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Oktober 1990 als Deutsche Demokratische Republik noch einen eigenen Staat darstellte, wurde seit Ende der 1950er Jahre auf diesen in der Bundesrepublik bestehenden unheilvollen Missstand hingewiesen. Der bereits mit Beschluss des Ministerrates der DDR vom 7. Januar 1954 gegründete »Ausschuss für Deutsche Einheit«, widmete große Teile seiner Arbeit dieser Thematik. Seit Mitte des Jahres 1957 veröffentlichte er zahlreiche Broschüren über in der Bundesrepublik lebende Naziverbrecher, die auf der Grundlage des 1951 geschaffenen Artikels 131 des Bonner Grundgesetzes wieder in den Kreis der Staatsbediensteten zurückkehren konnten. Unter ihnen befanden sich vor allem auch viele Nazijuristen, die trotz ihrer früheren Zugehörigkeit zur NSDAP, SA oder SS ihre Karriere ungehindert fortsetzen konnten. Dabei war das damals bereits zusammengetragene Material geradezu erdrückend. Die veröffentlichten Namenslisten benannten nicht nur die konkreten Personen, sondern deren Tätigkeit und Verwendung in den Jahren von 1933 bis 1945 sowie in der jungen BRD. Diese Veröffentlichungen wurden dort gern als »ostdeutsche Propaganda« abgetan und hatten für die Betroffenen in der Regel keine Konsequenzen. Das erklärt letztlich auch, weshalb besonders in den 1950er Jahren nur wenige Prozesse gegen faschistische Gewaltverbrecher in der Bundesrepublik stattfanden. Viele derjenigen, die über ihre früheren Gesinnungsgenossen hätten zu Gericht sitzen müssen, hatten ihre eigene dunkle Vergangenheit. Daran sollte nicht gerührt werden. Erst ab Anfang der 1960er Jahre zeichnete sich der Beginn einer Veränderung ab, wenn auch zaghaft. Das Adenauersche Kabinett geriet zunehmend unter öffentlichen Druck, besonders wegen des im Bundeskanzleramt angestellten Staatssekretärs Hans Maria Globke und des als Minister tätigen Theodor Oberländer. Ab 1965 erschien in der DDR das legendäre »Braunbuch« in drei Auflagen. In dieser Zeit des finstersten Kalten Krieges wurde es als »kommunistische Propaganda« abgetan und auf der Frankfurter Buchmesse sogar beschlagnahmt, um seine Verbreitung in der BRD zu verhindern. Jahrzehnte später bestätigten anerkannte Wissenschaftler die weitgehende Richtigkeit der inhaltlichen Angaben des Braunbuches. Doch auch dann brauchte es noch längere Zeit, bis eine Kommission ins Leben gerufen wurde, die sich mit dem braunen Erbe des Bundesjustizministeriums wissenschaftlich auseinandersetzte und nunmehr das Ergebnis dieser Studie unter dem Titel »Die Akte Rosenburg« vorgelegt hat. Untersucht werden darin »... der Umgang des Bundesministeriums der Justiz und seines Zuständigkeitsbereiches mit den persönlichen und politischen Belastungen, die sich aus dem Dritten Reich ergaben. Hierbei wurde zunächst erforscht, wie groß der Personenkreis war, der sich in der NS-Zeit bereits aktiv gezeigt hatte und nach 1949 in den Dienst des BMJ übernommen wurde ...« Gegenstand war aber auch, »die inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Unrecht der NS-Justiz ... und die Strafverfolgung von NS-Tätern durch die deutsche Justiz«. Um es vorwegzunehmen: Das Ergebnis ist niederschmetternd. Von 170 Juristen, die beim Ministerium im ersten Vierteljahrhundert seines Bestehens beschäftigt waren, gehörten mehr als die Hälfte der nazistischen Partei an und ein Fünftel der SA. »Viele führende Mitarbeiter [waren] vor 1945 in den Ministerien des NS-Staates direkt an der Umsetzung des ›Führerwillens‹ beteiligt gewesen ... Andere hatten durch ihre Tätigkeit an Gerichten – unter anderem an den ›Sondergerichten‹ des Dritten Reiches oder Gerichten in den ›besetzten Gebieten‹ und in der Militärgerichtsbarkeit – die verbrecherischen Gesetze, die im früheren Reichsjustizministeriums vorbereitet und auf den Weg gebracht worden waren, angewandt und damit ebenfalls schwere persönliche Schuld auf sich geladen.« Dies ist eine der Schlussfolgerungen der Kommission in der veröffentlichen Studie. Zu dem Kreis der besonders belasteten Personen gehörte auch Eduard Dreher, der zur Zeit des Faschismus als Erster Staatsanwalt am Sondergericht in Innsbruck tätig war und dort unter anderem auch zu prüfen hatte, ob ergangene gerichtliche Entscheidungen, bei denen die Todesstrafe beantragt, aber nicht verhängt worden war, richtig waren. Thomas Harlan, ein Vertrauter des Hessischen Generalstaatsanwaltes Fritz Bauer, stellte bereits vor einigen Jahren in einer Dokumentation über Bauer fest, dass Dreher in über 100 Fällen der Auffassung gewesen war, es hätte die Todesstrafe angewandt werden sollen. Im Bundesjustizministerium war Dreher später Generalreferent für die sogenannte Große Staatsrechtsreform und Unterabteilungsleiter der Abteilung Strafrecht. Er war maßgeblich daran beteiligt, dass 1968 eine Änderung von § 50 Abs. 2 des Strafgesetzbuches vorgenommen wurde, die letztlich auch zur Folge hatte, dass tausende nazibelastete Personen nicht mehr strafrechtlich verfolgt werden konnten, die als Mordgehilfen einzuordnen waren. Diese Rechtsänderung war versteckt in einem Blankettgesetz, dessen Überschrift irreführend den Eindruck vermittelte, als ginge es nur um die Änderung von Vorschriften zum Ordnungswidrigkeitengesetz. Wenn man bedenkt, dass der Name Dreher noch bis etwa Anfang der 1990er Jahre auf dem jährlich neu erscheinenden Kurzkommentar zur Strafprozessordnung stand, muss das rückwirkend mehr als makaber erscheinen. Die jetzt vorlegte und als Buch veröffentlichte Studie bestätigt endlich, was mahnende Stimmen vor Jahrzehnten bereits anprangerten. So gesehen ist das Buch auch eine späte Genugtuung für prominente Zeitgenossen, die die jetzt untersuchte Personalpolitik des BMJ vor Jahrzehnten heftig kritisierten. Zu ihnen zählten unter anderem Albert Norden, Friedrich Karl Kaul und Norbert Podewin. Letzterem ist zu verdanken, dass das Braunbuch vor einigen Jahren nochmals neu aufgelegt und verbreitet wurde. Manfred Görtemaker/Christoph Safferling: »Die Akte Rosenburg – Das Bundesministerium der Justiz und die NS-Zeit«, Verlag C. H. Beck, 588 Seiten, 29,90 €
Erschienen in Ossietzky 2/2017 |
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