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Im historischen Rückblick erweist sich die Entdeckungsgeschichte auf diesem Feld als langwierige Puzzlearbeit, in deren Verlauf ein Mythos den nächsten ablöste. Dabei färbte die ideologische, von aus heutiger Sicht krudem Sexismus getönte Brille der bis in die Anfänge des 20. Jahrhunderts ausschließlich männlichen Akteure nicht nur den Blick auf ihren Forschungsgegenstand. Zum mittlerweile gern verdrängten Unterbau des reproduktionsmedizinischen Wissens von heute gehören auch gewalttätige und übergriffige chirurgisch-gynäkologischen Praktiken, denen sich Frauen auslieferten oder denen sie ausgeliefert wurden. Es ging um die Aufdeckung aller »Geheimnisse der Frauenzimmer« (Quelle s. Abspann), die mit ihren im Körperinnern verborgenen Fortpflanzungsorganen zusammenhängen, mit ihrer Sexualität und der Fähigkeit, neues Leben wachsen zu lassen und zu gebären. Es ging aber auch um den männlichen Anteil. Der von Männern beigesteuerte Zeugungsstoff, das Sperma, war leicht zugänglich. Und es war die Erfindung des Mikroskops im späten 16. Jahrhundert, die den Zugriff auf die menschliche Fortpflanzung einleitete. Tiervergleiche mit Froschlaich brachten Forscher auf die Idee der »extrakorporalen« Befruchtung. Experimente mit bebrüteten Eiern standen am Beginn der Embryologie. Die Forscher befassten sich mit den Entwicklungsstadien des noch nicht geborenen beziehungsweise geschlüpften Lebens von Hühnern und suchten nach Entsprechung im Körper der Frau, weshalb man heute noch von »Eierstock« spricht. Der Vorgang, der in der Botanik als »Befruchtung« bezeichnet wird und dem werdenden Menschenleben die Bezeichnung als »Leibesfrucht« bescherte, brachte einen britischen Wissenschaftler dazu, Hirschkühe nach der Brunftzeit der Hirsche und der erfolgten Besamung erlegen zu lassen und zu sezieren, um diesem Geheimnis auf die Spur zu kommen. Auch Hunde und Hasen fielen dieser Neugier zum Opfer. Menschliches Untersuchungsmaterial lieferte Operationsabfall aus der gynäkologischen Chirurgie: von Tumoren befallene Uteri nebst Adnexen und Tuben (»Eierstöcke« und »Eileiter«). Es gelang einzelnen forschenden Gynäkologen, ihre Patientinnen in ihre Experimente einzubeziehen. Manche Frauen ließen sich beispielsweise von Operateuren den Zeitpunkt ihres Geschlechtsverkehrs mit ihren Partnern diktieren. Anschließend wurde dann nach den Veränderungen, die der Kontakt mit Sperma an den entnommenen Organen verursacht haben könnte, gesucht. Seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts geriet auch die »Unfruchtbarkeit« oder »Sterilität« ins Visier ärztlicher Aufmerksamkeit und beflügelte die Phantasie einzelner Gynäkologen. Insemination, das heißt künstliche Besamung wurde in der Pferdezucht praktiziert. Warum sollte die Methode nicht auch bei Menschen funktionieren? Gynäkologische Patientinnen wurden mit Einspritzungen von Samenflüssigkeit – sei es ihres Ehemannes, sei es eines mit diesem blutsverwandten Spenders oder auch schon einmal eines Famulus oder des Doktors selbst – traktiert. Die als Selbstbefleckung und von der christlichen Religion als Sünde tabuisierte Masturbation erhielt nun einen vertretbaren Zweck. Ging es im 19. Jahrhundert, dem Jahrhundert der bürgerlichen, dann imperialistischen Bevölkerungspolitik, zunächst um ärztliche Hilfe im Falle von Kinderlosigkeit, so wurde hundert Jahre später zeitweilig das Projekt der extrakorporalen Züchtung menschlichen Nachwuchses in Brutkästen anvisiert, nachdem das Rätsel der »Befruchtung« oder »Fertilisation« gelöst war und diese »künstlich«, »artifiziell« bewerkstelligt werden konnte. 1978 wurde das erste »Retortenbaby« geboren. Die beiden Ärzte, die die künstliche Befruchtung, Schwangerschaftsbegleitung und Geburtshilfe ausgeführt hatten, posierten als stolze »eigentliche« Väter vor der Kamera. Ausgetragen und geboren wurde Louise Brown (so hieß das Kind) allerdings von einer leibhaftigen Frau. Das Projekt »extrakorporale Schwangerschaft«, das von einem italienischen Arzt eine Zeitlang betrieben wurde, und zwar unter Zuhilfenahme eines Ziegenuterus, weil das in der Petrischale »gezeugte« Leben in einem Inkubator nicht gedeihen wollte, scheiterte. Zwar gelang es, die Überlebensfähigkeit von Föten eine beträchtliche Anzahl von Wochen zu verlängern, sogar bis vor die Phase der Lungenreifung. Doch eine Schwangerschaft ganz außerhalb eines Frauenkörpers gilt inzwischen als jenseits des Denkbaren. Aus dem Machbarkeitswahn einzelner ehrgeiziger Forscher, die in der öffentlichen Debatte gegen Ende des vorigen Jahrhunderts in Anlehnung an Mary Shelleys Gruselroman häufig als »Frankensteins Erben« bezeichnet wurden, weil sie sich einer durch und durch »unnatürlichen« Menschenzüchtung verschrieben hatten und den monotheistischen Schöpfergott zu entthronen suchten, wurde im neuen Jahrhundert alsbald eine pragmatische medizinische Praxis, eben eine Dienstleistung, die einen Beitrag zur individuellen Selbstbestimmung leistet. Heute plustern sich die Reproduktionsmediziner_innen nicht mehr als »eigentliche« Väter oder Mütter vor der Presse auf. Sie vollbringen ihre Dienste eher diskret. Und ihre Klient_innen sehen in ihnen willkommene Helfer_innen auf dem Weg zum individuellen Glück. Das Recht auf selbstbestimmte Mutterschaft – im Kampf gegen das gesetzliche Abtreibungsverbot politisch eingefordert – scheint dank den Pioniertaten der Begründer der Fortpflanzungsmedizin, zu denen übrigens auch der Erfinder der »Pille«, der hormonellen Verhütung, Gregory Pincus gehört, durchgesetzt, allerdings um den Preis, dass Frauen freiwillig die Kontrolle über ihre Körperprozesse der medizinischen Profession überantworten. Die Teile 1 bis 3 der Serie erschienen in den Heften 17-19/2016. Quelle zu »Geheimnisse der Frauenzimmer«: Nachdruck einer Aufklärungsschrift von J. F. Albrecht »Heimlichkeiten der Frauenzimmer oder die Geheimnisse der Natur hinsichtlich der Fortpflanzung des Menschen; über Befruchtung, Beischlaf und Empfängnis und eheliche Geheimnisse zur Erzeugung gesunden Nachwuchses und Erhaltung der Kräfte und Gesundheit« (1851), bei Rogner und Bernhard erschienen, 1983 neu aufgelegt und bei Zweitausendeins vertrieben. Darüber hinaus diente als wichtige Literaturquelle u. a. Andreas Bernard: »Kinder machen. Samenspender, Leihmütter, Künstliche Befruchtung. Neue Reproduktionstechnologien und die Ordnung der Familie«, Frankfurt am Main 2014.
Erschienen in Ossietzky 21/2016 |
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