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Bevor ich die wichtigsten Elemente dieser bis heute mehrfach modifizierten Politik vorstelle, möchte ich eine grundsätzliche Bemerkung machen: Das reiche Europa, das sich gegen Flüchtlinge abschottet, ist nicht zuletzt deswegen reich, weil es weniger entwickelte Länder ausbeutet. Mit dieser Politik schafft Europa Fluchtursachen – und zugleich versucht es sich von den Flüchtenden abzuschotten. Das ist nicht nur ein humanitärer Skandal, es zeugt von widerlichem Zynismus. Zu den wichtigsten Einschränkungen des Grundgesetzes gehörte 1992 die Einführung sogenannter sicherer Drittstaaten beziehungsweise sicherer Herkunftsstaaten. Sicherer Drittstaat, das bedeutet: Wer auf seiner Flucht durch einen Staat kommt, in dem – nach Meinung der Bundesregierung – keine politische Verfolgung stattfindet, der kann sich auf das Asylrecht in Deutschland nicht berufen. Eine 1:1-Umsetzung des Gesetzes würde bedeuten, dass niemand, der auf dem Landweg einreist, in Deutschland noch Asyl erhalten könnte. Denn als sichere Drittstaaten gelten unter anderem alle EU-Staaten und die Schweiz. Der Luftweg ist ebenfalls ausgeschlossen – denn Fluggesellschaften, die Passagiere ohne Visum befördern, müssen bis zu 5000 Euro Zwangsgeld pro Einzelfall bezahlen. Im vergangenen Jahr wurde in 1287 Fällen ein solches Zwangsgeld erhoben, im Wert von insgesamt 2,1 Millionen Euro. Hinzu können noch Verwaltungskosten einschließlich der Kosten für eine etwaige Abschiebehaft kommen. Der Dublin-Mechanismus ist die logische Ergänzung der sicheren Drittstaaten-Regelung: Ein Asylantrag soll regelmäßig in jenem EU-Mitgliedsland durchgeführt werden, das ein Flüchtling zuerst betreten hat. Über Jahre hinweg hat das für Zehntausende Flüchtlinge, die es nach Deutschland geschafft hatten, bedeutet, dass sie wieder nach Griechenland, Italien und in andere EU-Länder zurückgeschoben wurden. In der Theorie läuft die Dublin-Regel darauf hinaus, dass die Mittelmeer-Anrainer alle Asylverfahren allein durchführen sollen. Vor allem in Italien und Griechenland ist das Asylsystem deswegen regelrecht kollabiert, so dass schon seit langem die Rückführungen dorthin ausgesetzt oder stark eingeschränkt sind. Das Prinzip der sicheren Drittstaaten wird ergänzt durch das der sogenannten sicheren Herkunftsstaaten (HKS). Ein Flüchtling aus einem solchen Land gilt grundsätzlich nicht als verfolgt. Mit dem Anspruch, dass jeder einzelne Asylantrag gleich ernsthaft und unvoreingenommen geprüft wird, ist eine solche Unterstellung nicht vereinbar. Die Betroffenen haben es viel schwerer, eine Verfolgung nachzuweisen. Die Einstufung als sicherer HKS erfolgt nach rein politischen Erwägungen. In den Jahren 2014 und 2015 waren es die Balkanstaaten. Damit wurde auf zunehmende Anträge von dortigen Bürgern reagiert, unter ihnen viele Roma (diese stellten aus Serbien beispielsweise bis zu 90 Prozent der Antragsteller). Die Anträge werden jetzt in vereinfachten und beschleunigten Verfahren geprüft, wobei die Antragsteller in sogenannten besonderen Aufnahmeeinrichtungen untergebracht werden. Dort, zum Beispiel im bayerischen Manching, unterliegen sie einer verschärften Residenzpflicht. Das ist offensichtlich reine Schikane und soll auch der Abschreckung dienen. Außerdem ist es ungerechtfertigt, denn besonders für Roma ist die Situation auf dem Balkan gefährlich. So haben etwa im Kosovo unmittelbar nach den Bombardierungen 1999 regelrechte Pogrome gegen Roma stattgefunden. Bis heute wird ihnen die Rückkehr in ihre Häuser verweigert. Roma werden auf dem Balkan bei der Arbeitsplatzvergabe benachteiligt, ebenso bei Sozialleistungen. Ihre Wohnviertel haben die schlechteste Infrastruktur. Die