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Hier, im »Kelch«, hat Bretschneider Schwejk verhaftet – weil er über die Ermordung des Thronfolgers Erzherzog Ferdinand in Sarajewo in einer Art philosophiert hatte, die Bretschneider als »Hochverrat« ansah. »Ich hab fünf Biere und ein Kipfel mit einem Würstl. Jetzt geben Sie mir noch einen Sliwowitz, und dann muss ich schon gehn, weil ich verhaftet bin.« Damit beendete Josef Schwejk diesen Aufenthalt im »Kelch.« Mit Schwejk erklärte Bretschneider auch gleich noch den Wirt Palivec für verhaftet. »›Aber wofür ich?‹, stöhnte Herr Palivec. ›Ich war doch so vorsichtig.‹ Bretschneider sagte siegesfroh: ›Dafür, dass Sie gesagt haben, dass die Fliegen auf unsern Kaiser geschissen haben.‹« (zitiert nach: Jaroslav Hašek: »Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk in zwei Bänden«, übersetzt von Grete Reiner, illustriert von Josef Lada, Dietz Verlag, Berlin 1953) Es liegt mittlerweile weit mehr als ein halbes Jahrhundert zurück, dass ich zum ersten Mal die Gastwirtschaft »U Kalicha« aufgesucht habe. Da befand sie sich vermutlich noch weitgehend in dem Zustand wie zu Hašeks Zeiten. Altes Mobiliar. Alte Theke mit alten Zapfhähnen. Es gab nur einen Unterschied, und zwar einen Gravierenden. An der Wand gegenüber der Eingangstür hing im Großformat ein Gemälde von Kaiser Franz Joseph I. Genau der, »auf den die Fliegen geschissen haben« und weshalb Palivec das Bild abgehängt hatte. In Buchform erschien der komplette Roman in Prag erstmals Anfang der 20er Jahre des vorigen Jahrhunderts (1920/1922). Ursprünglich trat der Schwejk in Geschichten auf den Plan, veröffentlicht in Heften, die von Hašek herausgegeben und in Wirtshäusern vertrieben worden sind. Im Alter von 40 Jahren ist der Autor 1923 in Lipnice nad Sázavou gestorben – er hat sich zu Tode getrunken. So abenteuerlich, wie das Leben seines geistigen und literarischen Sohnes Josef Schwejk gewesen ist, so abenteuerlich war auch das eigene Leben. Den Ersten Weltkrieg hatte er als Offiziersdiener in der österreichisch-ungarischen Armee zugebracht, sich dann jedoch in Simbirsk den Bolschewiken angeschlossen. So wurde er Kommissar der Roten Armee. Bereits vor dem Weltkrieg war Hašek ein politischer Aktivist gewesen. 1911 hatte er im Prager Wirtshaus »Kuhstall« die Partei des gemäßigten Fortschritts im Rahmen des Gesetzes gegründet. Diese Spaßpartei, mit der er das bürgerliche System desavouierte, hatte ein Sieben-Punkte-Programm. Paragraph 7 lautet: »Zwangseinführung des Alkoholismus«. Bei den Reichstagswahlen trat Hašek damit im Prager Wahlkreis Königliche Weinberge an und bekam 36 Stimmen. Das öffentliche Echo und das Gaudium waren allerdings wesentlich größer als diese Zahl aussagt. Zu Hašeks besten Freunden gehörte Egon Erwin Kisch. Mit ihm traf er sich vor dem Ersten Weltkrieg Abend für Abend im »Montmartre«. Das war zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts Treffpunkt der Prager Boheme. Es befindet sich noch immer mitten in der Prager Altstadt. Nicht weit entfernt von der Karlsgasse, gleich um die Ecke von den Redaktionsräumen der deutschsprachigen Tageszeitung Bohemia, bei der Kisch angestellt war. Hašek pflegte dort »um ein Bier« Witze zu erzählen. Die beiden Freunde haben auch eine abenteuerliche Schiffsreise unternommen: mit der »Lanna 8« über die Donau bis an die Nordsee. Darüber schrieben sie eine lustige Geschichte. Vor einem halben Jahrhundert habe ich Hašek im »Kelch« getroffen – Richard Hašek, den Sohn. Er erzählte mir, wie er sich an seinen Vater erinnert. Wie sehr er in späteren Jahren, als er alt genug war, die Dinge zu verstehen, bedauert habe, dass sein Vater in großer Armut verstorben ist. Von dem späteren Ruhm seines unsterblichen satirischen Werkes – das neben »Don Quijote« und »Till Ulenspiegel« zur Weltliteratur gehört – habe der Vater nichts gehabt. Keine einzige Krone. Als sich Schwejk von seinem Gefährten, dem Sappeur Woditschka, verabschiedet, weil beide mit einem anderen Regiment in den Krieg ziehen müssen, ruft er ihm nach: »Bis der Krieg vorbei sein wird, so komm mich besuchen. Du findest mich jeden Abend ab sechs Uhr beim ›Kelch‹ ...« In diesen kriegerischen, schießwütigen Zeiten bereitet es ein besonderes Vergnügen, Jaroslav Hašeks weltberühmten Antikriegsroman zu lesen. Das sollte man sich nicht entgehen lassen.
Erschienen in Ossietzky 4/2017 |
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