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Auf der Schleimspur des ZeitgeistesConrad Taler Wenn einer, der mit Mühe kaum / geklettert ist auf einen Baum, / Was bleibt von Joachim Gauck, der sich in seinem Amt als Bundespräsident gesonnt und mit seinem Selbstbildnis als Pastor kokettiert hat? »Irgendwie war ich nicht der Typ eines Pastors«, sagte er von sich. »Schließlich sah ich so schlecht nicht aus, war dem weiblichen Geschlecht zugetan.« Selbstgefällig ließ er sich als Bürgerrechtler feiern, obwohl er »nicht zu den oppositionellen Gruppen in der DDR« gehört hat, wie der grüne Europa-Abgeordnete Werner Schulz zu Protokoll gab. Laut Spiegel (47/2014) besaß Gauck zwei DDR-Pässe und durfte zwischen 1987 und 1989 elfmal in den Westen reisen, ein Privileg, von dem andere nur träumen konnten. Am 19. Oktober 1989 beteiligte er sich erstmals an einer Demonstration gegen das SED-Regime, einen Tag nach dem Rücktritt des SED-Generalsekretärs Erich Honecker. Über einen Listenplatz der Bürgerrechtler gelangte Gauck im März 1990 in das erste und einzige frei gewählte DDR-Parlament. Dort wandte sich deren Fraktion vehement gegen eine zu schnelle Vereinigung mit der Bundesrepublik. Joachim Gauck indes ging manches nicht schnell genug. Ein halbes Jahr später übernahm er das Amt des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen. Am 17. April 1991 befasste sich das ZDF in einer kritischen Dokumentation mit seiner Tätigkeit. Der Leiter der Sendung, Bodo Hauser, sagte zu Beginn: »Joachim Gauck hat über mehrere Stunden unkontrolliert seine eigene Akte eingesehen. Trotz seiner, schon vor dieser Sendung heute abgegebenen Erklärungen beantwortete er nicht die Frage, warum er alleine und unkontrolliert Einsicht nahm.« Zehn Jahre hatte Gauck die Hand am Puls des Geschehens in der alsbald nach ihm benannten Behörde. Während dieser Zeit wurden 13.000 Akten als geheim eingestuft und an das Bundesinnenministerium abgegeben. Sie sind nie wieder aufgetaucht. Umgeben vom Nimbus eines Kämpfers gegen den Kommunismus machte Joachim Gauck nach seiner Tätigkeit in der Stasi-Unterlagenbehörde mit Vorträgen und Medienaktivitäten von sich reden. Am 28. März 2006 hielt er auf Einladung der Robert Bosch Stiftung GmbH in Stuttgart einen Vortrag zu dem Thema »Welche Erinnerungen braucht Europa?« und breitete dabei seine, wie er sagte, »gewandelte Sicht auf den Holocaust« aus. Danach gehören der »Gulag, Auschwitz oder Hiroshima« als Phänomene einer antihumanen gottlosen Zivilisation zusammen. Gauck berief sich dabei auf den polnisch-jüdischen Soziologen Zygmunt Bauman. »Folgen wir ihm«, setzte er hinzu, nicht ohne das Ungeheuerliche dieses Vergleichs durch die Forderung nach dem »Zulassen von Scham und Trauer« zu vertuschen. 2008 gehörte Gauck zu den Erstunterzeichnern der »Prager Erklärung zum Gewissen Europas und zum Kommunismus«, die eine Verurteilung der kommunistischen Verbrechen verlangte und sich unter anderem die Ausrufung eines gemeinsamen Gedenktages für die Opfer von Stalinismus und Nationalsozialismus zum Ziel setzte. Für den Leiter des Jerusalemer Simon Wiesenthal Centers, Efraim Zuroff, war die Prager Erklärung »das Manifest einer Kampagne, die die Geschichte des Zweiten Weltkrieges und des Holocaust neu schreiben« wolle. Unbeeindruckt von dem vernichtenden Urteil nominierten SPD und Grüne den an dieser Kampagne beteiligten Joachim Gauck 2012 als Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten, und er wurde gewählt. In Frankreich hätte so einer keine Chance gehabt. Der rechtspopulistische Front National schloss seinen Gründer Jean-Marie Le Pen aus der Partei aus, weil er die Gaskammern der Nazis als »Detail der Geschichte des Zweiten Weltkriegs« abgetan hatte. Da hatte Gauck längst zu seinem Höhenflug als Wegbereiter des Militärischen in der deutschen Außenpolitik angesetzt »Manchmal kann auch der Einsatz von Soldaten erforderlich sein«, verkündete er 2014 auf der Münchner Sicherheitskonferenz und mokierte sich über jene, »die Deutschlands historische Schuld benutzten, um dahinter Weltabgewandtheit oder Bequemlichkeit zu verstecken«. In Anspielung auf die Forderung Gaucks, im Kampf um die Menschenrechte auch zu den Waffen zu greifen, fragte die Süddeutsche Zeitung am 16. Juni 2014, warum die früher geübte Zurückhaltung abgelegt werde. »Weil das Trauma von Schuld und ›Nie wieder Krieg‹ ins Geschichtsbuch gehört? Gauck sagte es nicht, aber es klingt bei seinen Worten mit: dass irgendwann mal Schluss ist. Das ist der eigentliche Sprengstoff seiner Botschaft.« Die Israelis beruhigte Gauck am 50. Jahrestag der Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit dem Satz: »Wir werden nicht zulassen, dass das Wissen um die besondere historische Verantwortung Deutschlands verblasst.« Auf seine kritische Haltung gegenüber der russischen Regierung angesprochen, antwortete er am 2. Mai 2015: »Anders als manche Beobachter mutmaßen [habe ich] überhaupt kein Problem mit Russland und seinen Menschen.« Nur – besucht hat er Russland als Bundespräsident nicht. 98 Auslandsreisen hat Gauck während seiner fünfjährigen Amtszeit unternommen. Sie führten ihn in nach Äthiopien, Kolumbien, Peru und nach Südafrika, nicht aber nach Russland, in jenes Land, das wie kein anderes unter dem Vernichtungswillen deutscher Herrenmenschen gelitten hat.
Erschienen in Ossietzky 4/2017 |
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