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"Proletarier aller Länder, verzeiht mir?"

Plädoyer für einen zu Unrecht angeklagten Philosophen

von Michael Schmidt-Salomon

Die Anklage stützt sich auf schreckliche Fakten: Millionen von Menschen unterdrückt, verschleppt, gefoltert, ermordet, Opfer einer Doktrin, die ihre Folter- und Mordwerkzeuge, ihre Kreuzzüge gegen die Menschlichkeit offiziell begründete mit dem Verweis auf die Werke jenes Mannes, der hier und heute auf der Anklagebank sitzt: Karl Marx.

Ich kenne den Angeklagten seit vielen Jahren. Meine erste bewußte Begegnung mit ihm hatte ich als Vierzehnjähriger und war vor allem meinem "Lokalpatriotismus" zu verdanken, denn zufälligerweise wuchs ich in der gleichen Stadt auf wie der junge Marx und besuchte zudem auch noch die gleiche Schule. So kam es, daß ich mir aus reiner Neugier und ideologisch weitgehend unbelastet den Abituraufsatz meines berühmten Mitschülers vornahm. Noch heute kann ich mich gut daran erinnern, welch merkwürdiges Gemisch aus Bewunderung und peinlicher Berührung sein Deutschaufsatz bei mir hinterließ. Besonders die letzten Sätze hatten es mir angetan:

Die Geschichte nennt diejenigen als die größten Männer, die, indem sie für das Allgemeine wirkten, sich selbst veredelten; die Erfahrung preist den als den Glücklichsten, der die meisten glücklich gemacht; (...) Wenn wir den Stand gewählt, in dem wir am meisten für die Menschheit wirken können, dann können uns Lasten nicht niederbeugen, weil sie nur Opfer für alle sind; dann genießen wir keine arme, eingeschränkte, egoistische Freude, sondern unser Glück gehört Millionen, unsere Taten leben still, aber ewig wirkend fort, und unsere Asche wird benetzt von der glühenden Träne edler Menschen".[1]

Heute, nach Jahrzehnten kommunistischer Gewaltherrschaft,[2] klingen die pathetischen Worte des siebzehnjährigen Schülers merkwürdig schal. Fürwahr: Seine Asche wurde "benetzt von der glühenden Träne edler Menschen". Gleich millionenfach. Allerdings geschah dies mit Sicherheit nicht in der Weise, die Marx sich einst erträumte.

Ich werde versuchen, die komplexe Wirkungsgeschichte des Trierer Philosophen und Ökonomen Karl Marx kurz zu umreißen. Dabei werde ich in drei Schritten vorgehen. Zunächst werde ich die Unterschiede zwischen Marxismus und Leninismus erläutern und aufzeigen, daß es falsch ist, Marx für die Verbrechen des bolschewistischen Systems verantwortlich zu machen. In einem zweiten Schritt werde ich - quasi als weitere Untermauerung dieser These - darlegen, daß Marxisten und Marxistinnen im real existierenden Sozialismus entgegen einer häufig gehörten Legende keinesfalls erwünscht waren, ja daß gerade sie zu den am schärfsten bekämpften Gegnern des kommunistischen Regimes zählten. Abschließend werde ich Chancen und Risiken einer Wiederaufnahme marxistischer Gedankengänge diskutieren und die Frage stellen, inwieweit das Marxsche Werk heute noch von Nutzen sein kann, wenn es um den Aufbau einer wahrhaft offenen und gerechten Gesellschaft geht.

Marxismus-Leninismus? Ein Widerspruch in sich

Es ist evident, daß Marx heute vor allem deshalb auf der Anklagebank sitzt, weil man in ihm den geistigen Brandstifter für das kommunistische Elend sieht. Doch die Vorstellung, Marx sei gewissermaßen als Schreibtischtäter verantwortlich für das, was Lenin, Stalin & Co. später mehr oder weniger gekonnt praktizierten, beruht meines Ermessens auf einer Unkenntnis sowohl der Marxschen Schriften als auch der geschichtlichen Prozesse, die zur Etablierung des bolschewistischen Herrschaftssystems führten.

Schon der immer wieder strapazierte Begriff Marxismus-Leninismus stellt einen schwarzen Schimmel, einen Widerspruch in sich, dar. Zentrale Aspekte marxistischer und leninistischer Philosophie sind nämlich unvereinbar. Dies zeigt sich nicht zuletzt in der Differenz von Vergesellschaftung und Verstaatlichung.

Vergesellschaftung bedeutet bei Marx freie Assoziation der Produzenten, Aufhebung entfremdeter Produktions- und Konsumtionsweisen, Verwirklichung des Selbst als Individuum wie auch als Gattungswesen. Zur Verdeutlichung sei an dieser Stelle ein längeres Zitat aus den Marxschen Frühschriften erlaubt:

"Gesetzt, wir hätten als Menschen produziert: Jeder von uns hätte in seiner Produktion sich selbst und den andren doppelt bejaht. Ich hätte 1) in meiner Produktion meine Individualität, ihre Eigentümlichkeit vergegenständlicht und daher sowohl während der Tätigkeit eine individuelle Lebensäußerung genossen, als im Anschauen des Gegenstandes die individuelle Freude, meine Persönlichkeit als gegenständliche, sinnlich anschaubare und darum über alle Zweifel erhabene Macht zu wissen. 2) In deinem Genuß oder deinem Gebrauch meines Produkts hätte ich unmittelbar den Genuß (...) des Bewußtseins, in meiner Arbeit ein menschliches Bedürfnis befriedigt, (...) dem Bedürfnis eines anderen menschlichen Wesens seinen entsprechenden Gegenstand geschaffen zu haben, 3) für dich der Mittler zwischen dir und der Gattung gewesen zu sein, also von dir selbst als eine Ergänzung deines eignen Wesens und als notwendiger Teil deiner selbst gewußt und empfunden zu werden, also in deinem Denken wie in deiner Liebe mich bestätigt zu wissen, 4) in meiner individuellen Lebensäußerung Deine Lebensäußerung geschaffen zu haben, also in meiner individuellen Tätigkeit unmittelbar mein wahres Wesen, mein menschliches, mein Gemeinwesen bestätigt und verwirklicht zu haben. (...)

