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Alle Kräfte des politischen Establishments in Frankreich waren gegen Le Pen und den Front National, der in Umfragen regelmäßig unter den späteren Wahlergebnissen lag – jetzt haben er und seine Vorsitzende sich vorgekämpft, um beim Einzug in den Élysée-Palast ernsthaft mitzumischen. Ungläubig und unbegriffen wurde der Aufstieg der FPÖ in Österreich beobachtet, die nach einem wirren Hin und Her um Unregelmäßigkeiten bei den Wahlen nun im Dezember erneut die Chance darauf hat, dass der alpine Gesinnungsgenosse von Trump Österreichs Präsident wird. Gegenüber der AfD haben die Linken von Berlin bis an den Rhein Bündnisse bis hin zur CDU geschlossen – zum Teil mit der verkürzten Begründung, die Lehre aus dem antifaschistischen Kampf der 30er Jahre des letzten Jahrhunderts sei die Herstellung möglichst breiter Bündnisse gegen einen neuen Faschismus. Das nutzten die Rechten wiederum für ihre Argumentation, sie seien die einzigen, die nicht vom korrupten Partei-Establishment eingekauft seien. Der Triumph Trumps zeigt: Es irren all jene politischen Kräfte, die Phänomene der Zukunft mit den Instrumenten der Vergangenheit zu begreifen und zu bekämpfen versuchen. Dies sind aber nicht mehr die 30er Jahre des letzten Jahrhunderts. Damals ging es darum, innerhalb des kapitalistischen Systems unter Einschluss von Kräften des Systems die aggressivsten Teile des Finanzkapitals, die sich politisch als faschistische Massenbewegungen organisiert hatten, zu isolieren – mit dem Ziel, unter Verzicht auf einen Systemwechsel, der außerhalb der Reichweite schien, zumindest einer zivilisierten Variante des Kapitalismus den Steigbügel zu halten. Was aber heute vor unseren Augen passiert, ist der Beginn des finalen Niedergangs dieser auf der Tauschwirtschaft beruhenden Gesellschaftsformation. Karl Marx hat darauf hingewiesen, dass in der Perspektive dieses durch die Peitsche der Konkurrenz zur unaufhörlichen Geldvermehrung und Expansion verurteile System zwangsläufig zusammenbrechen müsse, weil die einzelnen Akteure gezwungen seien, beständig Menschen aus dem Produktionsprozess auszusondern, aus einer Reservearmee von Arbeitskräften also ein stets anwachsendes Heer von Überflüssigen zu machen. Diese Überflüssigen sammeln sich in den Vorstädten von Paris oder im »Rust Belt« der Vereinigten Staaten, wo die Industrieruinen der Aufstiegsphase des kapitalistischen Systems zu besichtigen sind. Sie sammeln sich auch in den Tälern Österreichs und den zahllosen Wohnungen Deutschlands, in denen ordentlich geführte Aktenordner mit unbefristeten Arbeitsverträgen mit Tarifbindung ersetzt worden sind durch Schnellhefter mit Ein- und Zweijahreskontrakten ohne Sicherheit, den einmal verhandelten Lohn in fünf Jahren auch noch zu erhalten – von sicherer Altersvorsorge ganz zu schweigen. Diese Unzufriedenheit hat sich jetzt in den USA Bahn gebrochen. Sie wird sich auch in Deutschland Bahn brechen, wenn auf den Sockel, den die AfD jetzt erarbeitet, charismatischere Figuren als das Alptraumduo Petry und Meuthen steigen. Zur hilflosen Abwehr von links gegen diese Woge von rechts gehört es, sich selbst und anderen vorzugaukeln, dagegen gäbe es eine wahltaktische Antwort. Die gibt es nicht, weil diese Antwort im System verbleibt. Die Staatlichkeit selbst wird im Strudel einer finalen Krise untergehen. Kein Staat kann die Polizisten, Soldaten, Lehrer und Sozialarbeiter mit den Steuern der Polizisten, Soldaten, Lehrer und Sozialarbeiter bezahlen. Er braucht dazu die Einnahmen aus der nichtstaatlich organisierten sogenannten freien Wirtschaft. Erodiert sie, erodiert auch der Staat. Dieser Prozess der Entstaatlichung, der an der kapitalistischen Peripherie schon in vollem Gang ist und durch die gigantische Staatsverschuldung in seinen Zentren noch verschleiert wird, wird sich in einigen Jahren auch bei uns unübersehbar entfalten. An der Staatlichkeit im Rahmen des kapitalistischen Systems festzuhalten und so zu tun, als sei eine Rückkehr zur Blütezeit dieses Systems durch mehr Staat anstelle von mehr Markt möglich, ist eine ökonomische Illusion, deren politische Schwester Barack Obamas Versprechen »Yes we can« war. In der Fixierung auf Wahlkampagnen ist die Fiktion eingeschlossen, durch einen Wahlakt politisch etwas verändern zu können: Kreuzchen und damit allem Elend ein Ende machen. Aber so einfach ist der Ausbruch aus dem Gehege von Markt, Staat, Geld und Tausch nicht zu haben. Wer sich selbst und anderen vormacht, innerhalb dieses Geheges die Verhältnisse zum Tanzen zu bringen, wird mit Trump bestraft – oder eben mit Le Pen, Petry und Norbert Hofer. Wer das System der Tauschwirtschaft nicht infrage stellt, wird mit der pervertierten Revolte der neuen nationalen Rechten bestraft.
Erschienen in Ossietzky 23/2016 |
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