systematische, rassistisch motivierte Ausgrenzung nimmt Formen einer kumulativen Verfolgung an, die durchaus asylrelevant sein kann. Noch willkürlicher ist die Einstufung Marokkos, Tunesiens und Algeriens als sichere HKS, die im Frühjahr 2016 vom Bundestag beschlossen wurde (im Bundesrat gab es noch keine Abstimmung). In allen drei Ländern werden Homosexuelle verfolgt. In Tunesien bekommen Bürger, die kritisch über die Sicherheitskräfte berichten, Ärger mit der Polizei. In Marokko wird verfolgt, wer den König kritisiert oder sich gegen die völkerrechtswidrige Besetzung der Westsahara ausspricht. In der offiziellen Asylstatistik schwanken die bisherigen Anerkennungszahlen für marokkanische Schutzsuchende zwischen zwei und fünf Prozent. Das sind Fakten und Zahlen, die den pauschalen Verdacht, dass alle Antragsteller Betrüger seien, absolut unzulässig machen. Wie sehr Abschottung und Abschreckung einhergehen, zeigt sich mittlerweile auch im Fall von Bürgerkriegsflüchtlingen. Syrer beispielsweise haben noch bis Ende vorigen Jahres zu fast 100 Prozent Asyl erhalten. Mittlerweile erhalten sie fast nur noch den sogenannten subsidiären Schutzstatus, das heißt nur ein einjähriges Bleiberecht. Damit werden ihre Integrationschancen erheblich verringert. Zudem ist mit dem Asylpaket 2 der Familiennachzug für subsidiäre Flüchtlinge bis März 2018 ausgesetzt worden. Die SPD hatte damals argumentiert, das treffe nur ganz wenige – damals waren die Zahlen tatsächlich noch im Promillebereich. Aber seit die Neuregelung beschlossen wurde, werden immer mehr Schutztitel nur als subsidiäre vergeben. Mittlerweile sind es um die 60 Prozent, Tendenz steigend. Ein weiteres wichtiges Instrument zur Abschottung Europas besteht darin, die Nachbarn der EU quasi als Türsteher zu engagieren. Dazu bilden die EU-Staaten ausländische Grenzschutzeinheiten aus und beliefern sie mit Ausrüstungen. Der Schwerpunkt für solche Maßnahmen liegt auf dem Balkan und in Nord-afrika, also in wichtigen Transitländern. Da geht es nicht um Schusswaffen und so weiter, sondern ganz simpel darum, den Grenzschutz überhaupt arbeitsfähig zu machen. Dazu gehören etwa Lehrgänge zur Dokumentenprüfung und zum Umgang mit Funkgeräten. Der serbische Grenzschutz erhielt im Sommer durch die Bundespolizei einen Kurs zur Nutzung von Wärmebildtechnik, unter dem Titel »Grenzüberwachung Land« – ein Beitrag zur Abriegelung der Balkanroute. Wie »erfolgreich« das Prinzip funktioniert, sieht man am Beispiel Spanien: Vor einigen Jahren kamen noch nahezu täglich Flüchtlinge an die Strände der Kanarischen Inseln. Bis Spanien anfing, unterstützt von Frontex, die Guardia Civil in den Häfen Mauretaniens patrouillieren zu lassen. Mauretanien wie auch Marokko erhalten Geld und militärische Ausrüstung, damit sie Flüchtlinge daran hindern, nach Europa zu kommen. Das gleiche Verfahren hatte Italien unter Berlusconi mit Unterstützung der EU gegenüber Libyen – damals noch unter Gaddafi – angewandt. In Libyen wurden Flüchtlinge in Gefängnisse geworfen und nach ihrer Freilassung oftmals irgendwo in der Wüste ausgesetzt. Trotzdem versorgte Italien Libyen mit Hubschraubern, Waffen und Militärfahrzeugen. Im Jahr 2007 empfahl Frontex nach dem Besuch einer Delegation in Libyen, trotz der Menschenrechtsverletzungen Kommandostände, Überwachungsradargeräte, Patrouillenboote und andere Ausrüstung zu liefern. Das Gleiche strebte die EU auch nach dem Sturz Gaddafis an. Vor drei Jahren begann sie eine Polizeimission mit dem Ziel, in Libyen Border Guards, also einen Grenzschutz, auf die Beine zu stellen. Eine funktionierende Regierung gibt es in Libyen allerdings nicht. Die hat die NATO weggebombt. Mittlerweile hat sich auch der IS in Libyen