Meine Arbeit wäre freie Lebensäußerung, daher Genuß des Lebens. (...) In der Arbeit wäre (...) die Eigentümlichkeit meiner Individualität, weil mein individuelles Leben bejaht. Die Arbeit wäre wahres tätiges Eigentum. Unter der Voraussetzung des Privateigentums ist meine Individualität bis zu dem Punkte entäußert, daß diese Tätigkeit mir verhaßt, eine Qual und vielmehr nur der Schein einer Tätigkeit, darum auch nur erzwungene Tätigkeit und nur durch eine äußere zufällige Not, nicht durch eine innere notwendige Not mir auferlegt ist".[3]

Mittels Verstaatlichung, welche notwendigerweise mit einem weitreichenden System bürokratischer Herrschaft verbunden ist, läßt sich eine solche auf individuelle Selbstentfaltung ausgerichtete Produktionsform kaum erreichen. Im Gegenteil! Marx zufolge befinden sich die Proletarier prinzipiell "im direkten Gegensatz zu der Form, in der die Individuen der Gesellschaft sich bisher einen Gesamtausdruck gaben, zum Staat, und müssen den Staat stürzen, um ihre Persönlichkeit durchzusetzen."[4]

Unumwunden teilt Marx den Haß der Pariser Kommune auf die - so Marx wörtlich im ersten Entwurf zum "Bürgerkrieg in Frankreich" -

"zentralisierte Staatsmaschinerie, die mit ihren allgegenwärtigen und verwickelten militärischen, bürokratischen, geistlichen und gerichtlichen Organen die lebenskräftige bürgerliche Gesellschaft wie eine Boa constrictor umklammert".[5]

Schöner hätte es ein Libertarian kaum formulieren können. Konsequenterweise wendet sich Marx wenige Zeilen später der Staatsbesessenheit vorangegangener Revolutionen zu, und seine Worte klingen beinahe wie eine böse Vorahnung des Elends von 1917 ff.:

"Alle Revolutionen vervollkommneten (...) nur die Staatsmaschinerie, statt diesen ertötenden Alp abzuwerfen. Die Fraktionen und Parteien der herrschenden Klassen, die abwechselnd um die Herrschaft kämpften, sahen die Besitzergreifung (Kontrolle) (Bemächtigung) und die Leitung dieser ungeheuren Regierungsmaschinerie als die hauptsächliche Siegesbeute an. Im Mittelpunkt ihrer Tätigkeit stand die Schaffung ungeheurer stehender Armeen, eine Masse von Staatsparasiten und kolossaler Staatsschulden."[6]

Angesichts dieser Verirrungen war für Marx evident, daß eine wirkliche Revolution des Volkes großen Wert auf einen schnellen Abbau des Staatsapparates legen mußte. Auch deshalb pries er die Pariser Kommune. Die zentrale Devise formulierte er unmißverständlich:

"Beseitigung der Staatshierarchie überhaupt und Ersetzung der hochfahrenden Beherrscher des Volkes durch jederzeit absetzbare Diener, der Scheinverantwortlichkeit durch wirkliche Verantwortlichkeit, da sie dauernd unter öffentlicher Kontrolle arbeiten."[7]

Wie anders war Lenins Sicht der Dinge. Wenn Marx die Frage "Staat oder Kommunismus?" stellte, so entschied sich Lenin eindeutig für den Staat, gegen die kommunistische Gesellschaft. In Lenins Sowjetunion wurde der Staat zum allmächtigen, abstrakten Kapitalisten, eine besondere Spielart des Kommunismus, die Marx verächtlich als "roh" bezeichnete, als "Erscheinungsform von der Niedertracht des Privateigentums", welche "die Persönlichkeit des Menschen überall negiert".[8]

Lenin hat sich zeitlebens weder mit der Marxschen Analyse der Selbstentfremdung des Menschen im Kapitalismus noch mit der Forderung nach menschlicher Selbstverwirklichung im Kommunismus auseinandergesetzt.

Günther Wagenlehner hat zu recht darauf hingewiesen, daß die zentralen Unterschiede in den Auffassungen von Marx und Lenin letztlich darin begründet sind, daß Lenin mit dem Marxschen Schlüsselbegriff für die kommunistische Gesellschaft, nämlich der Selbstverwirklichung des Menschen, nichts anfangen konnte.[9] In der Tat: Lenin hat sich zeitlebens weder mit der Marxschen Analyse der Selbstentfremdung des Menschen im Kapitalismus noch mit der Forderung nach menschlicher Selbstverwirklichung im Kommunismus auseinandergesetzt. (Allerdings muß man ihm zugute halten, daß ein Großteil der Marxschen Frühschriften, die sich zentral mit diesen Themen beschäftigten, zu Lenins Lebzeiten noch nicht veröffentlicht waren.)

