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Distomo, Kalavryta, Kommeno ... – das sind Namen, die heute auch Teile der deutschen Öffentlichkeit als Schauplätze zahlreicher bestialischer Massaker kennen. Dass zehntausende griechische Juden die Fahrkarten für ihre Deportation in die Gaskammern vonAuschwitz selbst bezahlen mussten, haben antifaschistische Initiativen auch hierzulande ins Bewusstsein vieler Menschen rücken können. Aber was wissen sonnen- und kulturhungrige deutsche Griechenland-Touristen über die systematische Raub- und Vernichtungspolitik der deutschen Besatzer, gegen die sogar Mussolini bei Hitler vergeblich zu intervenieren versuchte? Was wissen sie über die zielgerichtete Zerstörung der griechischen Wirtschaft und Infrastruktur, die die deutsche Politik und Gerichtsbarkeit bis heute ungeniert als »normale Kriegsfolgeschäden« zu bagatellisieren versuchen. Und welcher Deutsche weiß, dass bereits wenige Wochen nach dem Einmarsch der Wehrmacht die Menschen vor allem in den großen Städten zu Zehntausenden zu verhungern begannen, während die Okkupanten ungerührt Nahrungsmittel aus Griechenland ins Reich exportierten? Ich selbst habe zum ersten Mal dank der Recherchen des britischen Historikers Mark Mazower die Wahrheit erfahren: Mit weit mehr als 100.000 Toten war es die fürchterlichste Hungersnot im faschistisch besetzten Europa – außerhalb der Konzentrationslager und außerhalb des belagerten Leningrad. Bereits 1995 hat Mazower sein mehr als 500 Seiten starkes Buch zur deutschen Besatzung (»Inside Hitler’sGreece«) vorgelegt. Es gilt längst als Standardwerk, das die faschistische Politik wie auch die tiefgreifende Veränderung der griechischen Gesellschaft unter der Besatzung, ihren Widerstandund ihre Konfliktlinien bis hin zur Genese des Bürgerkriegs detailreich und gut belegt schildert. Aufgeschriebene Geschichte, die betroffen macht. Die jedem Hetzer gegen die »Pleitegriechen«die Schamesröte ins Gesicht treiben sollte – und die die deutsche Bundesregierung, die alle Reparationen verweigert, ins Unrecht setzt. Nun endlich ist Ende 2016 dieses wichtige und hochgelobte Werk auch in deutscher Übersetzung veröffentlicht worden: »Griechenland unter Hitler. Das Leben während der deutschen Besatzung 1941-1944«, aus dem Englischen von Anne Emmert, Jörn Pinnow und Ursel Schäfer (S. Fischer-Verlag, 29,99 €). R. B. Elias Tsolakidis hat geschrieben. Wenige Tage nach Neujahr sendete der griechische Informatikspezialist aus Köln (»Es ist nicht einfach, zwei Heimaten zu haben«) seinen Unterstützern hunderte Fotos und ein Dutzend Videos. Darunter sind auch zwei begeisternde Berichte des griechischen Fernsehens ERT. Sie alle zeigen das fröhliche Treiben im »Weihnachts-Weltdorf«, das Elias in seiner Geburtsstadt Katerini am Fuße des Olymp auf die Beine gestellt hat. Zusammen mit der von ihm gegründeten Bürgerinitiative »O Topos Mou« (Mein Ort), die in Katerini gegen das immer größer werdende Elend ankämpft (siehe Ossietzky 5/2016, »Selbstorganisation gegen die Not«), hat er es jetzt zum dritten Mal zum Erfolg geführt. Auf den ersten Blick sieht alles aus wie auf einem deutschen Weihnachtsmarkt. Vor einem Dutzend Holzbuden strahlen die Lichter eines riesigen Tannenbaums. Lichterketten an einem geschmückten großen Schlitten, den Fahrräder in den Himmel zu ziehen scheinen, weisen den Weg. Vor den Buden und im selbstverwalteten Zentrum der Bürgerinitiative, einem besetzten ehemaligen Tabakinstitut, tummeln sich fröhliche Menschen, viele tragen rot-weiße Bommelmützen. Kinder umringen einen Weihnachtsmann mit Rauschebart, lärmen bei Sackhüpf-Wettbewerben, verfolgen gebannt den Kasperl im Guckkasten-Theater oder freuen sich mit glänzenden Augen, wenn sie sich ein Spielzeug oder Kuscheltier aussuchen dürfen. Vom üblichen weihnachtlichen Kommerz ist keine Spur zu entdecken. Und auf welchem Weihnachtsmarkt in Deutschland würden wir beschürzte Hausfrauen sehen, die Arm in Arm mit muslimischen Flüchtlingsfrauen, erkennbar an ihren schwarzen Kopftüchern, Sirtaki tanzen? »Ihr Portemonnaie können die Besucher zu Hause lassen«, erläutert Elias. »Hier gibt es alles als Geschenk.