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Die Ansicht, dass »wir Deutsche« Opfer der »gierigen Griechen« und der »faulen Flüchtlinge« sind, scheint weit verbreitet zu sein. Die wenigsten Menschen in Deutschland kennen Fluchtursachen wie das EU-Freihandelsabkommen mit afrikanischen Staaten (EPA) oder scheinen zu wissen, dass über 90 Prozent der sogenannten EU-Hilfsgelder gar nicht »den Griechen« zugutekommen, sondern größtenteils deutschen und französischen Banken. Diese Entwicklung geschieht nicht schicksalhaft, sondern gehorcht einem klaren Gesetz des neoliberalen Kapitalismus, seiner Krisen und Kriege. Während Kinderarmut und die verschiedensten Kindeswohlgefährdungen zunehmen, steigt der Vermögensreichtum in Deutschland und Europa – auch dank steuerlicher Schonung durch legale und illegale Praktiken. Das Nutznießen imperialer Gewaltverhältnisse lässt sich als »imperialistische Integration« bezeichnen. Eine »Barbarisierung« der Gesellschaft ist zu konstatieren (obgleich die historischen »Barbaren«, also Nicht-Griechen oder Nicht-Römer in der Antike, wenig dafür können). Für den Imperialismus-Check zum »Kapitalexport« dient die Analyse der Zwangs-Privatisierung rentabler griechischer Flughäfen durch FRAPORT, die Frankfurter Flughafengesellschaft, welche sich im Teilbesitz von Hessen und der Stadt Frankfurt befindet. Als anschauliches Beispiel für staatsmonopolistischen Kapitalismus (Stamokap) werden bei den betreffenden griechischen Flughäfen in Zukunft Gewinne abgeschöpft und zum Teil in die Stadtkasse fließen. Dadurch können die Frankfurter sich glücklich schätzen, dass genügend Geld für Kitas oder Schulen vorhanden ist. De facto ist das allerdings Geld, welches den griechischen Kindern, Kitas und Schulen gestohlen wurde (vgl. »Fraport kassiert, Athen haftet«, FR 15.4.2016). Da sich die Mehrheit der Deutschen im deutsch-griechischen Verhältnis auch noch als Opfer der »gierigen Griechen« ansieht, kann hieran studiert werden, wie imperialistische Integration nach innen funktioniert (auch im Sinne des ideologischen Täter-Opfer-Tauschs). Wenn noch der prekarisierteste Niedriglöhner als erste Sorge nennt, dass »die Kanzlerin ihr Portemonnaie« nicht zu weit für die »gierigen Griechen« öffnet, dann ist die herrschaftliche Integration vorzüglich gelungen. Darüber, dass der frühere EU-Parlamentspräsident Martin Schulz an alldem irgendetwas auszusetzen oder gar dem entgegenzusetzen gehabt hätte, ist leider wenig bekannt. Und da wurde noch kein Wort über die in Deutschland systematisch verdrängten NS-Verbrechen in Griechenland und den weiterhin zurückzuzahlenden Nazi-Zwangskredit verloren. So erweisen sich die Verhältnisse, dieses gegenwärtige Deutsch-Europa, als die Geschäftsgrundlage auch für alle, die der EU, dem Euro oder der NATO die Treue halten, jedoch ein bisschen mehr Gerechtigkeit und Frieden durch Reformen anstreben – und dann leider regelmäßig scheitern, aber nicht wissen, warum. Gedankensplitter zur öffentlichen beziehungsweise veröffentlichten Meinung Wie dies allerdings so kommen konnte, hängt auch mit der stimmungsmachenden medialen Berichterstattung zusammen. Selbstbemitleidend wird in letzter Zeit immer wieder in den sogenannten Leitmedien gefragt, was man denn nur falsch gemacht habe. Man möchte fast antworten: Funktional eigentlich gar nichts. Die »deutsche Medienlandschaft« passt genau in diese Zeit der sozialen Polarisierung zwischen Arm und Reich, der Kriegsgefahren und des Rechtsrucks. Europa ist so gespalten wie nie, Krieg ist wieder »normal«, die Krisenländer sind »selbst schuld« am deutschen Export-Überschuss und sollen »endlich ihre Hausaufgaben machen«. Rassen-Hass und Russen-Hass sind wieder on top inner- und außerhalb der »Qualitätsmedien«. Wer in den letzten Jahren ein wenig die tägliche politische Bildung mit den großen Buchstaben über »faule« und »gierige Griechen« sowie »dumme Muslime«, »kriminelle Ausländer und Flüchtlinge« (vgl. bild.de v. 29.8.2010, 26.12.2007, 26.2.2015, 4.2.2017; weitere Beispiele und kritische Analysen vgl. www.bildblog.de) zur Kenntnis genommen hat, wer