Im Gegensatz zu Marx fußte Lenins Denken nicht in der Tradition der europäischen Aufklärung. Sein Revolutionseifer wurzelte eben nicht im Bewußtsein einer breiten liberalen und humanistischen Emanzipationsbewegung, sondern war vor allem Ausdruck eines durch die eigene Biographie induzierten Hasses auf die Obrigkeit. Lange bevor er sich in die Lektüre von Marx und Engels begab, war Lenin entschlossen zum gewaltsamen Umsturz des zaristischen Regimes. Unter der Anleitung seines Bruders Alexander hatte er eifrig die Werke der führenden russischen Revolutionäre gelesen. Den entscheidenden Anstoß dazu, selbst Berufsrevolutionär zu werden, erhielt er durch den Tod des geliebten Bruders, der wegen der Beteiligung an einem Attentatsversuch auf den Zaren hingerichtet wurde. Lenins Schwester Anna beschreibt die Bedeutung dieses Ereignisses: "Alexander Iljitsch starb als Held, und sein Blut leuchtete wie die Röte eines revolutionären Brandes über den Weg seines ihm nachfolgenden Bruders Wladimir."[10]

Der unbändige Revolutionseifer Lenins wurde später von einer Vielzahl russischer Marxisten scharf kritisiert. Man warf ihm vor, die Marxschen Werke eindimensional für seine revolutionären Zwecke zu mißbrauchen. Führende marxistische Theoretiker wie Rykow und Plechanow (letzterer prägte den Begriff des "dialektischen Materialismus") wiesen darauf hin, daß Marx die sozialistische Revolution als Endprodukt der kapitalistischen Entwicklung verstanden habe und daß in Rußland die Bedingungen für eine solche Entwicklung objektiv nicht gegeben seien. Folgerichtig beteiligten sich die russischen Marxisten auch an der provisorischen Regierung, die nach der Februarrevolution angetreten war, die Grundsteine für eine bürgerliche, parlamentarische und kapitalistische Entwicklung in Rußland zu legen.

Bogdanow schrie: "Das sind die Wahnvorstellungen eines Irrsinnigen!"

Lenin, dessen Denken nicht unwesentlich von dem Terroristen Netschajew beeinflußt war, hatte mit einem solchen evolutionär denkenden Marxismus wenig im Sinn. Gleich in seiner ersten Rede nach der Rückkehr aus Deutschland rief er zum Sturz der provisorischen Regierung auf. Die Mehrzahl der Mitglieder der Generalkonferenz reagierte darauf mit wütendem Protest. Bogdanow schrie: "Das sind die Wahnvorstellungen eines Irrsinnigen!" und Goldenberg, wie Bogdanow früherer Mitarbeiter Lenins, kommentierte zornig: "Alles, was wir eben gehört haben, ist eine völlige Verleugnung der ganzen sozialdemokratischen Doktrin, der ganzen Theorie des wissenschaftlichen Marxismus. Wir haben soeben ein klares und unmißverständliches Bekenntnis zum Anarchismus gehört. Sein Verkünder, der Erbe Bakunins, ist Lenin. Lenin, der Marxist, Lenin, der Führer unserer militanten Sozialdemokratischen Partei, ist nicht mehr. Ein neuer Lenin ist erstanden, Lenin, der Anarchist."[11]

Wie wir wissen, konnte sich die Mehrheit um Bogdanow und Goldenberg nicht durchsetzen. Als geschickter Taktiker verstand es Lenin in der Folgezeit, die marxistische Opposition innerhalb seiner Partei mehr und mehr auszuschalten und seine Lesart des Marxismus als einzig wahres Zugpferd des Kommunismus zu verkaufen. Echte Marxisten waren von nun an nicht mehr erwünscht.

Marxisten nicht erwünscht! Der Kampf gegen marxistisch denkende Intellektuelle im real existierenden Sozialismus

Lew Kopelew sagte einmal, der Antikommunismus in der Sowjetunion sei der radikalste in der ganzen Welt.[12] In der Tat kann sich kaum eine Nation rühmen, so viele Kommunisten verfolgt und hingerichtet zu haben wie die Sowjetunion. Von den ersten Massenverhaftungen von 1917 über die Niederschlagung des Kronstädter Aufstands bis hin zu den Moskauer Schauprozessen der späten 30er Jahre: Unter den Opfern der kommunistischen Säuberungsaktionen fanden sich stets auch Vertreter eines von der Parteilinie abweichenden Marxismus. (Und vergessen wir nicht: "Von elf Mitgliedern des Thälmannschen Politbüros wurden sechs von Stalin und fünf von Hitlers Leuten liquidiert."[13])

Nach dem Tode Stalins wurde zwar das Instrument der physischen Eliminierung des Regimekritikers weit seltener angewandt als zuvor, dennoch war es nicht ungefährlich, auf die vielfältigen Widersprüche zwischen dem Marxschem Werk und der real-sozialistischen Wirklichkeit hinzuweisen. Nur die bekanntesten Fälle, in denen konsequent marxistisches, d.h. bolschewismuskritisches Denken mit Verhaftung oder zumindest politischer Isolation geahndet wurde, seien hier genannt: in der Sowjetunion Sacharow und Kopelew, in Jugoslawien die "Praxis"-Gruppe um Gajo Petrovic, in der DDR Ernst Bloch, Robert Havemann, Wolf Biermann und Rudolf Bahro.

