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In der Nazi-Zeit wurden Sinti und Roma verfolgt und ermordet; und in der jungen Bundesrepublik hat der Bundesgerichtshof mit seinen sogenannten ›Zigeuner‹-Urteilen die Opfer verhöhnt, ihr Leid ignoriert und das Unrecht fortgesetzt.« So Stefanie Hubig, Staatssekretärin im Bundesjustizministerium, in Vertretung ihres Chefs, des Justizministers Heiko Maas, bei der Eröffnung des Symposiums »Doppeltes Unrecht – eine späte Entschuldigung«, das im vorigen Jahr gemeinsam vom Zentralrat Deutscher Sinti und Roma und dem Bundesgerichtshof (BGH) in dessen Räumen durchgeführt wurde. Eine Broschüre, in der die Redebeiträge des Symposiums dokumentiert sind, ist Anfang März 2017 erschienen. Anlass war der 60. Jahrestag zweier BGH-Urteile, die am 7. Januar 1956 verkündet wurden. Es ging um den Anspruch von Sinti und Roma auf Entschädigung für die während der NS-Zeit erlittene Verfolgung. Geklagt hatten Sinti, deren Entschädigungsanträge mit der Begründung abgelehnt worden waren, sie seien nicht wegen ihrer »Rasse« verfolgt worden. Grundlage dafür war die Einschränkung der Entschädigungsansprüche für NS-Unrecht auf »rassisch, religiös oder politisch Verfolgte«. Sinti und Roma, die nach dem 1. März 1943 nach Auschwitz deportiert worden waren, wurden meist als rassisch Verfolgte anerkannt. Vor diesem Stichtag durchgeführte Maßnahmen (Internierung in Lagern, Verhaftungen, Deportationen ins besetzte Polen) waren dagegen nach Auffassung des BGH aus sicherheitspolitischen, kriminalpräventiven und militärischen Gründen erfolgt. Wenige Jahre, nachdem die deutsche Wehrmacht ganz Europa besetzt und verwüstet hatte, brachte es das oberste BRD-Gericht fertig, die Überlebenden eines Völkermordes mit 500.000 Opfern als Bedrohung darzustellen und zu unterstellen, ihnen sei »wie primitiven Urmenschen ein ungehemmter Okkupationsdrang eigen«. Die BGH-Urteile von 1956 führten zum Ausschluss eines großen Teils der Sinti und Roma von Entschädigungszahlungen, von der Rückgabe geraubten Eigentums ganz zu schweigen. Erst 1963 änderte sich die höchstrichterliche Rechtsprechung. Verfolgte Sinti und Roma, deren Entschädigungsanträge vorher abgelehnt worden waren, konnten nun erneut Anträge stellen – wenn sie noch lebten, wenn sie sich die oft demütigenden Befragungen (nicht selten durch dieselben Beamten wie vor 1945) noch einmal antun wollten, wenn sie die notwendigen Unterlagen und Zeugen nach der langen Zeit noch beibringen konnten. Wer schon früher jedes Vertrauen verloren und keinen Antrag gestellt hatte, ging ohnehin leer aus. Bis heute wird diese Zeit in den Kreisen der Betroffenen als »zweite Verfolgung« bezeichnet. In der Broschüre sind die beiden skandalösen Urteile im Wortlaut abgedruckt, zusammen mit einem Vortrag, in dem der pensionierte BGH-Richter Detlev Fischer über den Inhalt, die Vorgeschichte und die weitere Entwicklung hin zu den anderslautenden Urteilen ab 1963 berichtet. Die Einbettung der BGH-Entscheidungen von 1956 in den Kontext eines erschreckenden Selbstverständnisses der Juristen an dem Gericht, das seit 1950 als oberste Instanz der BRD-Gerichtsbarkeit fungierte, beleuchtet Ingo Müller, Autor des bekannten Buches »Furchtbare Juristen«. Im Gegensatz zu dem Obersten Gerichtshof, den die britische Besatzungsmacht am 1. September 1947 in Köln installiert und nach Gründung der BRD aufgelöst hatte, seien die am BGH tätigen Richter zum großen Teil schon während der NS-Zeit aktiv gewesen: »1950 waren es von 40 Richtern 27, also 68 Prozent. Die Zahlen steigen bis 1962, als von 124 Richtern 77 Prozent schon unter den Nationalsozialisten gedient hatten.« Ausdrücklich habe sich das Gericht in die Tradition des Reichsgerichts gestellt, von manchen Juristen sei es sogar als dessen direkte Fortsetzung betrachtet worden. Die demokratiefeindliche Einstellung des Gerichts belegt Müller anhand von zwei Kontroversen. Zum einen ging es um die Einstufung des Dritten Reichs als »Unrechtsstaat«, der überhaupt nicht »hochverratsfähig« gewesen sei. Diese Auffassung hatte der damals noch in Braunschweig tätige Generalanwalt Fritz Bauer im Zusammenhang mit dem sogenannten Remer-Prozess formuliert und damit die Ehre des militärischen Widerstands verteidigt. BGH-Präsident Hermann Weinkauff wies Bauers Haltung heftig zurück und rechtfertigte die Ermordung der an dem Umsturzversuch vom 20. Juli 1944 beteiligten angeblichen Hochverräter: »Jeder Staat hat … um der von ihm vollbrachten Ordnungsfunktion willen grundsätzlich das Recht, sich durch Strafandrohungen gegen gewaltsame Angriffe auf seinen inneren und äußeren Bestand zu schützen.