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Eine Ärztin im weißen Kittel gibt von der Galerie herab Anweisungen: »Ich begrüße Sie in der privaten Spezialklinik für Angst, Depressionen und psychosomatische Störungen.« Dieser Platz hier, eine der Ausweichstationen, wurde eingerichtet wegen der großen Nachfrage. Turnhallen seien ja nun wieder viele frei geworden »aufgrund der Nachhaltigkeit der Maßnahmen« – die Rückführung funktioniert. Die Ärztin – wir kennen sie aus Fassbinder-Filmen – ist Irm Hermann. Sie beobachtet und dirigiert das Geschehen mit wunderbar hinterhältiger Stimme. Ihre Helfer, Pfleger, das Wachpersonal in Militärhosen: drei junge Männer – mit Migrationshintergrund? Sie sorgen für Ruhe und drücken die Patienten fast brutal auf die bereitliegenden schreiend-bunten Matratzen. Alles mit Gummihandschuhen – wegen der Seuchengefahr? Die Patienten: Wohlstandsbürger, die sich überfordert fühlen und das lautstark herausstöhnen. Oder singen. »… reichen die hundert Quadratmeter gerade mal für mich selbst«. Oder: »die Wohnung selber sauber machen müssen …« Dann, »Ruhe«-Rufe. Die diversen Wehwehchen werden wehgeklagt. Eine isst Sauerkraut aus der Designer-Handtasche – oder Spaghetti? Die Turn-Ärztin: »Wir werden jetzt die Mobiltelefone einsammeln.« Alle geben sie freiwillig her. Einer (Josef Ostendorf) sieht aus wie Trump – er ist es. Er wirft gleich drei Smartphones in den Brotkorb. »Frei sein von jeder Kommunikation« ist jetzt angesagt. Die Geräte werden aus den zerbrochenen Fenstern geworfen. Dann Ballett mit den Matratzen, alle militärisch in einer Reihe aufgestellt. Volkslieder, nicht nur deutsche, und die Europa-Hymne: »Freude, schöner Götterfunken«. Irm Hermann: »Wenn jetzt die jungen Körper zu uns kommen, da wollen wir doch nicht zurückstehen. Unsere Kultur« – ein bisschen Beweglichkeit muss doch möglich sein. Alle bemühen sich oder werden bemüht, aufs Pferd gesetzt, an die Ringe gehängt. Eine trägt Mundschutz. Warum? Angst vor den »jungen Körpern«? Dann singt sie – so ausgestattet – eine Arie mit entsprechenden Bewegungen. Immer wieder Kleiderwechsel, edle Boutique-Ware oder T-Shirts mit Aufdruck. Die drei Helfer quälen rhythmisch die Insassen und rappen dazu. Überforderung? Der Trump kriegt einen Hula-Hoop-Reifen um den Bauch. Auf der Brust prangt die US-Flagge. Medizin-Bälle zur Ertüchtigung. Gespräche über Flüchtlinge, die man als Helfer im Haushalt einsetzen könnte – aber unbedingt »drei Wochen Probezeit«. Abschiebungen müssen »brutal« sein – ist auch in Französisch zu hören. Und immer wieder: »Alle Menschen werden Brüder …« Dann ein Choral und ein Lied: »… und unsern kranken Nachbarn auch«. Die drei Dunkelhaarigen singen: »weil‘s aber nicht kann sein, bleib ich allhier« in gut verständlichem Deutsch vor und lachen sich kaputt über die sprachlosen Patienten. Die sind schon längst wieder bei ihren Wehthemen angelangt: »Die Zweitwohnung, die aufgegeben« werden musste, »mein Burnout«, »meine Altersversorgung«. Alle im Gesang vereint. Dann Live-Schaltungen aus Budapest, das keine Flüchtlinge braucht, und aus Malmö, über die blonden, vergewaltigten Frauen. Aus der Türkei, die Flüchtlinge als »Gäste« betrachtet. Zur Abwechslung greift der Trump mal einem Mädchen an den Busen. Es weint. Frau Doktor verteilt Medikamente. Alle lesen die Beipackzettel, geben sie zurück. Gesang, schön innig: »O Mensch, du musst leben und weißt nicht, wie lang.« Ausgelassen leben, Tanzstunde: »Yes Sir, I can boogy.« Trump macht nicht mit. Er darf nur so harmlos, dümmlich herumschleichen – ist ja kein Europäer, gehört nicht hierher. Er steigt auf ein Podest und lamentiert: »Die machen unsere Wirtschaft kaputt.« Wirft sich in die Brust: »Ich bin der Präsident der armen Leute – das ist gut für den Import.« O happy day – Gesang. Alle weg. Jemand zieht etwas am Boden entlang, schwarze Gestalten, Puppen? Sehr dünn, zerbrechlich. Sie werden am Kopf angefasst und an die Wand gelehnt. Nehmen teil, stumm und blind. Fünf Männer in Anzügen kommen auf die Bühne. Es beginnt etwas, das nicht heute, erst 2023 stattfindet. Ein Prozess gegen die Wehleider. Wer war verantwortlich? Alle Ausreden sind bekannt von den Nürnberger Prozessen. Er war zwar im Bürgeramt zuständig für die Erstbegutachtung, aber das »System der Erfassung war überlastet«. Sie, die Migranten, mussten »zur feststehenden Zeit in die Busse einsteigen« – und »die haben auf der Straße gezeltet«. Da sei er »durchgedreht«, weil nichts klappte. Ein anderer, der seinen Job als Abteilungsleiter verloren hatte, ging zum Sicherheitsdienst als Offizier der Küstenwache. Er wurde beauftragt, die Identitätsprüfungen durchzuführen. Es kam zu »Unfällen«. Er habe ja nicht gewusst … Alles quälend langsam, stockend vorgetragen. Bei Badeurlauben an der griechischen Küste habe er keine toten Flüchtlinge gesehen: »Das wussten auch wir Beamten nicht.« Die Hände zittern, die Stimme versagt, hier wird nicht nur Deutsch gestammelt. Dennoch, es gäbe immer noch Dinge, die »wir besser können« – als wer? »Sehr geehrte Welt-Präsidentin, nach den Kämpfen als ehemalige Europäer – was an den Außengrenzen passierte …« Jetzt, zehn Jahre danach: »Jetzt kommt die Zeit der Versöhnung. Wir müssen anfangen, uns zu verzeihen.« Das »Uns«, wie eine Fischgräte im Hals, will nicht heraus, der Mund bleibt offen stehen. Dazu ein schrecklicher Gesang, langgezogen, in merkwürdigem Pathos, begleitet von einer Hammondorgel. Wo ist der Spaß geblieben? Ein letzter Versuch. Alle Akteure laufen als Models im Kreis herum, leicht bekleidet, in Unterwäsche. Trump mit Korsett und Bauchbinde, in Badehose. Alle landen hinten auf dem Matratzenberg. Nicht komisch. Immer wieder ein einzelner Ton – wie ein fallender Wassertropfen.
Erschienen in Ossietzky 25/2016 |
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