Mit dem Schlagwort des "bürgerlichen Revisionismus" versuchten die kommunistischen Herrschaftseliten die Vertreter eines humanistischen, den Frühschriften von Marx insbesondere verpflichteten Marxismus zu diffamieren. Petrovic, in dessen Zeitschrift "Praxis" ein Großteil der führenden "marxistischen Revisionisten" publizierte (u.a. Bloch, Lukács, Fromm, Marcuse, Habermas, Kolakowski und Lefebvre), faßte den Grundkonsens der marxistischen Dissidenten in zwei Punkten zusammen:

"1. Der Sozialismus, wie ihn Marx begriffen hat, ist keine bürokratische Diktatur, sondern eine humane Gemeinschaft der befreiten Menschen. Deshalb kann er weder durch staatliche Reglementierung des gesellschaftlichen Lebens noch durch repressive Maßnahmen herbeigeführt werden, sondern nur durch die Entwicklung der Demokratie, das Absterben des Staates und der Einführung der Arbeiterselbstverwaltung in der Produktion.

2. Der Stalinismus ist keine neue Stufe in der Entwicklung des Marxismus, sondern eher eine Negation seines Wesens. (...) Marxismus ist eine humanistische Philosophie der Freiheit, Stalinismus eine pseudophilosophische Rechtfertigung der Sklaverei."[14]

In der DDR sorgten vor allem die Justizfälle um die marxistisch argumentierenden Regimekritiker Biermann, Havemann und Bahro für Aufregung. Exemplarisch für viele andere, will ich im folgenden kurz auf die Leidensgeschichte der beiden letztgenannten eingehen.

1. Fall: Robert Havemann, KPD-Mitglied seit 1932, Widerstandskämpfer im Dritten Reich und von 1950 bis 1963 Mitglied der Volkskammer der DDR, fiel in Ungnade, weil er 1963 in seinen berühmten Vorlesungen zum Thema "Naturwissenschaftliche Aspekte philosophischer Probleme" an der Humboldt-Universität die Grundlagen einer "Dialektik ohne Dogma" erörterte.[15] Havemann kritisierte, daß der Marxismus zu einer Ideologie entartet sei, in der über die Wahrheit von Erkenntnissen nicht in einem rationalen wissenschaftlichen Diskurs entschieden werde, sondern per Parteidekret und Behördenverordnung. Zeitweilig habe der Parteiapparat fast alle bedeutenden naturwissenschaftlichen Theorien (u.a. die Relativitätstheorie Einsteins, die Quantenmechanik Bohrs, die Resonanztheorie Paulings, die Genetik Mendels, die Kybernetik Wieners) für unmarxistisch, d.h. unwissenschaftlich und klassenfeindlich erklärt. Der Schaden für die Gesellschaft sei beträchtlich. Darüber hinaus sei die ganze Herangehensweise auch noch zutiefst unmarxistisch:

"Von Karl Marx (...) wissen wir eins, nämlich daß er ein Wissenschaftler war. Er stritt immer nur mit Argumenten, mit Tatsachen, mit Zahlen und hat nie versucht, seinen Gegner mit Allgemeinplätzen und moralischen Verdikten zu zermalmen. (...) 'De omnibus dubitandum est' (an allem ist zu zweifeln) war Marx' wissenschaftliches Credo. Selbstverständlich gehören auch alle Theorien und Ideen, die von Marx stammen, zu dem, woran nicht nur gezweifelt werden darf, sondern woran immer wieder gezweifelt werden soll, wenn der Marxismus lebendig bleiben und zur allgemein anerkannten Grundlage der Wissenschaft von der menschlichen Gesellschaft werden soll."[16]

Für solche und ähnliche Ungebührlichkeiten wurden Havemann bereits in den sechziger Jahren sämtliche Ämter in Partei, Universität sowie in der Akademie der Wissenschaften entzogen. Doch damit nicht genug: Sein Aufbegehren gegen die Ausbürgerung Biermanns führte 1976 zu einem skandalösen Gerichtsverfahren, in dem Havemann zu Hausarrest verurteilt wurde. Havemann war völlig isoliert, durfte keinen Besuch mehr empfangen, er und seine Familie wurden 24 Stunden am Tag überwacht. Aufgehoben wurde der international gerügte Hausarrest erst 1978, vier Jahre vor dem Tod dieses standhaften deutschen Kommunisten, der von der kommunistischen Partei bekämpft wurde, eben weil er Marx und seinen Denkansatz unerhört ernstnahm.

Zum zweiten Fall: Rudolf Bahro war wie Havemann zunächst ein glühender Verfechter des Regimes. Schon als 16jähriger wurde er Kandidat der SED. Aber je genauer er die Entwicklung der Sowjetunion, der DDR und der anderen Warschauer-Pakt-Staaten betrachtete, desto größer wurden seine Zweifel am Projekt des real-existierenden Sozialismus. Der eigentliche Bruch mit dem kommunistischen Herrschaftssystem erfolgte Ende der Sechziger Jahre, nach der Niederschlagung des "Prager Frühlings". Bahro wollte sich mit dem kommunistischen Repressionssystem nicht länger abfinden. Neben seiner Arbeit als Abteilungsleiter eines Gummikombinats verfaßte er neun Jahre lang konspirativ eine brillante Kritik der realsozialistischen Verhältnisse. Titel des Werks: "Die Alternative - zur Kritik des real existierenden Sozialismus". Da für ein Buch mit solch provokantem Inhalt die politisch gleichgeschalteten DDR-Verlage nicht in Frage kamen, wurde das Manuskript nach Westdeutschland geschmuggelt, wo es Mitte 1977 erschien und mit rund dreihunderttausend verkauften Exemplaren zu einem Bestseller wurde.[17]

