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Berlins Regierender Michael Müller will die causa vergessen machen. Die Bau- und Immobilien-Mafia hat Strippen gezogen und ist zufrieden. Das ihr drohende Unheil wurde abgewendet. Die Berliner Linke hat den Schwanz eingezogen. Sie hat sich sowohl bei Holm und seiner Familie als auch bei den »Opfern des SED-Regimes« entschuldigt. Nicht oder zu wenig gewürdigt wurde die Rolle führender Aufarbeiter der SED-Diktatur bei der Abwehr der hinterlistigen Angriffe der Stasi-Nachkommen auf die freiheitlich-demokratische Grundordnung. Die Würdigung ist nachzuholen. Der Chef der MfS-Unterlagenbehörde, Roland Jahn, diagnostizierte, selbstverständlich völlig zutreffend, dass Holm vermissen lasse, was an Transparenz, Auseinandersetzung und Glaubwürdigkeit notwendig sei. Es gehe vor allem darum, »dass eine glaubhafte Auseinandersetzung mit der Vergangenheit stattfindet. Dazu gehört der Respekt vor den Opfern, die Anerkennung geschehenen Unrechts sowie die Einsicht, Teil eines Unrechtsregimes gewesen zu sein.« Diesen Weg zu gehen, sei eine jahrelange, harte Arbeit. Der Fall zeige ihm, »dass der Bedarf an Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit und des Unrechts in der SED-Diktatur noch immer hoch ist«. Dieser Fall sei daher »eine interessante Bestandsaufnahme«. Hier sei einfach so getan worden, »als ob Unrecht aufgearbeitet wurde und die Konflikte der Vergangenheit bereinigt sind«. Dem Aktenverwalter stand der verdienstvolle und zu Recht mit dem Bundesverdienstkreuz geehrte Direktor der Stasiopfer-Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen, Hubertus Knabe, zur Seite. Er nannte Holms Berufung »einen Tabubruch«, der »für viele Opfer und Kritiker des SED-Regimes schwer zu ertragen ist«. Und um den »Tabubruch« zu untermauern, gab er »ganz privat« die Kaderakte des Bösewichtes, zu der er »ganz privat« gekommen war, an befreundete Journalisten weiter. Er warf Holm vor, »unmittelbar an der Unterdrückung der DDR-Opposition« mitgewirkt zu haben. Ihm, Knabe, sei kein Fall aus der Vergangenheit bekannt, »dass ein Regierungsmitglied in Bund und Ländern einen Stasi-Ausweis besessen hätte«. Wer wollte da dem berühmten Stasi-Spezialisten widersprechen? Einen anderen, einen NSDAP-Ausweis hatte Holm allein aufgrund seines Alters leider nicht. In diesem Falle wäre er vielleicht gar Minister oder Bundespräsident geworden. Er hätte großen Vorbildern nacheifern können, zum Beispiel diesen: Kiesinger, Kurt Georg, der den NSDAP-Ausweis bereits vor 1933 erwarb, von 1940 bis 1945 Propaganda-Chef der Rundfunkpolitischen Abteilung im Auswärtigen Amt war und dank dieser Verdienste von 1966 bis 1969 dem deutschen Volk als Bundeskanzler diente. Leitstern hätte ihm auch Hans Filbinger sein können, der von 1934 bis 1937 Mitglied der SA war, 1937 in die NSDAP eintrat, 1945, kurz vor der Kapitulation, als Marinejurist an Todesurteilen gegen fahnenflüchtige deutsche Soldaten mitwirkte, sechs Jahre später, 1951, in die CDU eintrat und sein Lebenswerk 1966 mit der Ernennung zum Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg und Ehrenvorsitzenden der CDU krönen ließ. Als Vorbild-Ikone hätte ihm Karl Carstens dienen können, der von 1940 bis 1945 der NSDAP angehörte und als CDU-Mitglied 1979 zum Bundespräsidenten aufstieg. Nun gut, Holm hätte ja nicht gleich Staatsoberhaupt werden müssen. Wie gesagt, für solche Karrieren war Holm zu jung und zudem lebte er im Unrechtsstaat DDR. Im Vergleich zu den lässlichen politischen Sünden der genannten Ehrenmänner und vieler Tausender anderer sind seine Vergehen selbstredend schwerwiegender. Schon als 14-jähriger Bub verpflichtete er sich unter dem Einfluss seiner Eltern zu einer Laufbahn im Grauen erregenden Ministerium für Staatssicherheit (MfS). Aber schlimmer noch, als er 18 war und die Menschenfeindlichkeit der Mielke-Truppe längst hätte durchschauen müssen, stand er zu seinem Wort, diente ab September 1989 im Wachregiment »Feliks Dzierzynski«, wurde Ende des Monats vereidigt, um nach dem Grundwehrdienst eine Offizierslaufbahn bei der Stasi zu beginnen. Ende Januar 1990 wurde er mit Auflösung des MfS aus deren Dienst verabschiedet. Ohne Skrupel diente er vier lange Monate im Unterdrückungsapparat der ostdeutschen Kommunisten. Mittlerweile sind seitdem lediglich 27 Jahre vergangen, keineswegs ausreichend, um die Aufarbeitung seiner schweren Vergehen zu bewältigen. Selbst solche Nazi-Urdemokraten wie Kiesinger, Carsten und Filbinger hatten ja mehrere Jahre benötigt. Der Stasi-Aktenverwalter hat eben Recht, wenn er »jahrelange, harte Arbeit« für erforderlich hält. Und wenn man wie Jahn und Knabe Stasi-Aufarbeitung verwalten, überwachen und inspirieren soll, dann frisst das einen ganz auf. Die Aufarbeitung des »Dritten Reiches« kommt da zwangsläufig zu kurz. Gibt man in die allwissende Google-Suchmaschine »Jahn Chef Stasi-Unterlagenbehörde Aufarbeitung Hitlerfaschismus Drittes Reich Naziverbrechen« ein, so bekommt der Suchende kein einziges zutreffendes Ergebnis. Bei Knabe ist das nicht anders, es sei denn man änderte vor Jahren ein wenig die Suchkriterien. Da wurde man fündig und erhielt die folgende, mittlerweile bei Google nicht mehr als Suchtreffer zu findende Erklärung, die er im Ausschuss für Kultur und Medien des Bundestages abgegeben hatte, abgab, um über die »beiden Diktaturen« in Deutschland aufzuklären: »Man kann die Opfer nicht gegeneinander aufrechnen, sondern man muss sie selbstverständlich addieren. Daraus ergibt sich das ganze Grauen dieser Zeit.« Auf das Detail, dass der Schreckensherrschaft des Hitlerfaschismus durch Massenrepressalien, Eroberungskrieg und industrielle Menschenvernichtung 60 Millionen Frauen, Männer und Kinder zum Opfer fielen, ging er nicht ein. Wozu auch? Seine und Jahns Aufgabe ist es, das deutsche Volk über die Schreckensherrschaft der Stasi aufzuklären. Dank ihrer Tüchtigkeit, der Prinzipienfestigkeit des Regierenden Bürgermeisters Müller und der Willfährigkeit des Chefs der Berliner Linken Lederer sind wir alle an dem Unheil vorbeigeschrammt, dass ein schrecklich stasibelasteter Mann in eine Schlüsselposition der Bau-, Wohnungs- und Mietenpolitik in der Bundeshauptstadt gekommen wäre. Der Dank des Vaterlandes ist ihnen gewiss.
Erschienen in Ossietzky 4/2017 |
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