also den gelebten »Sarrazynismus« (mit den passenden Rasse-Theorien) betrachtet – und keineswegs nur in Bild –, kann von Pegidisten und AfD, aber auch vom grundsätzlichen alltäglichen Irrationalismus nicht besonders überrascht sein (vgl. den Rechtsextremismusforscher Wilhelm Heitmeyer, der sich nur wundert über diejenigen, die sich angesichts dieser Vorgeschichte über die AfD-Erfolge wundern, FR 28.10.2016). Die selbstkritische Aufarbeitung der Verschärfung der Krise in der Ukraine, aber auch in anderen Bürgerkriegs- und Konfliktregionen der Welt (Syrien, Libyen, Griechenland et cetera) durch deutsche Medien, Politiker/innen und Wissenschaftler/innen hat bis heute noch nicht stattgefunden. Wer sich besorgt fragt, woher die Normalisierung von Nationalismus, Kriegspropaganda und Rechtsextremismus in Europa kommt, wird sich auch hiermit beschäftigen müssen. Deutsche Medien könnten sich fragen, wieviel »Sarrazynismus-Sloterdijkismus« nötig ist, damit unzufriedene, leidende Menschen Parteien und Bewegungen unterstützen, die ihre Lage objektiv verschlimmern, statt verbessern. Wie verblendet müssen Arbeitslose sein, dass sie Parteien wählen, deren Ziel es ist, die Reichen durch Streichung der Erbschaftssteuer noch reicher und die Armen durch Zerstörung der Arbeitslosenversicherung noch ärmer zu machen? Im Vorstand dieser Parteien sitzen Politiker, die offen fordern, Arbeitslosen das Wahlrecht abzuerkennen, und sie werden zu einem großen Teil von Arbeitslosen und prekär Lebenden gewählt. Der Sachverhalt zeigt: Prekarisierung, Verarmung, Verelendung gibt es nicht nur geldförmig, sondern buchstäblich auch als »Unwissenheit, Brutalisierung und moralische Degradation«, wie es Karl Marx vor 150 Jahren formuliert hat (»Das Kapital« Bd. I, S. 725). Die Wahlergebnisse und öffentlichen Artikulationen sind auch ein Ausdruck dessen. Ebenso sollten sogenannte Qualitätsmedien der Frage nachgehen, warum Menschen, die seit mindestens 26 Jahren Standort-Nationalismus, Wettbewerb, Konkurrenz und Exportmacht-Chauvinismus (von deutschen Medien) gepredigt und durch reale Verhältnisse eingepaukt bekommen haben, nicht in beträchtlicher Zahl nationalistisch-rassistisch denken, nicht zum Beispiel Flüchtlinge als Konkurrenz um Wohnungen und Arbeitsplätze wahrnehmen und ablehnen sollten? Zumindest, solange Regierende und verschiedene Ökonomen ganz offen für Einschränkungen beim Mindestlohn, für Rentenkürzungen sowie ähnliche Einschnitte »wegen der Flüchtlinge« eintreten und stolz auf gedeckelte Haushalte unter der Prämisse schwarzer Nullen und der Schuldenbremse verweisen. Die Forderung einer »Autofahrer-Soliabgabe für Flüchtlinge« von Bundesfinanzminister Schäuble machte 2015 noch dem letzten Rassisten klar, dass der Deutschen größtes Heiligtum, das Auto und dessen Unterhalt, von »Fremden« gefährdet werde. Zugleich dachte und denkt Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble nicht im Traum daran, die Vermögensteuer wieder einzuführen, die Erbschaftsteuer und den Spitzensteuersatz anzuheben oder die ihm seit mehreren Jahren zugetragenen Informationen über Steuerhinterziehungen durch Briefkastenfirmen deutscher Banken, Millionäre und Milliardäre (Luxemburg-Leaks, »Panama-Papers«, CumEx-Geschäfte et cetera) für eine halbwegs gerechte Besteuerung der Reichen in Deutschland zu nutzen und damit die notwendigen Mehrausgaben und Investitionen für Flüchtlinge und Nicht-Flüchtlinge im Wohnungs-, Arbeits-, Bildungs- und Gesundheitsbereich zu finanzieren. Hier gäbe es viel Arbeit für aufklärerischen Journalismus. Ein Beispiel für die durchschnittliche »deutsche Medienlandschaft« war die zumeist einseitige Berichterstattung über die Beteiligung von Rechtsextremen am Staatsstreich in der Ukraine im Februar 2014 sowie das weitgehende Schweigen über die Taten der rechtsextremen Nationalisten beim Pogrom vom 2. Mai 2014 in Odessa und hinsichtlich der seitdem andauernden Bombardierung bewohnter Städte in der Ost-Ukraine. Berichte über Verfolgungen und Misshandlungen von Oppositionellen, Kriegsdienstverweigerern, Nicht-Bandera-Verehrern, Antifaschisten, Linken, Kommunisten, die