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Kunst war historisch bisher immer nur dann erfolgreich, wenn sie es geschafft hat, Bestehendes nicht nur zu hinterfragen, sondern auch im Neuen, im Antizipierenden, in dem, was geistig geschaffen wird, zu überwinden. Deshalb lachen die Kinder und Erwachsenen bei der Premiere nicht nur kurz und brav und wie gewollt und angestrengt, sondern befreit, laut aufschallend und lang, lang anhaltend. Und die Kinder, ermutigt und begeistert, besonders die Mädchen, spielen noch stundenlang den »Gorilla« nach, den die Mutter Laura schließlich beibringt, um ihr Kind gegen den meckernden Hausmeister (Facility-Manager) im Treppenhaus beschützen zu können. Das Stück ist aber nicht nur eine komische Sache, es enthält viel Ernstes: Ungerechtigkeit, Einsamkeit, Streit, Trauer, Ausgeschlossensein, Pflegekindschicksal, schwierige Lebensrealität – alles aus konsequenter Kindersicht, den Erwachsenen zur Einsicht. Zur Wertschätzung kindlichen Fühlens werden die Probleme gezeigt, zur Sprache gebracht und aufgedeckt, nicht verkleinert, verdeckt oder veralbert. Nicht aus Bosheit wird ein Kind trotzig, zappelig, böse, gemein oder hinterhältig, sondern weil es ein Problem hat. Hier wird einem der Blick in die Kinderseelen möglich gemacht, Erklärungen werden geliefert, warum Kinder so oder so oder so sind. Das ist gut, da freuen sich Kinder, das Grips-Theater hilft ihnen, vertritt sie, zeigt ihr Inneres. Inhaltlich ist das Stück ein Plädoyer für die Akzeptanz der Vielfalt von »Familien«-Entwürfen. Laura, der Werbung nachhängend, sehnt sich von der Einsamkeit ihrer alleinerziehenden Mutter weg in eine Familie aus der Pizza-Werbung. So verschwindet sie eines Tages auf Pantoffeln ins Treppenhaus und klingelt bei anderen »Familien«, dabei macht sie so ihre Erfahrungen. Bei einer Familie, in der zwei ältere Kinder auf ihr jüngeres Geschwisterchen aufpassen sollen, erzählen diese ihr von ihrer Sehnsucht danach, die Mutter oder ein Zimmer mal für sich allein zu haben. Diese Szene ist eine Fundgrube für Situationskomik und gleichzeitig ein dramaturgisches Meisterwerk, denn die antagonistischen Sehnsüchte werden in schnellen Dialogen so passgenau gegeneinander gesetzt, dass sofort die unendliche Vielfalt menschlicher Probleme aufscheint und Erkenntnis sich bei Groß und Klein in wahren Lachsalven ihren Weg bahnt. Laura, ein immerzu staunendes, ursprünglich ängstliches Kind, gewinnt im Laufe des Stückes sowohl an Autonomie als auch an Selbstbewusstsein und Kraft. Sie läuft umher und sucht. Sie will eine »ganz normale Familie«, aber sie findet sie nicht. »In unserem Haus gibt es nur komische Familien«, ist ihr trauriges Resümee, nachdem sie bei Justin anlangt, der zwei Väter hat. So beschließen Justin und sie, sich eine Wahlfamilie im Haus aus lauter Einzelnen zusammenzustellen, am Ende ist das ganze Haus die Familie, was mit einer Treppen-Party endet. Vorher muss Lauras Mutter aber noch ihre Angst vor dem Facility-Mann überwinden. Die Hauptperson Laura (Amelie Köder) schafft bewundernswert etwas Grips-typisches: das eigene innere Kind mit solcher Sensibilität und Echtheit aus ihrem Erwachsenenleben herauszuklauben und aus sich selbst hervorzuholen – und eben nicht die Kinderrolle so zu spielen, wie sich Erwachsene ein Kind denken. So wirkt das Kind unheimlich echt. Es sieht nicht falsch aus, wenn Laura von ihrer Mutter hochgehoben, herumgeschleudert, auf den Schoß genommen wird, es wirkt eher seltsam, wenn man nach der Vorstellung gewahr wird, dass es sich um eine junge Frau von 20 Jahren handelt, die diese Rolle spielt. Doch auch die Erwachsenenrollen sind gelungen in ihrer Vielschichtigkeit, wobei niemals nur ein Aspekt typisierend exemplarisch gestaltet ist, der Hausmeister ist nicht nur böse, die Mutter nicht nur überfordert, die ältere Frau nicht nur alt, der Zappeljunge nicht nur zappelig. Alle Eigenschaften werden mehrfach gebrochen, immer wieder passiert Unerwartetes. Inhalt, Dramatik, Form und Verdichtung bestens gelungen, ein Muss für alle Familienpolitiker, die sich für die Vielfalt verschiedener Familienformen einsetzen und all die Hürden, die heutigen Menschen das Zusammenleben erschweren, (fehlende Kita-Plätze, Festhalten an traditionellem Familienbild et cetera) überwinden helfen wollen. Für alle ab 5 Jahren! Kinder- und Erwachsenentheater!
Erschienen in Ossietzky 6/2017 |
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