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„Todesstrafe ist eine Antikultur.“

Interview mit Samuel Mund und Ali Sartipysadeh von Sven O. Cavalcanti (sopos)

Cavalcanti: Wie sieht euer Projekt konkret aus?

Mund: Wir werden im Welfengarten vor der Universität Hannover 20 große Stellwände aufstellen, die von verschiedenen Graffitikünstlern gestaltet werden. Die einzige künstlerische Vorgabe ist die, das sich die entstehenden Werke mit der Todesstrafe beschäftigen sollen. Durch die Unleserlichkeit von Graffitikunst zwingt sie den Betrachter stehenzubleiben, um das Werk zu identifizieren. Die Graffitikunst ist ein gutes Symbol: ähnlich wie bei der Todesstrafe wird nicht nach ihrer historischen Entstehung gefragt.
Anschließend wird jedes Gemälde mit dem Symbol unserer Aktion, einer einen Galgen durchtrennenden Schere sowie einer Landesfahne der 20 größten, die Todesstrafe noch ausübenden Ländern, versehen und in der Universität ausgestellt. Zusätzlich haben wir bei Amnnesty International angefragt, ob sie einen Stand machen.

Cavalcanti: Ihr benutzt also öffentlichen Raum, um ihn durch die Verfremdung neu zu besetzen. Wie ist das Projekt entstanden?

Sartipysadeh: Als Migrant habe ich bereits selbst Erfahrung im engsten Freundeskreis mit der Todesstrafe gemacht. Was mich persönlich am meisten betraf, war ein Schulfreund und Nachbar, der in den 80er Jahren zum Tode verurteilt und hingerichtet wurde. Die genauen Umstände seiner Hinrichtung sind bis heute nicht bekannt. Ich bin an der Grenze zum Irak groß geworden, wo damals Hinrichtungen, die durch die Todesstrafe legitimiert wurden, an der Tagesordnung standen.  Politische Gegner wurden zum Zwecke der Abschreckung, als politisches Symbol, hingerichtet. Bei meinem Schulfreund wurde nach seiner Hinrichtung durch ein Verfahren bekannt, daß er überhaupt nicht hingerichtet wurden sollte. Die Todesstrafe ist fast immer ein Instrument der Herrschaft zur Unterdrückung und wir wollen mit unserem Projekt zumindest ein Symbol gegen die Todesstrafe setzen.

Mund: Zum Beispiel ist die Todesstrafe auch im Kanon der angeblichen Rechtsstaaten fest verankert. In den USA gehört die Todesstrafe zum Alltag des Strafens und es ist bekannt, in welchem Maße Fehlurteile stattgefunden haben.

Sartipysadeh:Daneben ist Japan der einzige Industriestaat westlicher Prägung, in dem die Todesstrafe noch verhängt und vollstreckt wird.

Mund: Aber auch in China gehört die Todesstrafe zum festen Bestandteil des Regimes. Die Falun Gong Sekte, die ich persönlich zwar nicht für unterstützenswert halte, wird massiv unterdrückt und ihre Anhänger hingerichtet – diese politische Praxis steht in keinem Verhältnis zu ihrem Wirken. Die in Europa konsumierten Waren werden zu großen Teilen aus China bezogen. Haben wir durch unser Konsumverhalten also auch die Verantwortung für derlei Praktiken? Fest steht jedenfalls, daß wir nicht so tun können, als ob uns das alles nichts angeht. Uns geht es in erster Linie darum, auszudrücken, daß wir die Todesstrafe für eine unmenschliche Form der Bestrafung halten. Durch symbolische Aktionen wollen wir das Bewußtsein der Menschen hier schärfen und diese Form der Unmenschlichkeit ins Bewußtsein der Öffentlichkeit bringen.

Cavalcanti: Und das kann ja recht gering sein. Im Art. 21 der hessischen Verfassung steht immer noch, daß jemand mit dem Tode bestraft werden kann – bis heute unverändert.

Mund: Es gibt viele Länder, in denen die Todesstrafe nicht mehr praktiziert, aber dennoch in der Verfassung steht, England beispielsweise. Natürlich treten wir dafür ein, daß diese unmenschlichen Relikte aus den Verfassungen verschwinden.

