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In der dreiköpfigen Spitzengruppe kämpfen zwei Sportler der DDR-Mannschaft, Gustaf-Adolf Schur, lange schon von seinen Millionen Anhängern »Täve« genannt, und Bernhard Eckstein, sowie der Belgier Willy Vanden Berghen um Sieg und Titel. Favorit ist der zweifache Weltmeister, Friedensfahrtsieger und wiederholte Landesmeister Schur. Vanden Berghen konzentriert sich völlig auf ihn, in der Hoffnung, ihn im Endspurt zu bezwingen. Als der Weltmeister überraschend das Tempo verlangsamt, erhält sein Mannschaftskamerad Eckstein die Möglichkeit, davonzuziehen. Der Belgier ist irritiert, orientiert sich jedoch weiter am Titelverteidiger und bemerkt zu spät dessen uneigennütziges taktisches Manöver. Eckstein liegt uneinholbar vorn und wird Weltmeister. Im Endspurt bezwingt Schur den belgischen Konkurrenten und wird Vizeweltmeister. Der DDR-Mannschaftskapitän hat eigene Ambitionen zurückgestellt und seinem Sportkameraden zum Championtitel verholfen – ein einmaliger Vorgang in der Geschichte des Weltradsportes! Selbstverständlich war es auch für Eckstein ein unvergessliches Erlebnis. An seinem 75. Geburtstag erinnerte er daran: »Täve und ich wechselten kein Wort. Ich raste los, als sei der Teufel hinter mir her. Täve blieb bei Vanden Berghen. Der war völlig verdutzt. Er rechnete mit dem Antritt des zweimaligen Weltmeisters. Täve dachte gar nicht daran, Willy eine Chance zu geben. Ich kam ein kleines Stück weg. Das reichte zum WM-Trikot. Der Belgier hatte nie damit gerechnet, dass ein Kapitän seine Chance verspielt, um den WM-Titel für die Mannschaft zu retten.« (www.volksstimme.de) Mit seinem selbstlosen, aber klugen Vorgehen auf dem Sachsenring hatte Täve seinen Ruf als »beliebtester Sportler der DDR« bestätigt. Bis heute, er ist mittlerweile 86 Jahre alt, ist er es geblieben. So war es denn mehr als verwunderlich, dass er bisher nicht in die »Hall of Fame«, die virtuelle Ruhmeshalle, die 2006 von der Stiftung Deutsche Sporthilfe im Internet installiert wurde, aufgenommen wurde. Obwohl gerade hier deutsche Sportler und Persönlichkeiten des Sports geehrt werden sollen, die durch Leistung, Fairplay und Haltung Vorbild geworden sind, wurde 2011 seine Kandidatur für diese Ehrung abgelehnt. Nun, sechs Jahre später, hatten die drei Träger der virtuellen Ruhmeshalle, die Stiftung Deutsche Sporthilfe, der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) und der Verband Deutscher Sportjournalisten (VDS) einstimmig beschlossen, den populärsten Sportler der DDR und die zweifache Olympiasiegerin im Weitsprung Heike Drechsler erneut auf die Kandidatenliste zu setzen. Kaum war dieser Beschluss publik geworden, bliesen einige bekannte Experten des DDR-Sports zur Gegenattacke. Allen voran ein gewisser Henner Misersky, ehemaliger Langlauftrainer und Dopinggegner. Als er in einem Interview mit der Berliner Zeitung gefragt wurde, wie er es finde, dass die beiden Athleten, die das DDR-Regime treu unterstützt haben, in die »Hall of Fame« aufgenommen werden sollen, zog er blank und vom Leder: »Bei all dem, was wir wissen und was zweifelsfrei dokumentiert ist, sind diese Nominierungen eindeutige Belege für Geschichtsvergessenheit, sportpolitisches Analphabetentum und mangelhafte Aufarbeitung.« Auch gegenüber dem Ruhmhallenkandidaten kannte er selbstredend kein Pardon: »Dass Schur zum zweiten Mal auf der Agenda steht, halte ich für ziemlich dreist und ignorant. Seine Nominierung, die ich ablehne, ist der Tatsache geschuldet, dass er in der DDR zum Jedermann-Staatshelden aufgebaut wurde. Es gibt von Schur bis heute kein positives Zeichen, sich mit deren Problemen oder der DDR-Diktatur kritisch auseinanderzusetzen … Dem kriminellen DDR-Staatssport hält Schur immer noch die Treue.