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Zukünftig können Frauen weiter beschäftigt werden, wenn sie sich ausdrücklich zur Arbeitsleistung in dieser Zeit bereit erklären. Wer die betrieblichen Bedingungen im Blick hat, ahnt, wessen Interessen hier im Vordergrund stehen. Ein Unternehmen muss die Schwangere bezahlen, egal ob sie zuhause ist oder arbeitet. Eine zusätzliche Arbeitskraft für die sechs Wochen, ist ein verlockendes »Angebot« für die Betriebsleitung. Es fällt auf, wie oft in letzter Zeit der Begriff »freiwillig« eingesetzt wird. »Arbeit auf Abruf« ist ein großes Problem für Einzelhandelsbeschäftigte, denn sie müssen immer dann arbeiten, wenn es dem Unternehmen am besten passt. Selbst die gesetzlichen Anmeldefristen vier Tage vor Einsatz werden häufig nicht eingehalten. Die bezeichnende Reaktion einer Sprecherin der Lufthansa Service Gesellschaft auf solche Verstöße: Diese basieren »ausschließlich auf Freiwilligkeit«. Ähnliche Reaktionen gibt es auch vom Arbeitgeber H&M. »Freiwilligkeit« zeigt hier ganz klare Machtverhältnisse in den Betrieben auf. Sie ist zum neuen Modebegriff, zum klaren Trend geworden. Seit den 1990er Jahren wird durch »freiwillige« Betriebsvereinbarungen eine Ausweitung der Arbeitszeiten über »Zeitkonten« vereinbart. Die Tarifverträge in der Metallindustrie weisen ein hohes Maß an differenzierten und flexiblen Regelungen auf, betont Reinhard Bispinck, der langjährige Tarifexperte der gewerkschaftlichen Hans-Böckler-Stiftung. Tarifstandards der Branchen können in vielfältiger Weise an die »betrieblichen Bedingungen« angepasst werden. Davon wird in der Praxis reger Gebrauch gemacht. Das machte bereits die Beschäftigtenbefragung der IG Metall »Arbeit: sicher und fair!« deutlich. Trotz 35-Stunden-Woche arbeiten »in Vollzeit beschäftigte Männer im Schnitt 40 bis 42 Stunden«, beklagt Stefan Schaumburg, Leiter des Bereichs Tarifpolitik beim IG Metall-Vorstand. Sämtliche Arbeitszeit müsse erfasst werden und »für Beschäftigte planbar und beeinflussbar sein«, fordert der IG Metaller. Die Zunahme überlanger Arbeitszeiten zeigte 2015 der Sozialreport der IG Metall zur Autoindustrie in Sachsen auf. Mehr als die Hälfte der Befragtengab an, dass ihre regelmäßige Wochenarbeitszeit höher ist als die vertraglich vereinbarte. 90 Prozent der Befragten arbeiten auch an Wochenenden und Feiertagen. Ein weiteres Beispiel: »freiwillige« Zielvereinbarungen, die zwischen Arbeitnehmer und direktem Vorgesetzten getroffen werden. Statt direkten Anweisungen, wie die Arbeit auszuführen ist, organisieren die Beschäftigten Arbeitsabläufe selbst. Das moderne Unternehmen »ermutigt Mitarbeiter, aktiv und schnell individuelle Lösungen an der direkten Kontaktstelle zum Kunden zu entwickeln, anstatt auf zentrale Vorgaben zu warten oder durch zu viele und zu starre bürokratische Planungs-, Kontroll- und Reporting-Aktivitäten gelähmt zu werden«, beschreibt die Unternehmensberatung Kienbaum verklausuliert den Druck auf die Beschäftigten. In der Praxis müssen sich so Beschäftigte in eigener Verantwortung innerhalb der Vorgaben direkt dem Kunden gegenüber am Markt orientieren. Das Arbeitsverhältnis soll zum Verhältnis »Dienstleister gegenüber Kunde« werden. »Mit Zielen können Sie ja wirklich einiges steuern. Sie können auch Mitarbeiter unter Druck setzen«, so ein Betroffener (zitiert nach Breisig: »Sie müssen es nicht verstehen, Sie müssen es nur verkaufen«, Seite 310). »Die Situation ist nun beinahe unerträglich geworden«, berichtet eine IT-Projektleiterin über ihre Arbeit. »Mich regiert blanke Angst.« (zitiert nach Schwarzbach: »Work around the clock?«, Seite 53). »Freiwillig« können zunehmend auch Abweichungen von Tarifverträgen vereinbart werden. Es gibt keine Branche, für die nicht in den vergangenen Jahren Öffnungsklauseln vereinbart worden sind. Löhne, Urlaubs- und Weihnachtsgeld können betrieblich gesenkt werden. In der Chemieindustrie gibt es niedrigere Einstiegstarife für Langzeitarbeitslose. Eine Härtefallklausel in der Metallindustrie sieht vor, die Arbeitszeit ohne Lohnausgleich auf 30 Stunden zu verkürzen, wenn der Unternehmer dies will. Eine Klausel im Einzelhandel in Ostdeutschland sieht geringere Gehälter in kleineren und mittleren Firmen vor. »Freiwillig«, zum Erhalt von Arbeitsplätzen. Die Betriebsparteien, das heißt Unternehmensleitung und Betriebsrat, setzen diese Regelungen um. Betriebsräte versprechen sich jedoch von dieser Verbetrieblichung der Tarifpolitik keine Fortschritte – denn sie müssen hier den Verzicht auf Ansprüche regeln, haben aber kein Streikrecht. Damit es zu diesen freiwilligen Regelungen kommt, üben Unternehmen massiv Druck auf die Belegschaften aus. Freiwilligkeit wird so zunehmend zum Kampfbegriff von Unternehmen, und Regierungspolitiker übernehmen die Rhetorik. Die Regelungen zum Mutterschutz stammen aus dem Jahr 1952. »Seither haben sich die Arbeitswelt, aber auch die Erwerbstätigkeit der Frauen selbst grundlegend gewandelt«, begründet das Bundesfamilienministerium auf seiner Website die Gesetzesänderung zum Mutterschutz, die der Bundestag Ende März 2017 beschlossen hat und die zum 1. Januar 2018 in Kraft tritt. Aber nicht alles hat sich geändert. In den 1950er Jahren setzten Metallarbeiter in Schleswig-Holstein einen neuen Tarifvertrag zur Lohnfortzahlung im Krankheitsfall durch. »Freiwillig« wollten die Unternehmer das nicht gewähren. Durch die 114 Tage andauernden Streiks sah sich der Bundestag gezwungen, ein neues Gesetz hierfür zu beschließen. Marcus Schwarzbach ist Berater für Betriebsräte. Zuletzt erschien von ihm im PapyRossa Verlag das Buch »Work around the clock? Industrie 4.0, die Zukunft der Arbeit und die Gewerkschaften«, 138 Seiten, 12,90 €.
Erschienen in Ossietzky 8/2017 |
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