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Und im Widerspruch zu den leisen und lauteren Lobpreisungen der Taten dieses Herrn, stelle ich fest: Herr G. hat das zerstörerische Werk der Herren Heinz Dürr und Hartmut Mehdorn fortgesetzt, drei Bahnchefs aus der Daimler-Kaderschmiede. Alle waren sie als Abrissbirne unterwegs. Wobei eingestanden sei: Herr G. war die freundlichste aller Abrissbirnen. Anders als sein grimmgesichtiger Vorgänger verkaufte er alle Bösartigkeiten immer mit einem Lächeln im Gesicht. Tatsächlich aber setzte er das zerstörerische Werk bei der Bahn fort. Und dies auf zehn Ebenen: (1) Entgegen den Behauptungen des Herrn G. wurde in seiner Ära (2009–2017) der Abbau des Brot- und Buttergeschäfts fortgesetzt. Für 3,5 Milliarden Euro wurden im Ausland Unternehmungen hinzugekauft. Inzwischen liegt der Anteil des bahnfernen Geschäfts im Bahnkonzern bei 50 Prozent. (2) Unter dem Herrn G. wurde 2015/16 versucht, das Projekt Bahnprivatisierung zu beleben, indem bei den beiden strategischen Bahntöchtern Schenker Logistics und Arriva Heuschrecken als Anteilseigner hereingeholt werden sollten. Es waren Widerstände aus den Bereichen Politik und Gesellschaft, die das Vorhaben im Oktober 2016 scheitern ließen. (3) Unter dem Herrn G. hat sich die Krise im Schienenpersonenfernverkehr verschärft. Die Normalpreise wurden nochmals um 20 Prozent angehoben. Gleichzeitig werden Millionen Billigtickets auf den Markt geworfen. Bahnfahren ist zunehmend Schnäppchenjägerei. Das schadet dem Image der Schiene; Kannibalisierung bringt auch ein finanzielles Minus. Vor allem wendet sich die Stammkundschaft ab. Die Zahl der BahnCard50-Besitzer sank im Zeitraum 2009 bis 2016 von 1,7 Millionen auf 1,25 Millionen. (4) In der G-Ära wurde die Nachtzugsparte zuerst auf Verschleiß gefahren und am 11. Dezember 2016 komplett aufgegeben – nach mehr als 120 Jahren Tradition und trotz sehr guter Auslastung und einem deutlichen Fahrgastplus 2016. (5) Unter Herrn G. geriet der Schienengüterverkehr in die Existenzkrise. Im vergangenen Herbst wurde die Schließung weiterer 173 Güterbahnhöfe und der Abbau von 2000 Beschäftigten in diesem Bereich verkündet. (6) Im 2015er Geschäftsbericht behauptet Herr G., der Streik der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) 2014/15 habe »das operative Geschäft mit 314 Millionen Euro belastet«. Umgekehrt wir ein Schuh draus: Es waren Herr G. und sein Personalvorstand, die den Konflikt mit der GDL eskalieren ließen. Sie taten dies im Auftrag der Bundesregierung, die eine passende Kulisse für das Tarifeinheitsgesetz benötigte. (7) In der G-Ära kam es zu einer weiteren Verschlechterung der Infrastruktur. Es gibt den grotesken Kontrast zwischen längeren Fahrtzeiten laut Fahrplan beziehungsweise aufgrund von Verspätungen einerseits und unnötigen, superteuren Ausbaustrecken andererseits. Ein Beispiel: Auf der Verbindung Stuttgart – München benötigt man laut Fahrplan (!) heute 23 Minuten länger als 1994. Als absurder »Ausgleich« wird für vier Milliarden Euro eine zerstörerische Neubaustrecke über die Schwäbische Alb gebaut. Damit werden Zeitverluste wettgemacht, die man mit einem Bruchteil dieser Summe dadurch hereinholen könnte, dass endlich die Infrastruktur auf dieser Verbindung in Ordnung gebracht werden würde. (8) In der Amtszeit des Herrn G. sank 2015 die Pünktlichkeitsquote im Fernverkehr auf das Rekordtief von 75 Prozent. Kreativ war das Team um Herrn G. darin, dass inzwischen die Anzeigetafeln auf den Bahnhöfen nicht nur den nächsten Zug, sondern die drei nächsten Züge ankündigen. Und dann gibt es seit der G-Time endlich die »Verspätungs-App«. Würde der alte Spruch »Pünktlich wie die Eisenbahn« Gültigkeit haben, benötigte man nichts von all diesem Schnickschnack. (9) Über die Amtszeit des Herrn G. hinweg wurden die Trassenpreise (Maut zur Nutzung der Schienen) und die Stationsgebühren (Maut zur Nutzung der Bahnhöfe) um 30 Prozent erhöht. Damit wurden im eigenen Konzernverbund Kosten geschaffen, die Sektoren mit geringer Rentabilität in den Ruin trieben (und die eine windige Begründung für das Nachtzug-Aus lieferten). Es handelt sich um Wegelagerergebühren und um Schienenverkehrsverhinderungzölle. Sie dienen primär zur Generierung von Gewinnen der Holding, die auf diese Weise die Expansion in bahnfremden Bereichen und im Ausland betreibt. Schließlich Ebene 10 der Negativ-Bilanz des Herrn G.: Stuttgart 21. Der »ehrliche hanseatische Kaufmann« sagte kurz vor seinem Abgang: »Also ich hätte Stuttgart 21 nicht gemacht.