« Zudem war Schur offensichtlich auch als gewählter Volksvertreter ein ganz übler Bursche, denn, so Misersky, er »ließ sich zudem einst als Volkskammerabgeordneter bedingungslos in den Klassenkampf einbinden«. Und auch später habe sich Schur nicht gebessert, und so wurde er »von seiner SED-Nachfolgepartei PDS 1998 in den Bundestag transportiert …« Von einem solchen »Transport« blieb der wütende Interviewte verschont, dafür wurde er 2012 in die »Hall of Fame« aufgenommen, denn immerhin war er 1965 DDR-Vizemeister im 3000-Meter-Hindernislauf geworden und ist einer der Vorkämpfer für die Kriminalisierung des DDR-Sports. Wacker stand ihm die Vorsitzende des Doping-Opfer-Hilfe-Vereines, Ines Geipel, zur Seite. Diese entblödete sich nicht, die ins Auge gefasste Ehrung Täve Schurs als »Sakralisierung des kriminellen DDR-Sports« zu bezeichnen. Und auch der ehemalige Sporthilfe-Chef und Hall-of-Fame-Mitbegründer Hans Wilhelm Gäb stimmte in den Hassgesang ein: »Kein Mensch käme auf die Idee, einen im Sport erfolgreichen Nazi, wenn er auch heute noch die Untaten des Regimes verherrlichte, in die ›Hall of Fame‹ aufzunehmen. Warum dann Schur, der mit 86 Jahren immer noch als Propagandist einer Diktatur auftritt, die erwiesenermaßen Tausende von Menschenleben auf dem Gewissen hat?« Geipels, Gäbs und Miserskys Hass auf den untergegangenen Staat hat, wie es scheint, ihren Verstand aufgefressen. Das hinderte Massenmedien vom Deutschlandfunk bis zum Berliner Kurier nicht, den Attacken auf Schur breiten Raum zu geben. Geipel warf dem Ruhmeshallekandidaten auch vor, wider besseres Wissen zu lügen. Der Vorwurf bezieht sich auf ein Interview, das Schur dem neuen deutschland zu seiner erneuten Nominierung für die »Hall of Fame« gab (20.4.17). In der Tat, erdreistet sich der Kandidat doch zu behaupten: »Der DDR-Sport war nicht kriminell, sondern vorzüglich aufgebaut: Der Aufbau der sportlichen Gesundheit der Bevölkerung aus den Kindergärten heraus über den Schulsport bis hin zu den Leistungssporteinrichtungen war einmalig.« Mehr noch, er meinte gar dreist, den DDR-Sport als kriminell zu bezeichnen, sei »völliger Quatsch«. Noch schlimmer war allerdings, dass er sich anmaßte, auch einige Worte über Doping in der BRD zu verlieren. Was auf der Ostseite passiert sei, wüssten wir; die große Frage sei, »was im Westen passiert ist. Das erfahren wir erst so langsam … Ich weiß, dass schon 1952 in Freiburg fleißig geforscht wurde – am Aufputschmittel Pervitin, das zuvor im Krieg von der Wehrmacht verwendet worden war. Nur so viel: Wir hatten in der DDR keine Dopingtoten, anders als im Westen.« Diese zwar zutreffende, aber letztlich doch unverschämte Behauptung brachte das Fass zum Überlaufen. In der zuständigen Jury gab es keine Mehrheit für Täve Schur, und zum zweiten Mal wurde er nicht in die »Hall of Fame« aufgenommen, da er sich zum Doping kontrovers geäußert habe. Dabei war Schur nicht einmal auf die erwiesene Tatsache eingegangen, dass in der Bundesrepublik wie in anderen westlichen Ländern zuerst gedopt wurde. Er hätte guten Grund gehabt, den heutigen Finanzminister, Wolfgang Schäuble, zu zitieren. Dieser hatte 1977 auf einem Hearing im Sportausschuss des Deutschen Bundestages gefordert, auch anabole Substanzen unter ärztlicher Kontrolle einzusetzen, wenn es denn für das Prestige der Bundesrepublik nötig wäre (Brigitte Berendonk: »Doping, Dokumente. Von der Forschung zum Betrug«, 1991, S. 21). Und als Minister des Inneren der schwarz-rosa Großen Koalition gestand er im April 2009 ein, dass es Doping in beiden Teilen Deutschlands gab, um fortzufahren: »Wir sollten uns daher hüten, mit dem Finger auf den jeweilig anderen Teil zu zeigen. Es ist vielmehr an der Zeit, dass Deutschland auch im Sport zusammenwächst … Dazu gehört im Leistungssport auch die gemeinsame Aufarbeitung der Dopingfälle in Ost und West. Unterschiede darf es hier nicht geben.« (Pressemitteilung des Bundesministeriums des Inneren vom 6.4.2009) Die »Hall of Fame« hat einen eigenen Song. Darin heißt es: »Ja, du kannst der Größte sein, du kannst der Beste sein. Du kannst King Kong sein, auf deiner Brust trommeln … Du kannst Berge versetzen, du kannst Steine zerschmettern. Manche werden es Übung nennen, manche Glück. Egal wie, du wirst Geschichte schreiben.« Täve Schur trommelte nicht, er war auch nicht King Kong. Auch wenn er jetzt erneut nicht in die virtuelle Ruhmeshalle aufgenommen wurde, bleibt er doch dauerhaft in der Geschichte des DDR-Sports eingeschrieben. Die Die Juroren aber, die es ablehnten, den beliebtesten Sportler der DDR in die »Hall of Fame« aufzunehmen, sollten für die Aufnahme in eine zu schaffende »Hall of Shame« kandidieren. Sie hätten große Chancen
Erschienen in Ossietzky 10/2017 |
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