Sartipysadeh: Was soll die Todesstrafe denn für einen Sinn haben? Ist es eine Sanktion? Eine Rache? Die Menschen werden nicht als Verbrecher geboren, ihre Sozialisation macht sie dazu. Und nun richtet eine Gesellschaft über ein Menschenleben, dessen Werdegang sie maßgeblich bestimmt hat. Eine einzelne Person muß durch ihren Tod die Last der gesamten Gesellschaft mittragen. Ob das religiös, national oder kulturell legitimiert ist, ist zweitrangig. Um ein Zitat Martin Luther Kings zu gebrauchen: „Der alte Grundsatz »Auge um Auge« macht schließlich alle blind.“ Todesstrafe ist eine Antikultur.

Cavalcanti: Ein schönes Zitat… Nun verhält es sich mit der Todesstrafe allerdings differenzierter. Hannah Arendt hat einmal über den Prozeß gegen Joseph Eichmann geschrieben, daß es unmöglich sei, mit jemand wie ihm die Erde zusammen zu bewohnen. Und das dies der Grund seiner legitimen Hinrichtung gewesen sei.

Mund: Ich denke nicht, daß man die Nürnberger Prozesse und beispielsweise die Situation im gegenwärtigen Iran gleichsetzen darf.

Cavalcanti: Aber das tut ihr ja bereits durch eine symbolische Gleichsetzung in eurer Ausstellung…

Mund: Nein. Das Kriegsgericht nach dem Zweiten Weltkrieg über die Spitzen eines Maßnahmenstaates ist etwas gänzlich anderes als die Verankerung der Todesstrafe in einem Rechtsstaat oder in einem Rechtskanon. Grundsätzlich symbolisiert die Todesstrafe die Hilflosigkeit einer Gesellschaft, sie als letzes Mittel anzuwenden. Man kann ein Menschenleben nicht zurückgeben und es ist schon zu fragen, ob man sich nicht gerade mit dem Mittel der Todesstrafe auf jenes Niveau begibt, was man vorgibt, kritisieren zu wollen.

Cavalcanti: Nehmen wir als aktuelles Beispiel Saddam Hussein. Seine Hinrichtung war eine symbolische, sie war politisch nicht mehr nötig. Wenn man sich allerdings die Hinrichtung im Internet anschaut, zweifelt man, ob diejenigen, die ihn hingerichtet haben, auch nur einen Deut besser sind als er.

Sartipysadeh: Hier ist ein Automatismus in Gang gesetzt worden. Der Logos vom „quit pro quo“,  ist das Problem, das Durchbrochen werden muß, denn es weist in eine Zukunft der Gewalt. Man darf sich mit all diesen Dingen nicht einfach abfinden, sondern man muß sich für eine bessere Gesellschaft einsetzen.

Cavalcanti:  Einem Sartewort folgend, würde ich sagen, daß die Gewalt ja nicht mit der Ermordung Saddam Husseins angefangen hat und man nicht so tun kann, als würde sie dadurch entstehen. Es ist ja, wie Du selbst sagtest, ein tradiertes Problem. Viel wichtiger erscheint mir, daß die Todesstrafe nicht in den Rechtskanon einer Nachkriegsordnung einfließt…

Sartipysadeh: Kurzfristig meint man, mit dem Exekutieren Saddam Husseins ein Problem gelöst zu haben, aber langfristig ist das Problem der Gewalt eher größer geworden, als kleiner.

Mund: Es ist schwierig das Denken von 1945 mit 2007 zu vergleichen.  Durch den historischen Sieg des Kapitalismus steht etwas ganz anderes zur Debatte: nämlich eine aufkommende Weltgesellschaft. Die nationalstaatlichen Begriffe hatten eine viel stärkere Bedeutung – seltsamerweise entfaltet sich gegenwärtig eine internationale Kultur, fast ein Jahrhundert nach dem Scheitern der 2. Internationale – allerdings mit einem ganz anderen sozialen Träger. 

Cavalcanti:  Auch Hannah Arendt konstatierte, daß es kein rechtstaatliches Argument zur Hinrichtung Eichmanns gab, sondern daß es für die Opfer des Faschismus unmöglich gewesen wäre, mit Eichmann auf demselben Planeten zu leben.

