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In der Welt, wie wir sie kennen, dominieren Korruption und Gewalt, Ansprüche auf Weltherrschaft und Wirtschaftshegemonie, Ausbeutung, gestützt auf Gewalt und Kontrolle sowie Putsche gegen die Demokratie. »Hass und Ausgrenzung als Leitmotive der Politik« überschreibt die taz den Jahresbericht von Amnesty International, in dem es heißt: Die Regierungen haben »die Augen verschlossen und Deals durchgesetzt, die die freie Meinungsäußerung verletzen oder zum Mord an vermeintlichen Drogensüchtigen aufrufen« (taz, 22.2.17). Was nicht den Interessen des weltbeherrschenden »einen Prozents« und der Konzerne dient, wird weggeputscht (Brasilien), durch Kriege »geregelt« (Afghanistan, Irak, Libyen) durch wirtschaftliche Erpressung und Militärintervention (afrikanische Länder) unterdrückt. Die Elenden werden durch gigantische Zäune und Mauern abgewehrt (EU, USA). Türkei, Philippinen, Südkorea, osteuropäische Länder scheren sich einen Dreck um Demokratie; die EU züchtet ebenfalls Ressentiments, Hass und Rassismus durch Korruption, Ausgrenzung und Kriegsvorbereitungen. Der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Regierungen, Parlamente und Parteien in der EU handeln immer weniger nach demokratischen Grundsätzen. Im Kabinett der westlichen Führungsmacht dominieren Generäle und Milliardäre. Bedürfnisse und Gefühle von Menschen sind für die Politik bedeutungslos. Die meisten Menschen wissen das, und sie bekommen die Auswirkungen zu spüren – wenn sie sie noch erleben. Dieses wildgewordene System der Verwertung und rücksichtslosen Ausbeutung hat den Grundsatz der Menschlichkeit erfolgreich ausgemerzt, wonach Menschen – ob Kinder oder Erwachsene – nicht aufgrund von Leistung, als Konsument oder Arbeitskraft, sondern einfach so, weil sie Menschen sind, geachtet und geliebt, gefördert, respektiert werden wollen und müssen. Sehen Politiker, Generäle, Konzernchefs keine Bilder verzweifelter Menschen in Ruinen, die Toten ihrer Kriege? Doch, aber es lässt sie kalt. So wie die ehemalige Außenministerin der USA, Madeleine Albright, eine halbe Million toter Kinder im Irak, die auf das Konto der Sanktionen gegen den Irak gehen, als durchaus lohnend bezeichnet hat (https://www.youtube.com/watch?v=omnskeu-puE). Die Führer der »westlichen Wertegemeinschaft« betrachten Demokratie nur noch als formales Verfahren zur Ausdehnung von Markt und Wettbewerb, nicht aber als Förderung einer Atmosphäre von Verständigung und Vertrauen zur Stärkung der Volkssouveränität. Entwicklungsförderung bedeutet für Bundeskanzlerin Merkel inzwischen militärische Abschottung. Humanität und Menschenrechte werden von Bundesfinanzminister Schäuble nur nach Maßgabe der Bereitschaft gewährt, sich zu unterwerfen oder ausbeuten zu lassen. Während UN-Generalsekretär António Guterres die »perversen Phänomene« Populismus und Extremismus beklagt, die sich durch Rassismus, Fremdenhass und Intoleranz gegenseitig verstärkten (AFP, 28.2.17), lesen wir am selben Tag, dass in Tschechien der Privatbesitz von Schusswaffen in der Verfassung verankert werden soll und dass die US-Administration das »Verteidigungsbudget« um zehn Prozent anheben will (dpa): »Wir müssen wieder Kriege gewinnen«, begründet US-Präsident Trump diese Etaterhöhung. Gezielt vertauschen die Führer dieser Welt-Unordnung Ursache und Wirkung und verkünden die Gewaltspirale als Kampf gegen Terror. Medien unterstützen sie dabei durch Meinungsmanipulation: »Pence