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Dann sezierende Stille. Der Spekulant Saccard, im grauen Gehrock (Sebastian Rudolph) löst sich aus der Menge, verliert sich in Phantasien über Kaufhauskäufe, Expansion. Reisen übers Mittelmeer in den Orient nach Syrien, ein Netz von Eisenbahnen würden neue Märkte schaffen, Geld bringen. »Wir brauchen eine einzige große Unternehmung, um mit einem Kapital von Millionen das ganze mittelländische Meer zu befahren.« Saccard wird deutlich: »Wir müssen den Orient erobern, und Syrien soll das Sprungbrett unserer Operationen sein. Da liegt die Zukunft, und sie gehört den großen Gesellschaften. Dem vereinigten Kapital.« Zola schrieb es 1890. Auf der rechten Seite der Bühne breite Treppenstufen, oben ein Paravent, der Schatten durchscheinen lässt. Dort erscheint Nana im weißen Kleid (Maja Schöne). Alle haben begierig nach ihrem Auftritt gelechzt. Die Livemusiker, im Hintergrund in einem Maschinenaufbau halb verborgen, erzeugen eine bedrohliche Atmosphäre. Nanas Gesang – betont falsch und dilettantisch – bringt Beifall auf der Bühne. Nana wirkt allein durch ihre Gegenwart. Man kennt die Edel-Kokotte in Paris. Der Schauspieldirektor dieses Theaters – er nennt es »Puff« – ist gleichzeitig Zuhälter Nanas, seiner Schwester. Schneller Wechsel der Szene. Sie jetzt im rosa Negligé. Ihr Kind, der kleine Louis, stört. Er muss weg. Schließlich hat sie ein Rendezvous mit dem Bankier Steiner. Er wartet schon. Nana wird nervös, zu viele Liebhaber. Die Zofe schreit den Bankier weg. An den Schreibmaschinen hämmern die Journalisten – das Neueste über Nana? Ist es Saccard, der von Gläubigern spricht, die ihr Geld zurückfordern? Von seiner Universalbank. Von oben fliegen Blätter (Aktien?) auf den Boden. Ein allgemeines Zittern – ein Massenorgasmus auf der Bühne? Geil nach Geld. Als Choreographie glänzend. Pasolini wusste: »Kapitalismus ist Pornografie.« Saccards Ideen: Kaufhäuser, groß und prächtig wie Dome, »die den Frauen das Geld aus der Tasche ziehen«. Eine junge Frau mit kurzen blonden Haaren, im grauen Kleid fragt nach der Personalabteilung. Saccard wendet sich ihr zu. Denise (Patrycia Ziolkowska) ist intelligent. Das kann er brauchen. Sie darf bei ihm anfangen im »Paradies der Damen« – als Verkäuferin vorerst. Erneuter Szenenwechsel. Andere Personen. Der Graf Muffat (Barbara Nüsse) will Nana besuchen. Er, elegant im schwarzen Gehrock mit Hut, aber klein und zittrig, bekreuzigt sich beim Anblick Nanas und fällt um. Sie am Schminktisch, leicht bekleidet, schreit von oben. Kann sie sich das leisten? Wieder schiebt sich eine andere Szene dazwischen. Dr. Pascal, der weiß, dass er schwer herzkrank ist, schickt seine Nichte und Ziehtochter Clothilde (Marie Jung) weg. Dass sie schwanger von ihm ist, er weiß es nicht. Sein Lebenswerk, die Genealogie der Familie Rougon-Macquart, seine Vererbungstheorien, die die Menschheit retten sollen – sie müssen erhalten bleiben. Sind die Blätter, die jetzt vom Himmel fallen, diese Manuskriptseiten? Oder Wertpapiere? Schon ist die Rede vom »Kapital verdoppeln auf 50 Millionen« – der Zuschauer, überfordert. Jede Veränderung findet auf offener Bühne statt im schnellen Wechsel. Wer die drei Romane Zolas: »Nana«, »Das Paradies der Damen« und »Das Geld« (die Vorbilder für das Stück) kennt, gerät erst recht in Verwirrung. Mehrere Personen werden – aber wie soll es anders funktionieren? – zu einer einzigen zusammengefasst. Wer in den Romanen erst im 20. Band stirbt, haucht hier schon früher sein Leben aus. Alles wird verdichtet, auch Namen sind nicht verlässlich. Ein junger Schauspieler, Hector (Pascal Houdus), turtelt mit Nana. Es geschieht ein Wunder, sie verliebt sich in ihn – es ist eher Hörigkeit. Sie schwingen am Seil, das herabhängt, schlingen sich umeinander. Alles schwebt, auch die Musik. Später zieht sie mit ihm zusammen, lässt sich sogar von