Ein Jahr zuvor, 1976, hatte die DDR Wolf Biermann ausgebürgert. Das durch die vielfältigen Proteste noch angeschlagene Regime reagierte entsprechend empfindlich und ließ Bahro die von ihm zuvor analysierte Repressionsmaschine in voller Härte spüren: Fast ein Jahr lang saß Bahro ohne Gerichtsverhandlung im Gefängnis. Unter Ausschluss der Öffentlichkeit erging am 1. Juli 1978 das Urteil gegen den Regimekritiker. Bahro erhielt acht Jahre Haft wegen "Sammlung von Nachrichten und Geheimnisverrat". Dank zahlreicher westlicher Solidaritätsbekundungen mußte Bahro die Strafe allerdings nicht voll absitzen. Bereits 1979 schob ihn die DDR nach Westdeutschland ab. "Als deutscher Sozialist gehört man, wenn schon, in die Bundesrepublik", sagte Bahro - vielleicht nicht ganz zu Unrecht - bei der Übersiedlung.

Ich lernte Rudolf Bahro 1989 kurz vor dem Fall der Mauer und der damit möglichen Rückkehr nach Ostberlin kennen. Zugegeben, es war manchmal nicht leicht, ihn zu verstehen, weil er sich nach seiner Begegnung mit der Bhagwan-Bewegung unnötigerweise einen esoterisch anmutenden Sprachstil angewöhnt hatte, was häufig genug zu Mißverständnissen führte. Doch - so merkwürdig es auch klingen mag - jenseits aller New-Age-Nebel und einfältigen Polit-Provokationen (man denke nur an den Ruf nach einem "grünen Adolf" (!!)) blieb Bahro doch bis zu seinem Tod im Dezember 1997 ein glühender Verfechter der Marxschen Utopie des "Reichs der Freiheit". Dies machte ihn unweigerlich zu einem Dissidenten, Abweichler, Unverstandenen - im Osten wie im Westen. Marxisten dieses Schlags waren nicht erwünscht - weder diesseits noch jenseits des eisernen Vorhangs.

Resümee und Ausblick: Gefahren und Chancen marxistischen Denkens

Fassen wir das bisher Gesagte zusammen: Wir haben festgestellt, daß Marxismus und Leninismus gravierende konzeptionelle Unterschiede aufweisen. Weil Lenin Vergesellschaftung mit Verstaatlichung verwechselte, mußte er gleich nach der Revolution einen ungeheuren Staatsapparat aufbauen, der alle Teilbereiche des gesellschaftlichen Lebens reglementierte. Unter diesen Voraussetzungen wurde die sicherlich unglückliche Forderung nach einer "Diktatur des Proletariats", hinter der eigentlich nichts weiter stand als der Aufruf zur "Erkämpfung der Demokratie",[18] mißbraucht zur Rechtfertigung der leninistischen Parteidiktatur. Hierdurch bildete sich eine Herrschaftsclique heraus, die genau das tat, was Marx an den vorangegangenen staatsfixierten Revolutionen so vehement kritisierte: "Im Mittelpunkt ihrer Tätigkeit stand die Schaffung ungeheurer stehender Armeen, eine Masse von Staatsparasiten und kolossaler Staatsschulden."[19]

Die leninistische Konzeption wurde von marxistischen Intellektuellen bereits sehr früh als Widerspruch zur Marxschen Theorie erkannt. Viele von ihnen verstanden die Oktoberrevolution als blutige Konterrevolution, als die Wiederherstellung feudaler Verhältnisse.

Die leninistische Konzeption wurde von marxistischen Intellektuellen bereits sehr früh als Widerspruch zur Marxschen Theorie erkannt. Viele von ihnen verstanden die Oktoberrevolution als blutige Konterrevolution, die im wesentlichen nichts anderes erreichte als die Wiederherstellung feudaler Verhältnisse. Obwohl die kommunistischen Herrscher Kritik dieser Art brutal auszurotten versuchten, gab es in allen realsozialistischen Staaten immer wieder Oppositionelle, die sich gerade deshalb gegen das System stellten, weil sie den dort praktizierten Sozialismus nicht mit ihren marxistischen Grundüberzeugungen in Einklang bringen konnten.

Wir können festhalten: Es gibt vor allem zwei Indizien, die Marx hinreichend von dem Vorwurf entlasten können, verantwortlich für das von Kommunisten erzeugte Elend zu sein: 1. die offensichtliche Diskrepanz zwischen der marxistischen Theorie und der leninistischen Praxis und 2. die Erkenntnis, daß das kommunistische System selbst mit ungeheurer Härte gegen marxistisch argumentierende Intellektuelle vorging.

