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Es ist ein Stellvertreterkrieg, in dem besonders das sunnitische Saudi-Arabien und der schiitische Iran ihren Jahrhunderte alten Konflikt auf syrischem Territorium austragen. Es ist eine bisher verdeckte militärische Auseinandersetzung zwischen den Großmächten USA, die weiterhin nach einem regime change in Damaskus streben und das Schwinden ihres Einflusses im Nahen und Mittleren Osten stoppen wollen, und Russland, das seine Machtbasis im Mittelmeerraum erhalten will und seinen langjährigen syrischen Verbündeten unterstützt. Schließlich ist es ein Verteidigungskrieg, in dem sich die syrischen Regierungstruppen gegen den Terror des Islamischen Staates (IS) und der al-Nusra-Front sowie gegen die anderen ebenfalls von Saudi-Arabien und den Golfmonarchien finanzierten und ausgerüsteten »moderaten Rebellen« zur Wehr setzen. Niemand weiß exakt, wie viele Akteure und Gruppierungen an dem schrecklichen Geschehen beteiligt sind. Selbst Nahost-Experten fällt es schwer, sich im Chaos des Kriegsgeschehens zurechtzufinden. Ein solcher »Bürgerkrieg« ist wohl einmalig in der Weltgeschichte! Keineswegs einmalig ist es, dass das Gemetzel von einer Flut von Lügen und bestorganisierter Propaganda begleitet wird. Ihren ersten Höhepunkt erreichte sie, als US-Präsident Obama, gestützt auf Geheimdienst-Berichte, behauptete, Assads Streitkräfte hätten mehrfach chemische Kampfstoffe, wie das Nervengas Sarin, eingesetzt und damit eine rote Linie überschritten. Die Propagandalüge erwies sich als ein Rohrkrepierer (s. auch Norman Paech: »Sarin in Syrien«, Ossietzky 1-2/2016), und der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses der russische Staatsduma, Alexej Puschkow, konnte wenig diplomatisch konstatieren, dass die Berichte über den Einsatz von Chemiewaffen durch die syrische Armee an der »selben Stelle fabriziert wurden« wie die Lüge über Massenvernichtungswaffen des irakischen Diktators Saddam Hussein. Ungeachtet dieses Reinfalls wurde der Propagandafeldzug fortgesetzt. In jüngster Vergangenheit bliesen die USA, ihre Verbündeten und die ihnen hörigen Leitmedien sowohl zur Attacke als auch zu Vorwärtsverteidigung. An einem sonnigen Samstag, es war der 17. September dieses Jahres, überfielen US-amerikanische F-16- und A-10-Kampfflugzeuge den Flughafen der Regierungsarmee in der Nähe der Stadt Deir ez-Zor, töteten mehr als 60 Soldaten und zerstörten weite Teile des Stützpunktes. Nach scharfen Protesten aus Moskau und Damaskus entschuldigte sich die Sprecherin des State Departments, der Angriff sei »versehentlich« erfolgt, und das Zentralkommando der US-Streitkräfte erklärte, man sei davon ausgegangen, Stellungen der Terrormiliz IS anzugreifen. Eigenartig, denn dass es sich um einen Stützpunkt der Regierungstruppen handelte, war allgemein bekannt. Und ausgerechnet die US-Befehlshaber sollten das nicht gewusst haben – trotz ihrer Informanten und Kundschafter am Boden sowie der präzisen Lagebilder, die AWACS, deutsche Phantomaufklärer, Drohnen und Satelliten liefern? Stutzig machte allerdings, dass unmittelbar nach dem Luftangriff IS-Kämpfer vorrückten und die zerbombten Stellungen der Regierungstruppen einnahmen. Sollte es gar ein abgestimmtes Vorgehen gegeben haben? Undenkbar! Auf ein solches Schurkenstück würden sich die US-Militärs doch niemals einlassen. Als die syrische Parlamentschefin Hadija Abbas wenig später auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit ihrem iranischen Kollegen Ali Laridschani mitteilte, dass Syriens Geheimdienst über Audiobeweise für Verhandlungen zwischen Vertretern des IS und US-Militärs vor dem Luftangriff verfüge, wurde das von den sonst so sensationsgeilen Monopolmedien kaum wahrgenommen. Glücklicherweise gab es inzwischen eine andere Sensation, die die Brutalität und Menschenverachtung Assads und seiner Moskauer Helfershelfer bewies und den US-Luftangriff vergessen machte. Zwei Tage nach der »versehentlichen« Bombardierung erfolgte der schreckliche Angriff auf den unter der Schirmherrschaft der UNO stehenden LKW-Hilfskonvoi des Syrisch-Arabischen Roten Halbmonds unweit von Aleppo. 20 Helfer und Fahrer verloren ihr Leben. 