dem Land der freien Unternehmerinitiative schlechthin, soll der Staat Unternehmen zwingen, Waren unter den Produktionskosten zu verkaufen? Preiskomissare in den USA - hat man so etwas je gehört? Ist nicht aber das Versprechen der Wirtschaftswissenschaftler, die Privatisierung mache alle Waren sehr viel billiger? Wie soll es da überhaupt zu Preissteigerungen kommen? Denken ist nicht die Stärke der sogenannten Neoliberalen,[2] und auch nicht die der Redaktion der Süddeutschen: Während auf Seite 3 derselben Ausgabe auf einer Spalte die Auswirkungen der Rolling Blackouts breit getreten werden, ohne daß auch nur der Versuch unternommen wird, Gründe dafür anzugeben, darf Kiver im Bayernteil weiterphantasieren. Da ist von einem "bunten Wettbewerb" von 900-1000 Stromversorgern die Rede, als sei der deutsche Markt nicht von einer Handvoll Konzerne beherrscht. In welcher Branche - außer dem Einzelhandel vielleicht - soll es noch so viele Anbieter geben? Seit dem sogenannten Stromfrieden von 1927, als der Markt in Gebietsmonopole aufgeteilt wurde, gibt es die Form von Wettbewerb, die Herr Kiver suggerieren will, nicht mehr. Was derzeit unter dem Label Liberalisierung läuft, ist wenig mehr als ein brutaler Verdrängungswettbewerb und die Aufteilung der bislang formal unabhängigen Stadtwerke unter den Großkonzernen. Solche Ausgründuungen wie Yellow-Strom als unabhängigen Anbieter darzustellen grenzt schon an Dreistigkeit. Immerhin läßt auch Kiver durchscheinen, was auch uns blühen könnte: "Der Preisverfall im Großkunden-Segment habe dazu geführt, daß die Stromproduktion der Kraftwerke nicht mehr kostendeckend sei. Das führe zu Schließungen." Mit anderen Worten, das Preisdumping könnte auch bei uns zu kalifornischen Verhältnissen führen.

Mit dieser die Tatsachen verdrehenden Redaktionspolitik steht die Süddeutsche Zeitung unterdessen nicht alleine da. Im Deutschlandfunk wurde am 23. 1. 2001 für die Energiekrise vereinfachend der Stromhunger und die Vergeudung von Energie verantwortlich gemacht. Wie immer in solchen Fällen sind die Verbraucher Schuld, wenn der Strom nicht mehr fließt oder das Rindfleisch nicht mehr genießbar ist. Hat man jemals gehört, daß in einem modernen Industrieland ein erhöhter Verbrauch - der hier unterstellt wird - solche Folgen hat? Ist das die "optimale Allokation", die man in der Theorie des freien Marktes so gerne unterstellt?

In Kalifornien wird es nun vermutlich eine erneute Verstaatlichung der Energieversorger geben. Sozialisierung der Verluste nennt man so etwas.

Auch nicht viel besser ist dazu die Berichterstattung der Frankfurter Rundschau vom 19. Januar. Diese bringt aber noch ein neues "Argument" aus der antiökologischen Ecke. "Seit zehn Jahren sind aus Umweltschutzgründen keine neuen Kraftwerke mehr gebaut worden. Die beiden wichtigsten Stromversorger des Bundesstaates stehen am Rande des Bankrotts". Müßte das nicht eher "betrügerischer Konkurs" heißen? Immerhin muß auch die Frankfurter Rundschau zugeben, daß die Lage "durch den jüngsten Ausfall mehrerer Kraftwerke durch Reparaturarbeiten" verschärft wurde. Daß die Ökologiebewegung fälschlicherweise dafür verantwortlich gemacht wird, wenn es "Wohlstandsverluste" gibt, ist ein alter Hut. Noch vor wenigen Jahren hieß es, ohne Atomstrom gingen bald die Lichter aus. Der Zusammenhang zwischen Ökologie und Ökonomie, der hier hätte thematisiert werden können, ist aber ein völlig anderer. Effizienz in Kraftwerken heißt in erster Linie, daß mit dem Betrieb einer Anlage Profit gemacht werden soll. Gerade die Stadtwerke in der Bundesrepublik, die noch einem gewissen politisch-progressiven Einfluß ausgesetzt sind, haben von der Energiebilanz her gesehen eine höhere Effizienz. Im Zuge der Privatisierung werden aber voraussichtlich gerade diese Anlagen stillgelegt werden, da sie in der Regel weniger profitabel sind. Welches Interesse sollte ein Oligopol schon an Überkapazitäten haben?

In Kalifornien wird es nun vermutlich eine erneute Verstaatlichung der Energieversorger geben. Sozialisierung der Verluste nennt man so etwas, die Etatisten in Europa wird das freuen. Vielleicht ermöglichen den Kaliforniern die Blackouts jedoch auch, einmal grundsätzlich darüber nachzudenken, ob es nicht auch andere Möglichkeiten der Vergesellschaftung gibt. Warum es "effizienter" sein soll, wenn man statt einer staatlichen Bürokratie eine private an deren Stelle setzt, und deren Profitinteresse auch noch dazu führen soll, daß Waren billiger angeboten werden, kann zumindest nur noch den Fetischisten des "freien Marktes" einleuchten.


Anmerkungen

[1] Prin, Zeitung der Neuen Linken Strömung (Athen) vom 14. 1. 2001.

[2] Die Neoliberalen sind weder neu noch liberal, insofern ist dieser Ausdruck ein völliger Un-begriff. Aber auch der Ausdruck Neoklassiker hat seine Tücken. Vgl. den sehr amüsanten Aufsatz von Michael Krätke, Neoklassik als Weltreligion? In: Die Illusion der neuen Freiheit, Realitätsverleugnung durch Wissenschaft, Kritische Interventionen Band 3, Hannover 1999, S. 100-144.

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