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Der Schwerpunkt heißt 1990 bis 2016, er heißt Pegida, NPD, AfD, Wagenburg, Fremdenfeindlichkeit, also »Wut«. Aber auch das letzte Titelwort »Willkommen« ist angefragt. Hinzu stellten die Herausgeber die gleiche Anzahl kurzer Stimmen »Mein Sachsen«, von prominenten Politikern wie Werner Schulz oder Heinz Eggert, Künstlern wie Küf Kaufmann oder Michael Triegel oder auch unbekannten Bloggern, Studenten, zeitweilig in Sachsen Lebenden aus verschiedenen Weltgegenden. Erschienen ist das Ganze im Christoph Links Verlag. Der Vater des Verlegers war ebenfalls Verleger bei der Leipziger Verlagsgruppe Kiepenheuer. Der Autor dieses Beitrages ist ein zeitweilig in Thüringen und Berlin stationierter gebürtiger Sachse, der Herkunft und Bindungen weder verleugnen kann noch will. In »Unsere Heimat sind Städte und Dörfer« (Ossietzky Nr. 24/2007) habe ich mein seltsames Verhältnis zu Mittweida und seinem »Sturm 34« geschildert. In diesem Buch und wohl auch in Deutschland wird immer wieder gefragt: Warum Sachsen? Warum entstanden dort »national befreite Zonen«, warum zog in Dresden die NPD in Fraktionsstärke in den Landtag, warum tauchen bei flüchtlingsfeindlichen Aktionen immer wieder sächsische Ortsnamen auf: Clausnitz, Freital, Bautzen, Einsiedel, Hoyerswerda? Und warum hat bislang Pegida, die angeblich nur eine islamkritische Bewegung ist, allein in Dresden einen großen Zulauf von »besorgten Bürgern«? Die Autoren könnten sich manches einfach machen – aber sie spüren nach oder widersprechen einfachen Schlüssen. Die Pegida-Historie wird durchleuchtet, die erste große Austreibung von Fremden in Hoyerswerda akribisch geschildert, Sorben-Hass thematisiert. Olaf Sundermeyer erzählt in bester Reportage-Manier, wie zwei Meißner Familienväter einen Brandanschlag auf eine Flüchtlingsunterkunft verüben. Wie aus Nachbarschaftsstreit ein veritabler Fremdenhass entsteht, berichtet Thomas Datt in »Flucht aus Colditz«. Die moderne Sachsen-Geschichte aber beginnt mit König Kurt Biedenkopf und seinem landesherrlichen Gehabe. Im Text ein typischer Fehler: Der Ort Schkopau gehörte auch in den 1930ern nicht zu Sachsen, sondern lag im Kreis Merseburg, also der preußischen Provinz Sachsen. Doch wie soll ein Spiegel-Journalist das unterscheiden? Wir Sachsen sind bei derlei Fehlern pingelig, wie es kölnisch-gesamtdeutsch heißt, oder kääbsch, wie wir sagen. Das Buch bietet allerlei Anlass, auf den anderen zu zeigen und sich damit zu entschulden. Es waren die Nazis, nicht wir einfachen Menschen. Es waren Ossis, nicht wir Demokraten. Es sind die Sachsen, nicht wir Berliner. Landsmannschaftliche Abgrenzung hat Tradition, durch Ost-West-Kämpfe neu angefacht. Der hanseatisch-linke Intellektuelle dünkt sich den Bayern mit ihrer Zement-Einheitspartei schon immer überlegen. Obschon doch in Bayern Widerständler, Anarchisten und Fremdenfreunde nicht eben geduckt und leise sind. Insofern ist Sachsen Projektionsfläche, die eigene Region im bessern Licht zu sehen. Wie war das übrigens mit den Silvester-Übergriffen zu Köln? Kann in Leibbzsch ieberhaubd ni bassiern … Der Beitrag von Amrei Drechsler »Der Fackelträger« bietet ein hübsches methodisches Missverständnis. Es geht um Uwe Steimle, der hier als Verkörperung Dresdner DDR-Mentalität und Fremdenfeindlichkeit dargestellt wird. Steimle mag oft Blödsinn oder auch Bleedsinn reden – seine Figur des Günther Zieschong als unverhohlenes Ich des sächsischen Wutbürgers Steimle zu nehmen, entspringt banausischem Kunstverständnis, in der DDR oft üblich. Wenn der Schriftsteller keinen positiven Held hat, ist er rückwärtsgewandter Friedensfeind. Satirische Figuren nehmen Stimmungen der Bevölkerung auf, verzeichnen diese, bis der Zuschauer erschreckt: Das bin ja ich! Zieschong ist so einer, bärmelt daher wie das Volk und entlarvt sich im Nebensatz. Die Kabarett-Figuren eines Gerhard Polt bramarbasieren über die Gefügigkeit kindlicher Fernost-Frauen, über grässliche Kinderbesitzer, Ausländer und Kommunisten. Ist Polt also nach der Drechsler-Methode Rassist, Frauenfeind, Kinderschänder? Das Kluge an diesem Buch ist seine diskursive Anlage, seine Vielfalt. Dass Werner Schulz heute ein auf Hochdeutsch gequältes Sächsisch spricht, erklärt sein eigener Kurztext. Der Nord(ost)deutsche Peter Wawerzinek, Stadtschreiber in Dresden, bringt es auf den unreinen Reim: »[Sachsen] … geraten bei der Saalkeilerei / nicht so flink in Rage, aber wenn, wehe dem enorm / werden sie rot vor Zorn …« Am besten aber charakterisieren sich noch immer gebürtige Sachsen wie Erich Kästner: »Wir sinn nich so gemiedlich, wie wir schbrechen. / Wir hamm, wenns sein muss, Dinnamid im Bluhd. / Da kennse Gifd droff nähm, dass wir uns rächn! // Na, Ihr Gesichde merkd sich ja ganz guhd. / Wir wärn Ihn' schonn noch mal de Knochen brechn. / Nur Muhd!« Heike Kleffner/Matthias Meisner (Hg.): »Unter Sachsen. Zwischen Wut und Willkommen«, Ch. Links Verlag, 312 Seiten, 18 €
Erschienen in Ossietzky 10/2017 |
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