18 der 31 mit Hilfsgütern beladenen LKW brannten aus. Die Welt war schockiert. Die meisten NATO-Staaten und die Monopolpresse waren sich einig: ein »Luftschlag« der Russen. Allerdings übersahen sie einige Kleinigkeiten. Einschlagkrater von aus der Luft geworfenen Bomben waren nicht zu finden. Die zerstörten LKW wiesen keinerlei Schäden auf, die auf einen Luftschlag schließen könnten, sie waren ausgebrannt. Videos über den Anschlag gibt es mehrere, jedoch in recht unterschiedlichen Varianten. Eines zeigt Feuer aus der Ferne, wobei Flugzeuggeräusche zu hören sind. Dummerweise war das gleiche Video bereits verbreitet worden, allerdings ohne Fluglärm. Auf einem anderen Video, das der Fernsehsender ABC ausstrahlte, waren Spuren von Aluminiumstaub zu sehen, die für Geschosse von US-Predator-Drohnen typisch sind. Rein zufällig wurde dieser Teil des Videos bei späterer Ausstrahlung weggeschnitten. Unbeantwortet bleibt auch die Frage, weshalb Damaskus und seine russischen Verbündeten einen Hilfskonvoi angreifen sollten, dessen Fahrt sie zuvor ausdrücklich befürwortet und genehmigt hatten? Ähnliche Fragen gibt es viele, und so schlossen sich mittlerweile verantwortliche NATO-Politiker der unmittelbar nach dem Anschlag erhobenen russischen Forderung nach einer »unverzüglichen Untersuchung dieser Tragödie« an. Selbst der nicht gerade russlandfreundliche NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg meinte: »Ich möchte nicht darüber spekulieren. Es ist wichtig, Fakten herauszufinden und wie dies geschehen konnte.« Aber wie lang soll diese Untersuchung dauern? Etwa so lang wie nach dem Abschuss des Malaysia-Jets MH17 über der Ostukraine? Bis dahin werden neue Kriegsverbrechen geschehen, die den Angriff auf den Hilfskonvoi vergessen lassen. Beide Ereignisse – die Angriffe auf den syrischen Stützpunkt und auf die so dringend benötigten Hilfsgüter – sind Marksteine auf einem Weg, der in den Abgrund führen kann. Die Tatsache, dass die USA ihre Teilnahme an den bilateralen Kontakten zu Russland, die zur Einhaltung einer Waffenruhe aufgenommen worden waren, einstellten, zeigt schon jetzt, dass die Entwicklung in Syrien endgültig außer Kontrolle geraten kann. Daran ändern auch die am 15. Oktober in Lausanne wiederaufgenommenen Gespräche zwischen Lawrow und Kerry nichts, an deren zweitem Teil auch die Außenminister der Türkei, Saudi-Arabiens, Katars, Ägyptens, Jordaniens, des Irans und des Iraks teilnahmen. Vereinbart wurde lediglich, die Kontakte zur Prüfung einiger »neuen Ideen« fortzusetzen. Hinzukommt, dass in Washington weiterhin am regime change festgehalten wird und die CIA sowie der Generalstab über »begrenzte Militärschläge« gegen die syrische Regierung und die einseitige Ausrufung einer »Flugverbotszone« nach dem Muster Libyens beraten. Wie gefährlich solche Überlegungen sind, weiß selbst der Vorsitzende des Vereinigten Generalstabes der US-Streitkräfte, General Joseph Dunford, der bereits Ende September vor einer einseitig verkündeten »Flugverbotszone« warnte, da das für die USA einen Krieg gegen Syrien und Russland bedeuten würde. Dessen ungeachtet hat sich unsere Friedenskanzlerin Merkel in einem Interview mit der Stuttgarter Zeitung für die Einführung einer solchen Zone ausgesprochen. Derweil erklärten US-amerikanische Generäle auf der Jahresversammlung des Heeressoldatenverbands in Washington, dass der künftige Krieg gegen Russland und China schnell verlaufen solle, und der Generalstabschef des US-Heeres, General Mark Milley, meinte, dass der Krieg »fast unausweichlich« sei. Als US-Präsident Obama am 28. Januar 2014 seine Rede »Zur Lage der Nation« hielt, unterstrich er den festen Vorsatz: »Wir werden weiterhin mit der internationalen Gemeinschaft auf die Zukunft hinarbeiten, die die Bevölkerung Syriens verdient – eine Zukunft ohne Diktatur, Schrecken und Angst.« (blogs.usembassy.gov) Abgesehen davon, dass er damit an der Politik des regime change festhielt, hat er das doch schön gesagt: Die USA streben nach einem Syrien ohne Schrecken und Angst. Allerdings ist der Weg zur Hölle bekanntlich mit guten Vorsätzen, aber leider eben auch mit schlechten gepflastert. Letztere können den Weg abkürzen. Einen Rückweg wird es dann nicht mehr geben.
Erschienen in Ossietzky 21/2016 |
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