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Während vor zehn Jahren noch mit dem Einsparzwang aus Kostengründen argumentiert wurde und der Mechanismus des systematischen Personalabbaus als alternativlos galt, ist es nun der Fachkräftemangel, der von den Betreibern und Fachpolitikern ins Zentrum der Argumentation rückt. Man würde ja gern mehr Pflegekräfte einstellen, aber der Arbeitsmarkt in diesem Bereich sei leergefegt. Einen Zusammenhang zwischen per Fallpauschalen gewollt produziertem Rationalisierungsdruck im Krankenhausbereich und Engpässen am Arbeitsmarkt mögen die Verantwortlichen nicht sehen. Angeblich soll das neue Gesetz zur Pflegeausbildung die Attraktivität des Berufes erhöhen, weil es eine zweijährige gemeinsame Ausbildung für alle Pflegeberufe mit anschließender einjähriger Spezialisierung in Kranken-, Kinder- oder Altenpflege an die Stelle getrennter Ausbildungsgänge setzt. Wenig geredet wird über Finanzierung. Zwar sollen Altenpfleger*innen in spe kein Schulgeld mehr zahlen, doch ist darüber hinaus nicht beabsichtigt, die Pflegekräfte, die sich um Senior*innen kümmern, wirklich angemessen zu bezahlen. Verbesserungen – da sind sich Gesundheitsminister und Deutsche Krankenhausgesellschaft einig – muss es da geben, wo es für alle sichtbar »brennt«: auf den Intensivstationen und bei der Besetzung der Nachtschichten in den Krankenhäusern. Hier sollen die Betreiber verdonnert werden, mit den Gewerkschaften Mindestbesetzungen festzusetzen. Es soll also eine »rote Linie« eingezogen werden, zumindest zur Beruhigung der Öffentlichkeit in Wahlkampfzeiten. Sollten die Betreiber der Kliniken nicht spuren, kündigt der Minister an, werde »die Politik« Mindeststandards vorschreiben. Bei genauerer Betrachtung bleibt aber fast alles beim Alten. Nach einem zunächst erfolgreichen Streik in der Charité 2016 klagen die Beschäftigten darüber, dass die Klinikleitung sich schwertut, das Zugesagte umzusetzen. Sicher wird es hie und da Verbesserungen geben – statt 300 vielleicht nur noch 100 Überstunden im Einzelfall. Aushilfskräfte mit Migrationshintergrund bekommen eine Chance. Sie werden aber oft nicht als Fachkräfte zu Tarifbedingungen bezahlt, und es wird auch daran gespart, ihnen dem Beruf angemessenen Sprachkenntnisse zu vermitteln. Dies gilt dann als Vorwand dafür, ihnen den Status der Vollwertigkeit vorzuenthalten. Im Ergebnis kommt es zur Absenkung des Lohnniveaus durch Einsparung voll ausgebildeter Pflegekräfte durch angelernte. Die Tücke liegt im Detail. Nicht im Detail, sondern im großen Ganzen bleibt das Grundproblem. Die im Jahr 2003 eingeführten Fallpauschalen (Deckelung der Behandlungskosten pro Fall) zwecks Kostensenkung sollten bewirken, was sie bewirkt haben: die »Marktmechanismen« auf das Krankenhaus- und Gesundheitswesen loszulassen. Oft können Städte, Landkreise und Bundesländer notwendige Investitionen in Kliniken, die noch von ihnen geführt werden, nicht aufbringen. Dies führte zu einer Privatisierungswelle ohne Gleichen. Das Ergebnis: Im Wesentlichen sind drei große Konzerne zu Taktgebern der Entwicklung geworden. Es handelt sich um Aktiengesellschaften, deren einziger Unternehmenszweck darin besteht, Renditen zu erwirtschaften, die die Ausschüttung von Dividenden ermöglichen. Renditen lassen sich in personalintensiven Branchen hauptsächlich durch Senkung der Personalkosten erwirtschaften. Daran ändern auch Personalmindestvorgaben in Einzelbereichen nichts. Was dort mehr ausgeben wird, wird an anderer Stelle eingespart. So war von den Normalstationen bei Gröhes »Haltelinien« schon nicht mehr die Rede (allenfalls in der Nachtbesetzung). Für die Altenpflege sind keine Personalmindeststandards vorgesehen. Trotz geplanter gemeinsamer Ausbildung findet eine weitere Hierarchisierung des Pflegebereichs statt. Der Sprecher der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Thomas Reumann, bezeichnet die Krankenhäuser zwar immer noch als Teil der »Daseinsvorsorge«. Doch kann das getrost unter fake oldies (neu ist das nämlich nicht) abgeheftet werden. Er findet es nicht verwerflich, dass im Gesundheitswesen »Geld verdient« werden kann – schließlich wollten die Krankenschwestern ja auch ihren Lohn. Dies ist seine Entgegnung, als in einer Talkshow Zweifel daran geäußert wurden, dass Aktionärsinteressen die Verhältnisse in Krankenhäusern lenken sollen. Die Kritik richtet sich aber nicht gegen die Entlohnung von Dienstleistungen, die an kranken Menschen erbracht werden, sondern gegen das Bedienen von Leuten, die ihr Geld »arbeiten« lassen auf Kosten jener Menschen, die ihre Arbeitskraft einsetzen, und zu Lasten jener Patient*innen, die darauf hoffen, dass sie nicht nur dann geheilt werden, wenn die Behandlung ihrer Gebrechen im Profite gerierenden Bereich stattfindet. Irgendwie scheinen auch Minister Gröhe und seine Kollegen zu ahnen, dass das Aussaugen des immer noch wesentlich durch Beiträge von Lohnempfänger*innen finanzierten Gesundheitssystems tatsächlich an Grenzen geraten könnte und der Lack abblättert. Gern möchte man dem Minister: »Be careful, Mr. Gröhe« zurufen. Es wird ihn aber wenig stören. Es fehlt – trotz erfolgreicher Streiks und wachsender Streikbereitschaft – immer noch das entscheidende Drohpotential derer, die im sogenannten Care-Bereich arbeiten. Noch ist der Druck, den sie bisher aufbauen konnten, nicht groß genug. Warum das so ist und wie es geändert werden könnte – das müsste Gegenstand weiterer, nicht nur gewerkschaftlicher Überlegungen sein.
Erschienen in Ossietzky 9/2017 |
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