zuvor vielleicht auch auf dem Maidan gegen die alte korrupte Oligarchenherrschaft demonstrierten, aber dazu keiner antirussischer Ressentiments bedurften und die ukrainischen NS-Kollaborateure beim Holocaust und anderen Genoziden während der NS-Besatzungszeit nicht bejubeln wollten, kamen in deutschen »Qualitätsmedien« so gut wie nicht vor. Rechtsextremismus, Rassismus und Nationalismus, verbunden mit Antisemitismus und Antikommunismus sind in der Mitte Europas sowas von angekommen, dass man sich nur wundern kann über diejenigen, welche nicht sehen wollen, dass das Bejubeln (und gelegentliche Leugnen) von SS-Männern und Holocaust-Kollaborateuren in Ungarn, in der Ukraine, in Kroatien oder in baltischen Staaten zum ganz normalen Alltag Europas gehört, dass Erdoğan sich öffentlich an Adolf Hitler orientiert und Netanjahu Hitler und die Nazis entlastet, indem er einen Palästinenser zum entscheidenden Ideengeber für den Holocaust macht. Diese Formen demokratiegefährdender Geschichtspolitik wären ein wichtiges Themenfeld für eine kritische Medienlandschaft. Doch am wichtigsten ist der Terror (?) Unterdessen beherrschen Terror-Debatten die politische, wissenschaftliche und mediale Öffentlichkeit. Die meisten Opfer islamistischen Terrors sind Muslime. Wer Terror-Paten im Nahen Osten mit Geld und Waffen ausrüstet und einen dieser Paten trotz IS- und El-Kaida-Unterstützung, Kurden-, Presse- und Wissenschaftler-Verfolgung zum »Türsteher« gegen Flüchtlinge vor Europas Grenzen macht, müsste von verantwortlichen Medien nach seinem Anteil an Terroranschlägen befragt werden. Seit Mitte der 1960er Jahre hat beispielsweise Belgien einen Pakt mit Saudi-Arabien geschlossen: für billiges Öl (nach Belgien), Waffen (nach Saudi-Arabien) und religiöse Vormacht Saudi-Arabiens zur Indoktrination belgischer Muslime im Geiste der reaktionärsten Form des Islams. Der belgische Staat hat somit dazu beigetragen, seinen muslimischen Staatsbürgern einen demokratie- und fortschrittsorientierten Islam vorzuenthalten. Man könnte auch sagen, das bedeutet: 50 Jahre staatlich organisierte Kindeswohlgefährdung belgischer Mädchen und Jungen muslimischen Glaubens und Förderung von Terror-Förderern (vgl. DLF v. 26.11.2015). Warum hören wir so wenig in unseren Mainstream-Medien von diesen Zusammenhängen, wenn über »Integration« und »Terror-Gefahr« diskutiert wird? Indessen werden »›Fake News‹-Debatten« mit großer Vorliebe über »die da unten« geführt, aber selten mit ihnen. Praktisch nie geht es dabei um eine selbstkritische Analyse manipulativer und äußerst einseitiger Berichterstattung bürgerlicher Leitmedien. Von Kontroversen zur »Lügenpresse« über sogenannte postfaktische Unterstellungen und »alternative Fakten« bis zu wirrsten Verschwörungstheorien wird im Moment kaum etwas ausgelassen. Hatten sich asoziale Netzwerke bereits seit Jahren auf die Verbreitung von Lügen und Hetze gegen Minderheiten spezialisiert, so kommt den sogenannten seriösen Leitmedien das zweifelhafte Verdienst zu, im Gestus des aufgeklärten Besserwissers kaum weniger Vorbehalte, Vorurteile und Einseitigkeiten zu reproduzieren als die Blasen-Netzwerke selbst. Dies lässt sich seit einigen Jahren sowohl anhand der leitmedialen Berichterstattung über sozialpolitische Themen (wie Demografie, Rente, Altersarmut), als auch bei der Betrachtungsweise internationaler Konflikte (wie Griechenland, Ukraine, Syrien, Verhältnis NATO – Russland) ausgiebig nachweisen. In unübersichtlichen Umbruchs- und Krisenzeiten zetern erstaunlicherweise diejenigen Leitmedien am lautesten gegen postfaktische Berichterstattung und sogenannte Fake News, die sich sonst eher mit einseitiger und tendenziöser Berichterstattung über Innen- und Sozialpolitik, Krisen und Kriegsschauplätze hervorgetan haben (vgl. Eckart Spoo: »Wording« in: Ronald Thoden (Hg.): »ARD & Co. – Wie Medien manipulieren«, 2015, S. 5ff.). Somit stellt sich die Frage, wer die Macht hat, wie über wen zu urteilen – und dieses Urteil durchzusetzen.
Erschienen in Ossietzky 10/2017 |
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