Fazit: Der Vorwurf, Marx habe durch seine Schriften gewissermaßen Anstiftung zum kommunistischen Massenmord begangen, ist unhaltbar. Ähnlich absurd wäre es zu behaupten, Nietzsche habe den arischen Übermensch-Kult zu verantworten. Der jugoslawische Dissident Gajo Petrovic hat recht, wenn er schreibt, daß eine Lehre nur für solche Konsequenzen verantwortlich ist, "die sich aus ihrem Inhalt direkt ergeben, und keineswegs für alle Schlußfolgerungen, die irgend jemand (sei es ein einzelner, sei es eine Gruppe oder eine Organisation) aus ihr gezogen hat."[20] Marx kann nicht für Praktiken verantwortlich gemacht werden, die seiner Lehre widersprechen.

Heißt das nun, daß eine Wiederbelebung Marxschen Gedankenguts völlig unproblematisch wäre?

So generell kann diese Frage sicherlich nicht bejaht werden. Es kommt ganz wesentlich auf die Art des Umgangs mit dem Marxschen Werk an. Eines ist dabei von zentraler Wichtigkeit: Marx muß kritisch gelesen werden. Man tut seinem Denksystem Schaden an, wenn man über seine Unzulänglichkeiten, seine Fehler, seine inneren Widersprüche hinwegliest. Nur eine kritische Lektüre der Marxschen Schriften kann verhindern, daß der Marxismus ein weiteres Mal zur fundamentalistischen Politreligion verkommt. Zulange haben kommunistische Parteipriester das Hochamt der Gewalt zelebriert. Zulange hieß es: Du wirst glauben oder Du wirst dran glauben!

Historiker haben vor kurzem mit der These vom "Nationalsozialismus als politischer Religion" eine hochinteressante Erklärung für die Greueltaten des Dritten Reichs entworfen.[21] Ich denke, auch der Bolschewismus kann besser verstanden werden, wenn man seine religiösen Implikationen in den Vordergrund rückt.

Ohne Zweifel hat Marx die quasireligiöse Herangehensweise an sein Werk selbst mit zu verantworten. Das hegelianische Denksystem, von dem er sich nie ganz befreien konnte, ließ ihn an das theologische Prinzip glauben, daß es priviligierte Zugänge zur "an sich" existierenden Wirklichkeit gäbe. Marx war der Auffassung, daß sein Denksystem den Höhepunkt eines langen historischen Entwicklungsprozesses darstellte, daß die von ihm entwickelten Erkenntnisse aufgrund der antizipierten Aufhebung der gesellschaftlichen Widersprüche nicht mehr an ideologische Vorbehalte gekettet und dadurch "an sich" wahr seien.

Was Marx also fehlte, war ein guter Schuß Agnostizismus, d.h. die Einsicht in die notwendige, prinzipielle Beschränkung menschlicher Erkenntnis.[22] Der Kantsche Skeptizismus, der prinzipiell die Erkenntnis des "Ding an sich" bestritt, war ihm fremd. Darum war sein Denken auch so anfällig für besserwisserischen Dogmatismus, ein Grundproblem vieler "orakelnder Philosophen", worauf vor allem Karl Popper in seiner brillanten Untersuchung: "Die offene Gesellschaft und ihre Feinde" hingewiesen hat.[23]

Sicherlich: Es gibt viele Aspekte im Marxschen Werk, die eingehender Kritik bedürfen. Zu erwähnen sind hier u.a. (1) die reduktionistische Überbetonung des ökonomischen Moments, (2) die polemische, häufig unfaire Darstellung anderer Autoren und Theorien, (3) die zum Teil eklatanten Widersprüche im Marxschen Werk (der Sozialismus z.B. erscheint mal als Ergebnis einer gewaltsamen Revolution, mal als evolutionär gewachsenes Produkt der kapitalistischen Entwicklung). Zuguterletzt (4) sind natürlich auch die Schwächen bzw. Lücken der ökonomischen Theorie zu erwähnen, etwa das zu einfache und daher falsche Krisenmodell des Kapitalismus, die falsche Einschätzungen bezüglich der Geschwindigkeit der Produktivkraftentwicklung, die insgesamt unzureichende Analyse der Geldsystems sowie die Überschätzung der Planbarkeit von Produktion und Konsumtion.

Dennoch, trotz all dieser Mängel, braucht Marx den Vergleich zu anderen hochgeschätzten Philosophen wie Nietzsche, Schopenhauer oder Kant nicht zu scheuen. (Man denke nur an das Frauenbild dieser bedeutenden Philosophen oder ihre Beiträge zu Fragestellungen der sozialen Gerechtigkeit überhaupt.)

Vieles von dem, was Marx vor rund 150 Jahren schrieb, ist auch heute noch brennend aktuell.

Nehmen wir die Marxsche Religionskritik, die angesichts der zunehmenden Bedeutung des religiösen Fundamentalismus innerhalb wie außerhalb des Christentums alles andere als überholt ist. Wer jemals mit einem religiösen Fundamentalisten argumentiert hat (ohne dabei den Verstand zu verlieren), der wird Marx beipflichten müssen, wenn er schreibt, daß die Kritik der Religion "die Voraussetzung aller Kritik"[24] ist. Wie Feuerbach sah Marx in den Göttern Produkte menschlicher Phantasie. Er ging aber über Feuerbach hinaus, indem er in seinen Untersuchungen des religiösen Elends - statt einen abstrakten Menschen zu postulieren - die gesellschaftliche Position der real existierenden Menschen in den Mittelpunkt rückte:

"Die Religion ist der Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüt einer herzlosen Welt, wie sie der Geist geistloser Zustände ist. Sie ist das Opium des Volks. Die Aufhebung der Religion als des illusorischen Glücks des Volkes ist die Forderung seines wirklichen Glücks. Die Forderung, die Illusionen über seinen Zustand aufzugeben, ist die Forderung, einen Zustand aufzugeben, der der Illusionen bedarf. Die Kritik der Religion ist also im Keim die Kritik des Jammertales, dessen Heiligenschein die Religion ist."[25]