beruhigt Europa. US-Vize: Die Vereinigten Staaten von Amerika stehen fest zur NATO« (Der Sonntag, 19.2.17). Wer ist mit »Europa« gemeint? Ist ein Bekenntnis zur NATO eine Beruhigung? Für wen? Wenn Hass, Gewalt, Menschenfeindlichkeit und Brutalisierung die Gesellschaft vergiften und die Beziehungen zwischen Menschen und Ländern prägen, dann kommen wir nicht umhin, nach Ursachen zu fragen – es sei denn, wir halten diese zerstörte Welt ohne Mitgefühl und Achtung vor den Menschen für die natürliche Ordnung. Die Hauptursache ist die »Globalisierung«, genauer: die von Machteliten durchgesetzte, neoliberal radikalisierte Form des Kapitalismus. Denn der Neoliberalismus ist nicht nur eine (inzwischen hegemoniale) Wirtschaftstheorie, die seit den 1970er Jahren den Siegeszug mit Marktradikalismus, Liberalisierung, Deregulierung und Privatisierung auch der Daseinsvorsorge angetreten hat; er hat vielmehr den Anspruch, die ganze Gesellschaft nach seinen Prinzipien umzubauen und einen neuen Menschen zu formen. Nicht nur die krasse Ungleichheit in der Welt, sondern eine tiefe Veränderung sowohl im Selbstbild der Menschen als auch im impliziten Wertekanon der Gesellschaft sind die Folge. Werte wie Solidarität und Empathie – also die Fähigkeit und die Bereitschaft, sich in andere hineinzudenken und einzufühlen – werden ausgemerzt und durch neue ersetzt, die die seelischen Grundlagen, Bedürfnisse und Motive fundamental verändern. Da sich viele BürgerInnen von den Macht-Eliten verachtet und entwertet fühlen, ohnmächtig sind und existenziell sinnentleert, kompensieren nicht wenige die Erniedrigung durch Sehnsucht nach Stärke und nach mächtigen Figuren, die endlich dieses Chaos aufräumen. Seelische Gesundheit beruht auf der Befriedigung der menschlichen Grundbedürfnisse nach Selbstbestimmung, Gerechtigkeit, Handlungsfähigkeit und Sinnhaftigkeit. Der Neoliberalismus missachtet diese fundamentale Basis des »guten Lebens« nicht nur, er setzt ausdrücklich entgegengesetzte Ziele. Nach seiner Ideologie legitimiert sich Stärke von selbst, jede Hilfsbereitschaft gegenüber Schwächeren ist kontraproduktiv; Egoismus, Wettbewerb und der Sieg des »Starken« sind berechtigt und natürlich. Ob Abschiebepolitik, Agenda 2010, Griechenlanderpressung – jede Abweichung von Gnadenlosigkeit und an Menschenfeindlichkeit grenzender Härte wird von den Propagandisten des neoliberalen Umbaus barsch abgelehnt. Die Politik und die Politiker haben sich diese Prinzipien schnell zu eigen gemacht. Wirtschafts- und Politikfunktionäre wie Silvio Berlusconi, Dominique Strauss-Kahn, Wolfgang Schäuble, Donald Trump, Rodrigo Duterte, Michel Temer, Viktor Orbán, Manuel Barroso, Nicolas Sarkozy – die Reihe ließe sich schier endlos fortsetzen – sind Profiteure und Propagandisten der neuen globalen Ideologie der Unmenschlichkeit. Die Reaktion in der Bevölkerung ist widersprüchlich, denn viele spüren, dass sie die eigene Menschlichkeit aufgeben und krank werden, je mehr sie sich mit den Vorgaben identifizieren. Fixiert auf ein abstrus irreales Menschenbild des »homo oeconomicus« und ein Gesellschaftsmodell nach reinen Marktgesetzen, lassen neoliberale Ideologen und Politiker menschliche Gefühle systematisch außer Acht und verachten geradezu Regeln der sozialen Kooperation und Kommunikation wie auch der Mitmenschlichkeit; Solidarität ist verpönt, weil dadurch die »Versager« noch belohnt werden. Ihre eigenen Interessen werden zum Maßstab des Funktionierens der Gesellschaft erhoben, ihr