festgesetzt. Dementsprechend ist der Grenzschutz in der Praxis nur eine Miliz im Kampf gegen andere Milizen. Die Mission ist mittlerweile fast eingestellt, die Beteiligten aus der EU wurden aus Sicherheitsgründen aus Libyen evakuiert. Die Flüchtlingsabwehr im Mittelmeer wird zunehmend militarisiert. Seit Juni 2015 macht die Bundeswehr bei der EU-Mission EUNAFVOR MED mit, die inzwischen »Sophia« heißt. Ziel ist die Bekämpfung von Schleusern. Die Kriegsmarinen der EU sollen die Schleuserstrukturen aufdecken und ihre Boote identifizieren, diese dann auch kapern und zerstören dürfen. Doch dass überhaupt Schleuser in Anspruch genommen werden, ist eine direkte Folge davon, dass sich die EU weigert, Menschen in Not legale Möglichkeiten zu belassen, in Europa einen Asylantrag zu stellen. Mehr Tote: Man kann bereits deutlich sehen, was diese Militarisierung der Abschottungspolitik für die Flüchtlinge bedeutet. Die Schleuser setzen, um ihre Kosten niedrig zu halten, noch wackligere Boote ein, und sie weichen auf andere Routen aus, neuerdings wird Ägypten zum Ausgangspunkt. Die Überfahrten werden gefährlicher. Seit 2014 sind nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration 10.000 Menschen auf dem Mittelmeer bei der Flucht umgekommen. Allein in diesem Jahr waren es schon 3000. In der Ägäis wird seit diesem Frühjahr das gleiche Prinzip verfolgt: Der Deal zwischen der EU und Erdoğan sieht vor, dass die Türkei Abfahrten von Flüchtlingsbooten auf die griechischen Inseln unterbindet. In diesen Plan ist auch die NATO eingebunden, deren Kriegsschiffe in der Ägäis helfen, »verdächtige Boote« zu identifizieren und der griechischen und türkischen Küstenwache zu melden. Die Flüchtlinge werden aufs türkische Festland zurückgebracht. Bis zum 1. August hat die NATO 109 »Migrationsbewegungen« gemeldet, 24 dieser Meldungen stammten von der deutschen Marine. Durch diesen Einsatz werden Menschen aktiv daran gehindert, Zugang zum Asylrecht zu erhalten. An diesem Deal hält die EU verbissen fest, obwohl sich Erdoğan in den letzten Monaten nicht nur zunehmend zum Diktator aufschwingt, sondern auch die kurdische Bevölkerung mit einem blutigen Krieg überzieht und so bereits eine halbe Millionen neue Flüchtlinge im eigenen Land geschaffen hat. Für das Ziel, sich gegenüber Flüchtlingen abzuschotten, paktiert die EU auch mit Diktatoren. Wichtig ist es, dem Asylgedanken des Grundgesetzes wieder Geltung zu verleihen. Es darf nicht sein, dass jemand sein Leben riskieren muss, nur um ein Recht in Anspruch zu nehmen, das immer noch im Grundgesetz verankert ist. Ganz vorne steht für die Linkspartei deswegen die Forderung nach Schaffung sicherer und legaler Möglichkeiten für Flüchtlinge, in der EU Asyl zu beantragen. Die EU-Richtlinie, die Transportunternehmen Strafen für die Beförderung von Menschen ohne gültige Visa auferlegt, muss weg. Langfristig müssen wir an die Fluchtursachen ran. Das wird ein langer Kampf gegen die Dogmen des Freihandels und des Neoliberalismus. Wir brauchen faire Wirtschaftsbeziehungen, einen fairen Außenhandel. Wir dürfen nicht länger durch den Export subventionierter Lebensmittel und Billigprodukte lokale Märkte zerstören. Mit dem Unsinn, in vom Hunger bedrohten Regionen auf Agrarflächen statt Lebensmittel Bio-Treibstoff anzubauen, muss Schluss sein. Deutsche Firmen, die im Ausland arbeiten, müssen in Deutschland zur Verantwortung gezogen werden, wenn sie gegen Menschenrechte oder ökologische Mindeststandards verstoßen. Das alles bedeutet einen Bruch mit den scheinbaren Selbstverständlichkeiten des Kapitalismus – aber dieser Bruch ist notwendig im Kampf gegen die Barbarei.
Erschienen in Ossietzky 20/2016 |
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