Marx ist aber nicht nur als Religionskritiker aktuell geblieben, auch seine ideologiekritischen und ethischen Grundkonzeptionen haben kaum an Brisanz verloren. Grundlage des gesamten Marxschen Werkes ist ein kategorischer Imperativ, den zu beherzigen, erste Weltbürgerpflicht sein sollte, nämlich "alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist."[26] Wie anders würde z.B. unser Wissenschaftssystem aussehen, würde dieser Marxsche Imperativ als Ausgangspunkt wissenschaftlicher Erkenntnissuche akzeptiert. Es bräuchte keine Kongresse, Workshops, Symposien, die gelangweilten Wissenschaftlern mühsam die Kategorie "Zukunftsfähigkeit" näherbrächten. Ohnehin: Ginge es nach Marx, so wäre das Konzept des Sustainable Development, der nachhaltigen, zukunftsfähigen Entwicklung, längst in den Köpfen und Herzen der Menschen verankert. Denn schon mehr als ein Jahrhundert bevor die Staaten der Welt in Rio 1992 das Leitbild der nachhaltigen Entwicklung zum Paradigma zukünftiger Global- und Lokalpolitik erkoren, wußte Marx:

"Selbst eine ganze Gesellschaft, eine Nation, ja alle Gesellschaften zusammengenommen, sind nicht Eigentümer der Erde. Sie sind nur ihre Besitzer, ihre Nutznießer, und haben sie als boni patres familias den nachfolgenden Generationen verbessert zu hinterlassen."[27]

Marxens Kapitalismuskritik erfolgte aus einer für die damaligen Verhältnisse ungeheuer weitsichtigen Erkenntnis der sozialen wie auch ökologischen Problematik der kapitalistischen Produktionsweise. Seine Warnung ist auch heute noch zu beherzigen:

"(...) jeder Fortschritt der kapitalistischen Agrikultur ist nicht nur ein Fortschritt in der Kunst, den Arbeiter, sondern zugleich in der Kunst, den Boden zu berauben, jeder Fortschritt in Steigerung seiner Fruchtbarkeit für eine gegebene Zeitfrist zugleich ein Fortschritt im Ruin der dauernden Quellen dieser Fruchtbarkeit. (...) Die kapitalistische Produktion entwickelt daher nur die Technik und Kombination des gesellschaftlichen Produktionsprozesses, indem sie zugleich die Springquellen allen Reichtums untergräbt: die Erde und den Arbeiter."[28]

Marxens Kapitalismuskritik erfolgte aus einer für die damaligen Verhältnisse ungeheuer weitsichtigen Erkenntnis der sozialen wie auch ökologischen Problematik der kapitalistischen Produktionsweise. Seine Warnung ist auch heute noch zu beherzigen.

Mir scheint, es ist nicht allzu weit hergeholt zu behaupten, daß der Kapitalismus auf Mahner wie Marx stets angewiesen war und dies sicherlich auch heute noch ist. Meines Erachtens stoßen wir hier auf den vielleicht interessantesten Aspekt der dialektischen Wirkungsgeschichte des Marxschen Werkes: Viele der Marxschen Prophezeiungen traten nämlich allein schon deshalb nicht ein, weil Marx so entschieden für seine Prophezeiungen eintrat. Viele "bürgerliche" Politiker und Unternehmer kannten "ihren" Marx sehr genau, waren gewissermaßen vorgewarnt und konnten rechtzeitig Gegenmaßnahmen treffen, um brenzligere Situationen zu verhindern. Erinnert sei hier nur an das Konzept der "sozialen Marktwirtschaft", das von Müller-Armack in bewußter Auseinandersetzung mit Marx entwickelt wurde.[29] Ich bin deshalb geneigt zu formulieren, daß diejenigen, die auf solche Weise gegen Marx kämpften, insgesamt mehr für ihn kämpften, als diejenigen, die - wie Lenin - in seinem Namen zu kämpfen vorgaben. Ein wahrhaft wundersames dialektisches Zauberspiel, an dem Marx sicherlich seine Freude gehabt hätte.

Ich komme zum Schluß: Es macht keinen Sinn, Marx weiter auf der Anklagebank zu plazieren, denn sein Werk lieferte - wie dargelegt wurde - nicht nur die Munition für die wichtigsten Regimekritiker des real existiert habenden Sozialismus, es war auch von unschätzbaren Wert für den Aufbau sozialer Stützungssysteme in den westlichen Demokratien. Darüber hinaus darf nicht vergessen werden, daß die Geistes- und Sozialwissenschaften in ihrer heutigen Gestalt ohne die Marxschen Impulse kaum denkbar wären. Das historisch-kritische Denken, die Überwindung des naiven Idealismus, die Einsicht in die ideologischen Aspekte wissenschaftlichen Denkens: dies alles sind Errungenschaften, die wir nicht zuletzt dem Werk des vielgeschmähten Karl Marx zu verdanken haben.