sozialdarwinistisches Credo wird zum höchsten Wert des Staates. Mögen Neurowissenschaftler noch so sehr betonen, dass der Mensch als soziales Wesen nur in der Kooperation, als Subjekt seine Potentiale entfalten kann; mögen Psychologen darauf hinweisen, dass Grundlagen von Empathie und Hilfsbereitschaft bereits bei Kleinkindern vorhanden sind (solange sie nicht ausgetrieben werden), und Psychiater die existenzielle Bedeutung von Autonomie, Handlungsfähigkeit und Sinnhaftigkeit als Grundlage psychischer Gesundheit hervorheben – den gesellschaftlichen Eliten bleiben solche Einsichten fremd. Ob es um Kriegsplanung für strategische und wirtschaftliche Interessen und regime change, Freihandel, Durchsetzung der Austeritätspolitik, Privatisierung der Daseinsvorsorge geht – von Menschen ist allenfalls als Konsumenten, Kostenfaktor oder Kollateralschaden die Rede. Hartz VI hält keine Würde für die Menschen bereit, weltweite Militäreinsätze und Flüchtlingsbekämpfung kennen keine Menschenrechte. Jeder Familienberater weiß: Werden Kinder mit ihren Bedürfnissen vernachlässigt, verächtlich behandelt, systematisch benachteiligt, dann werden sie aggressiv, gewalttätig oder depressiv, und sie verlieren das Selbstvertrauen. Wird der Schmerz durch Entwertung und Erniedrigung zu stark, muss er durch Betäubung bis zur Gefühllosigkeit abgewehrt werden. Empathie ist eine Fähigkeit, die sich nur dann zu entwickeln vermag, wenn sie erlebt wird. In größeren sozialen Verbänden gelten ähnliche Zusammenhänge. Hass, Gewaltbereitschaft und Rassismus sind nicht in der Natur des Menschen angelegt; sie entstehen aber zwangsläufig dann, wenn die Werte und Regeln der Gesellschaft nicht von Gleichwertigkeit aller, Respekt und Gerechtigkeit durchdrungen sind. Die Gefahr einer Eskalation wächst mit der Durchsetzung neoliberaler Ideologien und der Identifizierung der Menschen mit ihr. Rücksichtslosigkeit der Elite, Hass und Ressentiments der Benachteiligten und der Abstiegsbedrohten führen zu einer Spirale von struktureller und persönlicher Gewalt, die dann wiederum als (Schein-)Legitimation für Kontrolle und Aufrüstung zur Aufstandsbekämpfung dient. Die Gesellschaft ist von Selbstbereicherung und Lügen einer Machtelite, von permanenter Überwachung, militärischer Abschottung und menschenfeindlichen Ideologien und Praktiken vergiftet. Gegenkräfte, die sich für Menschenrechte und Menschlichkeit einsetzen, geraten zunehmend in die Defensive. Da die herrschende Ideologie nicht nur die Wirtschaft, sondern die ganze Gesellschaft und sogar psychische Funktionen durchsetzt hat, reicht es nicht, nur für ökonomische Gerechtigkeit einzutreten. Viel zu tief wirkt die Entwertung und Entwürdigung in der Seele und in den Subsystemen der Gesellschaft. AfD und Trump, IS-Terror und neue Diktaturen sind Folgen dieser Entwicklung – allerdings mächtig genug, sie auf die Spitze zu treiben und zu radikalisieren. Einfache Lösungen durch kleine Korrekturen etwa bei Hartz IV reichen ebenso wenig wie Auswechseln des Personals an der Spitze. Nur wenn sich immer mehr Menschen auf ihre Würde, auf ihre Rechte und auf die Möglichkeit der Selbstbestimmung besinnen, wird es zu einem Stopp des neoliberalen Siegeszuges kommen und damit zu einer Gesellschaft, in der Solidarität, Gleichwertigkeit und Autonomie den Menschen neue Erfahrungen ermöglichen. Es bleibt ein Kampf um Humanität und Souveränität.
Erschienen in Ossietzky 8/2017 |
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