« Der Mann lügt. Herr G. gab bei Stuttgart 21 von Anfang bis zum Schluss die Rampensau. Er war am 2. Februar 2010 beim Baubeginn ebenso prominent dabei wie am 16. September 2016 bei der Grundsteinlegung für den Tiefbahnhof. Mit Mehdorn als Bahnchef und Mappus als Ministerpräsident wäre Stuttgart 21 wohl längst aufgegeben worden. Die Fortsetzung dieses Monsterprojekts ist vor allem dem Wendehals Kretschmann und dem ewig lächelnden Herrn G. zu verdanken. Das Lächeln stand im Widerspruch zum inneren Regime des Herrn G. Dieser sagte laut Hamburger Abendblatt mit Datum 15. November 2010 im Kreis von Hamburger Wirtschaftsleuten: »Das Ding muss durchgezogen werden. Ich ziehe das durch. Wenn wir in Stuttgart nur einen Millimeter nachgeben, dann fliegen uns in Deutschland alle Infrastrukturprojekte um die Ohren.« Es war Herr G., der im Frühjahr 2013 zusammen mit dem damaligen Kanzleramtschef Ronald Pofalla dafür sorgte, dass die neue Anhebung der S21-Kosten um zwei Milliarden auf 6,5 Milliarden Euro im Aufsichtsrat eine Mehrheit fand. Der Herr G. behauptete im Herbst 2016 wahrheitswidrig, er kenne keinen Bundesrechnungshof-Bericht zu Stuttgart 21. Er kennt ihn. Diesem Bericht ist zu entnehmen, dass sich die S21-Kosten nochmals auf rund zehn Milliarden Euro erhöhen und dass Stuttgart 21 am Ende möglicherweise »keine Betriebsgenehmigung erhält«. Schließlich behauptete Herr G., der Bericht der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG, den diese im Herbst 2016 für den Aufsichtsrat der Bahn erstellte, würde die entscheidenden Rahmenbedingungen, die die DB bei Stuttgart 21 sieht, bestätigen. In Wirklichkeit wird in dem Bericht festgestellt, dass besonders die Risiken, die es bei den S21-Tunnelabschnitten durch Anhydrit gibt, letzten Endes nicht beherrschbar sind. Meine steile These lautet: Der Herr G. ging, um sich aus der Schusslinie herauszunehmen. Er unternimmt denselben Schritt, den Volker Kefer Ende 2016 tat und den demnächst der Aufsichtsratschef Utz-Hellmuth Felcht unternehmen wird. Dann wäre an der Bahnspitze niemand mehr vertreten, der in den letzten sechs Jahren maßgebliche Verantwortung für Stuttgart 21 hatte. Im Klartext: Die Ratten wollen nicht an Deck sein, wenn das Stuttgart-21-Schiff in bedrohliche Schräglage gerät. Sie wollen nicht an Deck sein, wenn Anklagen gegen Bahn-Obere wegen Untreue drohen. Der Straftatbestand Untreue greift unter anderem dann, wenn ein Projekt, das nachweislich unwirtschaftlich ist, von den Verantwortlichen im Wissen um diese Unwirtschaftlichkeit und bei Vorliegen von Alternativen weiter betrieben wird. Und ein Projekt, dessen Kosten im Finanzierungsvertrag vom 2. April 2009 auf 4,526 Milliarden Euro vereinbart wurden, dessen Kostenrahmen am 5. März 2013 auf 6,526 Milliarden Euro angehoben wurde, bei dem der Aufsichtsrat zu diesem Zeitpunkt den Ausstieg ablehnte, weil ein Weiterbauen gerade mal um wenige hundert Millionen Euro preiswerter als der Ausstieg kommen würde, und das aktuell laut Hochrechnungen der im Grundgesetz verankerten Prüfinstanz Bundesrechnungshof auf Kosten in Höhe von zehn Milliarden Euro kommt – ein solches Projekt ist unwirtschaftlich. Seit Anfang 2016 liegt mit »Umstieg 21« ein durchgearbeitetes Programm vor, wie man bei Stuttgart 21 aussteigen, den Kopfbahnhof modernisieren, einen neuen grünen Park gewinnen und dabei rund fünf Milliarden Euro öffentliche Gelder einsparen kann. Wer unter diesen Bedingungen weiterbauen lässt, mag einer zynischen Staatsraison folgen und Rücksicht auf die Bundestagswahl nehmen wollen. Herr G. steht für Untreue gegenüber dem ihm anvertrauten Bahnkonzern. Er hat einen exemplarischen Fall von Abbau einer strategischen Schienenknotenkapazität zu verantworten. Ihm gebührt im Stuttgarter Zentrum ein Schandmal für Stadtzerstörung pur.
Erschienen in Ossietzky 4/2017 |
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