« Dieser Satz wurde, so Müller, zum Ausgangspunkt für »einige der anstößigsten Gerichtsurteile«, die der BGH in den nächsten Jahren fällte. Bei der zweiten Kontroverse handelte es sich um einen in den Jahren 1953–1957 ausgetragenen Streit zwischen Bundesverfassungsgericht und BGH um die Frage, ob das Deutsche Reich am 8. Mai 1945 untergegangen sei oder nicht. Ehemalige NS-Juristen, die auf Wiedereinstellung klagten, beschied das Verfassungsgericht: »Alle Beamtenverhältnisse sind am 8. Mai 1945 erloschen.« Dies beantwortete der BGH mit einer umfangreichen Polemik, mit der er, so Müller, »dem Verfassungsgericht die Gefolgschaft aufkündigte« und dem NS-Staat im Kern Rechtsstaatlichkeit bescheinigte. Das Verfassungsgericht wiederum antwortete mit einem Beschluss, den Müller als »bis heute … die beste Bestandsaufnahme des Unrechtsstaates Drittes Reich« einschätzt. Allerdings: »[R]epräsentativ für die Meinung der Bevölkerung und vor allem der Juristenschaft war der Bundesgerichtshof« – was sich in zahlreichen Urteilen, darunter die BGH-Urteile vom 7. Januar 1956, niederschlug. Abschließend konstatiert Müller eine seit den 1980er Jahren zu beobachtende Veränderung des juristischen Blickwinkels auch beim BGH und kommt zu dem optimistischen Fazit, nach vierzig langen Jahren bestehe seit rund 25 Jahren begründete Hoffnung, dass zwischen dem »Dritten Reich« und der BRD ein endgültiger Trennstrich gezogen sei. Die an die Vorträge anschließende Podiumsdiskussion ist in der Broschüre leider nicht dokumentiert. Abgedruckt ist jedoch die Stellungnahme, in der Romani Rose das Symposium würdigte: »Ich denke, es ist nicht übertrieben zu sagen, dass die heutige Veranstaltung … für unsere Minderheit eine historische Bedeutung hat.« Der Vorsitzende des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma begrüßte »ein weiteres, wichtiges Zeichen …, auch die von fatalen Kontinuitäten geprägte bundesdeutsche Nachkriegsgeschichte aufzuarbeiten«. Er wies darauf hin, dass die Urteile von 1956 nicht nur eine erneute Entrechtung der Sinti und Roma bedeutet hatten. Sie seien auch »richtungweisend für das Verhalten der Justiz bezüglich der Verfolgung der Täter und Organisatoren des NS-Völkermordes an den Sinti und Roma« gewesen – die hatten unbehelligt ihre Karrieren fortsetzen können. Rose nennt eine Reihe von Beispielen und macht deutlich, welche Belastung die personellen und ideologischen Kontinuitäten für die Identität der Überlebenden und vor allem auch der Nachkriegsgenerationen darstellten. Schließlich erinnert er daran, wodurch eine wirkliche gesellschaftliche Veränderung angestoßen wurde: »durch die Bürgerrechtsarbeit und die Selbstorganisation der Minderheit, die mit dem historischen Hungerstreik von Überlebenden und von jungen Sinti an Ostern 1980 in der KZ-Gedenkstätte Dachau ihren Anfang nahm«. Die Hungerstreikenden forderten öffentlich die Anerkennung und Aufarbeitung des NS-Völkermordes an Sinti und Roma und die Behandlung als gleichberechtigte Bürger, die seit über 600 Jahren hier beheimatet sind. An die nicht zur Gruppe der Sinti und Roma gehörigen Menschen in diesem Land appelliert Rose: »Gerade wir als Minderheit sind darauf angewiesen, dass diese Rechte nicht nur auf dem Papier stehen, sondern im Alltag auch eingelöst werden, dass sie mit Leben erfüllt werden. Dafür brauchen wir nicht zuletzt eine starke Zivilgesellschaft.« Die 68-seitige Broschüre kann kostenfrei beim Zentralrat Deutscher Sinti und Roma bestellt werden. Eine Online-Version zum Herunterladen ist angekündigt. »Doppeltes Unrecht – eine späte Entschuldigung. Gemeinsames Symposium des Bundesgerichtshofs und des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma zu den Urteilen vom 7. Januar 1956«, Herausgeber: Die Präsidentin des Bundesgerichtshofs, Herrenstraße 45 a, 76133 Karlsruhe, und Zentralrat Deutscher Sinti und Roma, Bremeneckgasse 2, 69117 Heidelberg (http://zentralrat.sintiundroma.de/)
Erschienen in Ossietzky 7/2017 |
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