Entlassen wir den Philosophen also in die wohl verdiente Freiheit. Er war lange genug Opfer des von Lenin geprägten Staatssozialismus. Möge er den Platz in der Geschichte einnehmen, der ihm gebührt: weit entfernt von den vermeintlichen Schülern Lenin, Stalin, Trotzki und Mao, dafür aber an der Seite von Sokrates, Demokrit, Epikur, Spinoza, Erasmus, Hume, Voltaire und Kant, Bentham, Feuerbach, Mill, Dewey, Darwin, Russell und Popper.

Die Herausgeber der Zeitschrift "Aufklärung und Kritik" haben Marx in dem Editorial zur ersten Ausgabe in eben diese Ahnengalerie des kritischen Denkens eingereiht. Ein Beispiel, das Schule machen sollte.

Anmerkungen

[1] Karl Marx/Friedrich Engels: Werke (MEW). Berlin 1974-1990, Bd. 40, S. 594.

[2] Eindrucksvoll, wenn auch umstritten (siehe z.B. Jens Mecklenburg/Wolfgang Wippermann (Hrsg.): Roter Holocaust? Kritik des Schwarzbuchs des Kommunismus. Hamburg; oder Armin Pfahl-Traughber: Verharmlost das "Schwarzbuch Kommunismus" nationalsozialistische Verbrechen? In: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 9/1998. Dokumentiert im "Schwarzbuch des Kommunismus" (Stephane Courtois et al.: Das Schwarzbuch des Kommunismus. Unterdrückung. Verbrechen. Terror. München 1998.)

[3] MEW Bd. 40, S. 462 f.

[4] MEW Bd. 3, S. 77.

[5] MEW Bd. 17, S. 538.

[6] a.a.O., S. 539.

[7] a.a.O., S. 544.

[8] MEW Bd. 40, S. 534 f.

[9] Vgl. hierzu Günther Wagenlehner: Staat oder Kommunismus. Lenins Entscheidung gegen die kommunistische Gesellschaft. Stuttgart 1971.

[10] zitiert nach Wagenlehner, a.a.O., S. 24

[11] zitiert nach David Shub: Lenin. Geburt des Bolschewismus. München 1976, S. 222 f. - Goldenbergs Vergleich des Staatssozialisten Lenin mit dem Anarchisten Bakunin klingt reichlich verrückt, ist jedoch nicht völlig unbegründet. Tatsächlich zählten Bakunin und Netschajew zu den Inspirationsquellen Lenins. Von ihnen übernahm er den Typus des Berufsrevolutionärs, sowie die Bereitschaft zu Terror und direkter Aktion - unabhängig davon, ob nach Marxscher Theorie nun eine revolutionäre Situation vorlag oder nicht. Letzteres war auch Auslöser der entrüsteten Widerrede Goldenbergs.

[12] siehe Heinrich Böll/Lew Kopelew/Heinrich Vormweg: Antikommunismus in Ost und West. München 1980.

[13] Wolf Biermann: Westzucker und Ostpeitsche. In: Fritz Raddatz (Hrsg.): Warum ich Marxist bin. Frankfurt/M. 1980, S. 253

[14] Gajo Petrovic: Die Revolution denken. In: Fritz Raddatz (Hrsg.): Warum ich Marxist bin. a.a.O., S. 253

[15] Zum Fall Havemann siehe Robert Havemann: Dialektik ohne Dogma? Naturwissenschaft und Weltanschauung 1964. Reinbek; ders.: Berliner Schriften. München 1977; ders.: Ein deutscher Kommunist. Rückblicke und Perspektiven aus der Isolation. Reinbek 1978; ders: De omnibus dubitandum est. In: Fritz Raddatz (Hrsg.): Warum ich Marxist bin. a.a.O.

[16] Havemann, De omnibus dubitandum est, a.a.O., S. 30.

[17] Die erste und einzige DDR-Ausgabe erfolgte nach dem Fall der Mauer 1990: Rudolf Bahro: Die Alternative. Zur Kritik des real existierenden Sozialismus. Berlin 1990.

[18] Engels z.B. weist in seiner Kritik des sozialdemokratischen Programmentwurfs dezidiert darauf hin, daß die "demokratische Republik" die "spezifische Form der Diktatur des Proletariats" sei (vgl. MEW Bd. 22, S. 233 ff.)

[19] MEW Bd. 17, S. 539

[20] Petrovic: Die Revolution denken. a.a.O., S. 190.

[21] Vgl. Michael Ley/Julius Schoeps (Hrsg.): Der Nationalsozialismus als politische Religion. Bodenheim b. Mainz 1997.

[22] Zum Versuch einer agnostischen und dennoch engagierten Wissenschafts- und Gesellschaftstheorie siehe Michael Schmidt-Salomon, Michael: Erkenntnis aus Engagement. Aschaffenburg 1999.

[23] Vgl. Karl Popper: Die offene Gesellschaft und ihre Feinde. Bd. 2. Tübingen 1980.

[24] MEW Bd. 1, S. 378.

[25] a.a.O., S. 378 f.

[26] a.a.O., S. 385.

[27] MEW Bd. 25, S. 784.

[28] MEW Bd. 23, S. 529 f.

[29] Siehe z.B. Alfred Müller-Armack: Wirtschaftsordnung und Wirtschaftspolitik. Freiburg 1966.

Michael Schmidt-Salomon ist verantwortlicher Redakteur der religionskritischen Zeitschrift "Materialien und Informationen zur Zeit" (MIZ) und Sänger/Texter/Komponist der libertär-sozialistischen Rockband "Kommando Hanf Baumann". Eine Auswahl seiner Aufsätze und Bücher findet sich auf seiner Homepage.

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