« Die Aktivistinnen der Bürgerinitiative haben das gesamte Dorf ehrenamtlich aufgebaut und kommerzfrei betrieben. Auf den Bildern sehen wir sie am offenen Ofen Pizza für die Besucher backen, den Teig haben Hamburger Unterstützer bezahlt. Sie schmieren und rösten Brote, das zwölf örtliche Bäckereien jeden Tag von ihrer nicht verkauften Ware anliefern. Sie schenken Glühwein aus, für den vier Weinbauern 300 Liter Rebensaft kostenlos gekeltert haben. 20 Tonnen frischer Orangen, alles Spenden, werden zu Saft gepresst und an die Kinder verteilt. Und da Plastikteller verpönt sind, freuen sich alle über die Geschirrspülmaschine, die Unterstützer aus Brüssel bezahlt haben. Als Eintrittsbillett in das weihnachtlich geschmückte Gelände gelten allein Lebensmittelspenden. Diese werden am Eingang gegen Gutschein-Bons für Essen und Trinken getauscht. »Ich habe nur wenig, aber das gebe ich von Herzen«, spricht eine Griechin der ERT-Reporterin ins Mikrofon. Elf Tonnen Nahrungsmittel haben die Einwohner von Katerini abgegeben. 171 Lebensmittelgeschäfte aus der Region haben zudem hunderte Kilo Kaffee, Schokolade, Popcorn, Äpfel und Kiwis kostenlos geliefert. Und so sehen wir die Frauen und Männer der Bürgerinitiative, wie sie Tüten mit Mehl, Zucker, Milch, Nudeln bis hin zu Babynahrung und Windeln in große Körbe stapeln. Damit versorgt die Bürgerinitiative über Monate 650 verarmte Familien, bewahrt sie vor dem Hunger. Im Gegenzug leisten diese Menschen Stunden unentgeltlicher Arbeit im Lebensmittellager der Initiative, in der kleinen Ambulanz, wo Ärzte Bedürftige kostenlos behandeln, oder in der sozialen Apotheke, die die Initiative mit Medikamentenspenden aus halb Europa betreibt. Zwei mit Pharmaka beladene Europaletten konnte »O Topos Mou« Weihnachten dem örtlichen Krankenhaus schenken, dem es an allem fehlt. Seit dem 10. Dezember ist das »Weltdorf« in Katerini für 21 Tage eine kleine Insel der Freude und Fröhlichkeit gewesen in einem eiskalten Meer wachsender sozialer Not. »O Topos Mou« hat ein leuchtendes Zeichen gelebter Solidarität gesetzt – nicht nur für Griechen, sondern auch und gerade für Flüchtlinge aus Syrien, dem Irak, der Türkei und anderswo. Aus zehn Camps in Nordgriechenland haben Flüchtlinge das »Weltdorf« besuchen und die sprichwörtliche griechische Gastfreundschaft für einige unbeschwerte Stunden genießen können. Mehr als 2000 Flüchtlingskinder durften sich Spielzeug und Kuscheltiere aussuchen, sie wurden mit Süßigkeiten verwöhnt und erhielten auch eine Tüte mit Schreibheften und Malstiften. Als Dank für die Betreuung der Flüchtlinge karrte die evangelische Kirche fünf Tonnen Brennholz an, während die orthodoxe Kirche gar nichts gab, berichtet Elias Tsolakidis. Freudig meldet er, vier aus Brüssel angereiste Dolmetscher haben im »Weltdorf« die Gespräche übersetzt und für die nächsten sechs Monate hat die deutschen Ärztin Ines B. frei genommen, um mit dem irischen Studenten Ben der Bürgerinitiative in Katerini zu helfen: »So stelle ich mir Europa vor«, lautet das Fazit von Elias Tsolakidis. Am selben Tag, als seine Bilder eintreffen, meldet der Newsletter der deutschen Griechenland-Solidarität: Bei eisigen Temperaturen sind drei entkräftete Flüchtlinge im Norden Griechenlands nahe der bulgarischen und der türkischen Grenze erfroren aufgefunden worden; ab März wolle die deutsche Regierung wieder Flüchtlinge nach Griechenland abschieben ... Infos über »O Topos Mou«: www.kikaf.org
Erschienen in Ossietzky 2/2017 |
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