Sartipysadeh: Aber auch hier muß man sich fragen, ob es sich nicht um eine Art falscher Bestrafung handelte, während das eigentliche Problem nicht benannt ist, nämlich wie es zum Aufstieg des Faschismus kam. Die Todesstrafe gegen 12 Nazis einzusetzen war natürlich zu gering, gemessen am Anteil der Täter, aber 12 zu viel gemessen an einem Ideal von einer besseren Welt. Die Massen, die den ganz normalen Mord durchgehen ließen und die Entstehungsgeschichte des NS, stellen doch das eigentliche Problem dar. Die Todesstrafe stellt ja nur eine Art nachträglicher Hilflosigkeit dar, um mit den Trümmern der Geschichte umzugehen.

Mund: Es ist ein fürchterlich schwieriges Thema. Man kann hier nicht konsequent sagen: Todesstrafe wird nicht angewandt. Es gibt ein herrliches Zitat aus dem Herrn der Ringe, also einem Roman, der selber das Thema des Massenmordes behandelt, indem Tolkien Gandalf gegenüber Frodo sagen läßt: „"Viele Menschen, die leben, verdienen den Tod. Und manche, die gestorben sind verdienen es zu leben!  Kannst du es ihnen geben? … Dann sei auch nicht so rasch mit einem Todesurteil bei der Hand!“ Die Todesstrafe ist endgültig und dennoch ist dieses Zitat nicht auf den Eichmannprozeß anwendbar, trotz seines Wahrheitsgehaltes. Die Todesstrafe läßt keinen Wandel, keine Reue, sie läßt nichts mehr zu. Und eben diese Endgültigkeit ist unwürdig. Sie setzt die Gegenwart mit Endgültigkeit gleich. Aber man bedenke: Der Schwur von Buchenwald endet mit den Worten: „Wir stellen den Kampf erst ein, wenn auch der letzte Schuldige vor den Richtern der Völker steht! Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel. Das sind wir unseren gemordeten Kameraden, ihren Angehörigen schuldig.“ Von Todesstrafe kein Wort, wohl aber von der Gerichtsbarkeit der Völker, also einem internationalistischen Entwurf. Wie sehr müssen sie um die Formulierung: „Die Vernichtung des Nazismus“ gerungen haben, denn sie sagten nicht: „die Vernichtung aller Nazis“ – obwohl sie dies wohl fühlten. Wahrscheinbar waren sie sich dieses Unterschiedes sehr bewußt. Für mich ist der Kampf gegen die Todesstrafe untrennbar mit dem Kampf gegen Diktatur und Faschismus verknüpft.

Sartipysadeh: Wenn man eine Ausstellung gegen die Todesstrafe macht, muß man diese Sensibilität natürlich mitbringen. Was unterscheidet die Todesstrafe vom Mord bei den Nazis? Die Nazis waren die größten Massenmörder der Geschichte - es handelte sich um einen Maßnahmestaat.  Uns geht es aber um die globale Einführung von Rechtsstaatlichkeit und um die generelle Abschaffung der Todesstrafe. Die Ideologie der Nazis basierte auf Rassismus und Antisemitismus. Wir treten für eine globale Rechtsstaatlichkeit ein – ohne Todesstrafe. Die Inhumanität gegenwärtiger Gesellschaften ist das aktuelle Problem, an dessen Spitze der Tod des Anderen steht. Reden wir lieber über die Gegenwart der Todesstrafe.

Cavalcanti:  Einverstanden.

Sartipysadeh: Aus dem gegenwärtigen Iran kann man lernen, daß der Kampf gegen die Todesstrafe der Beginn einer humaneren Gesellschaft sein kann. Dieser Kampf mobilisiert ein breites politisches Bündnis gegen die Diktatur. Und das ist wichtig, wenn man bedenkt, welch unterschiedliche Migranten aus verschiedenen Ländern hier leben und an einer besseren Zukunft ihres Herkunftslandes interessiert sind.

Cavalcanti:  Kurz: Die Endgültigkeit der Todesstrafe ist würdelos. Der Kampf gegen die Todesstrafe ist für euch elementar verknüpft mit dem Kampf für Menschenrechte…

Sartipysadeh: … das ist das Gleiche.

Mund: Man darf nie vergessen: Der Rechtsstaat kann sich auch irren.

Sartipysadeh: Gegen die Todesstrafe zu sein, bedeutet gleichzeitig, für eine bessere Welt zu sein.