ihm schlagen. Alles scheitert am Geld, das fehlt. Nana braucht den alten Grafen und treibt doch ihr Spiel mit ihm. Oben an der Treppe steht sie im hellblauen Korsett – wie auf dem Gemälde von Manet. Der Graf kommt hoch zu ihr am Stock. Sie gewährt ihm einen Blick unter den Rock. Er, der Katholik, stöhnt und jammert, erhascht ihr Höschen. Ein Rendezvous hält sie nicht ein. Denise, die Verkäuferin, setzt sich für ihre Kolleginnen ein, will bessere Arbeitsbedingungen. Saccard aber geht es nur darum, »die allgemeinen Kosten zu senken«. Es kann nicht sein, dass die Angestellten während der Arbeitszeit plaudern. Saccard bedrängt Denise, wenigstens auf eine Tasse Tee vorbeizukommen. Denise bleibt standhaft. Saccard ist auch Grundstücksspekulant, kauft die kleinen Läden in der Nähe auf, um sein Warenhausimperium zu vergrößern. Auch der Regenschirmmacher, der nicht weichen will, muss schließlich aufgeben. Denise mietet bei ihm ein Zimmer, klein und sehr einfach. Sie hätte es besser haben können, meint Saccard. Berechnend scheint er ihre Vorstellungen von Sozialismus und Kommunismus plötzlich zu teilen, wenn er sich ihr annähert. Er versucht, sie mit der Ankündigung von sozialen Einrichtungen zu ködern, steigert sich in einen karitativen Furor hinein. Glaubt sie ihm? Sie drehen sich im Kreis der Visionen. Aber ihr Realismus siegt. Sie geht. Anders als im Roman, da heiratet sie ihren Chef. Denise ist die Gegenfigur zu Nana, auch die will Veränderung – aber nur für sich selbst: Aufstieg, Erfolg durch Geld. Ganz oben hockt Félicité, die alte Mutter von Dr. Pascal, wie eine Hexe in Schwarz (auch Barbara Nüsse). Sie will an die Papiere ihres Sohnes kommen, die im Schrank eingeschlossen sind. Dr. Pascal ist gestorben. Seine Manuskripte dürfen nicht an die Öffentlichkeit. Dieser Zweig der Familie muss geheim bleiben: Armut, Elend, Verbrechen. Seine Vererbungstheorien stören den Aufstieg. Die Papiere müssen vernichtet werden. Sie schreit: »Und unsere Familie triumphiert!« Wieder regnet es Blätter von oben. Clothilde aber ist zurückgekehrt, versucht zu retten, was da am Boden liegt, die dunkle Seite der Familie. Und die darauf beruhenden Theorien der Menschheitsrettung – sie sammelt alles auf. Phantasien über die Universalbank. »Sie wird bald die einzige Bank der Welt sein«, schwärmt Saccard, während Denise das Geld abschaffen will: »Wozu braucht man das Geld?« Außerdem – der Wert des Geldes geht zurück. Nana braucht Geld – wie immer. Der Graf soll helfen. Gleichzeitig stößt sie ihn zurück: »Wenn man so eine Fresse hat wie du, bezahlt man die Frau.« Der Graf, der sich etwas menschliche Wärme erhofft, fragt, ob sie an Gott glaube. Sie lacht nur hämisch. Sie will doch sein Geld. Vielleicht gelänge es mit einer anderen Rolle? Nana hat erfahren, ein neues Stück soll aufgeführt werden. Die Person der anständigen Dame – für sie. Doch es wird ein Desaster. Nana, ausgelacht und verhöhnt. In grüner Robe erscheint sie ganz oben, ruft verzweifelt: »Ich will alles besitzen, um alles zu zerstören.« Inzwischen ist die Universalbank Saccards pleite, seine Illusionen verflogen. Madame Carolin, eine Optimistin, tröstet ihn: »Sie geben niemals auf.« Anders Nana. Sie erkrankt an den Blattern, kommt, ein Elendswurm, die Treppe herunter. Was bleibt von ihr? Für Saccard: »Eine furchtbare Beschmutzung.« Was wir heute erleben, steht alles schon bei Zola. Er schrieb es 1890. Es ist ein Verdienst von Regisseur Luk Perceval – leider will er die Kaufmannsstadt Hamburg verlassen –, das auf die Bühne zu bringen. »Geld« ist der zweite Teil einer Trilogie (nach »Glück«), die im nächsten Jahr mit »Hunger« beendet wird. Es ist geplant, alle drei Teile dann an einem Abend zusammen aufzuführen. Was sich bei den Banken bis dahin geändert haben wird – wir werden es sehen.
Erschienen in Ossietzky 21/2016 |
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