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Die Anhänger einer offenen demokratischen Gesellschaft stellen sich ihnen in Diskussionen und Demonstrationen entgegen, in erster Linie gestützt auf das Mittel rationaler Argumentation: Analyse der Programme der Rechtspopulisten sowie der Einzeläußerungen ihrer Wortführer, Kritik der politischen Praxis der AfD, vor allem soweit sie Sitze in den Parlamenten errang. Gut so. Doch bei Abwehr des Rechtspopulismus bleibt häufig eines außer Acht: die Notwendigkeit, den psychischen Mechanismus aufzudecken, der erhebliche Mengen von Mitbürgerinnen und Mitbürgern stimuliert, massenhaft bei Demonstrationen der Pegida-Bewegung mitzulaufen, bei Wahlen der AfD ihre Stimme zu geben, auch sogar die Mitgliedschaft dieser Partei zu erwerben. Von welchem Mechanismus ist die Rede, wie funktioniert er? Es sind zwei Psychologien im Spiele: die eine der Drahtzieher und Drahtzieherinnen, von denen die AfD, die Pegida-Bewegung und weitere Zusammenrottungen initiiert wurden und die an der Verbreiterung von deren Basis arbeiten; die zweite der einfachen Mitglieder, Mitläufer und Wähler. Um die zweite muss es gehen, weil das dringendste Erfordernis ist, den Zulauf zu AfD, Pegida und ähnlichen Organisationen einzudämmen. Um die Wirkungsweise des Mechanismus zu erkennen, sollte ein Grundbegriff der Psychologie herangezogen werden: »Narzissmus«. Er verweist darauf, dass eine Person in sich selbst verliebt sein kann, nicht selten bis hin zur übersteigernden Selbstbewunderung. Der Narzissmus kann auch ein Kollektiv infizieren, zum Beispiel einen gewissen Anteil einer Nation. In milderen Formen braucht er nicht sogleich krankhaft zu sein, kann etwa zusammenfallen mit dem Stolz auf vollbrachte Leistungen (soundso viele Goldmedaillen …). Zur übertreibenden Selbstliebe gelangt eine Person oder ein Kollektiv durch den Vergleich. Vergleichend schreibt der in sich selbst Verliebte oder das in sich selbst verliebte Kollektiv sich die Berechtigung zu, die anderen geringer oder völlig gering zu schätzen. Als Maßstab wird gern die eigene Kultur herangezogen. Beispiel: Gegenwärtig oft die Unterstellung, die orientalischen Kulturen vernachlässigten die Aufklärung, die Menschenrechte, die Freiheiten des Individuums. Die Tonangeber des Rechtspopulismus leiten daraus die Berechtigung ab, andere Kulturen geringer zu schätzen und sie zu verachten und die Aufnahme von Menschen, die ihr angehören, als Gefahr für Deutschland auszugeben. Entscheidend nun: Die Verliebtheit in die eigene Nation kann jederzeit selbst die »Unterprivilegierten« in einem Lande, Teile der Ausgebeuteten und Entrechteten ergreifen. Sie sehen sich eingebettet in die Kultur ihres Landes, deren Überlegenheit ihnen als erwiesen gilt. In seiner Schrift »Die Zukunft einer Illusion« (1927) beschrieb Sigmund Freud diesen Sachverhalt: »Nicht nur die bevorzugten Klassen, welche die Wohltaten dieser Kultur genießen, sondern auch die Unterdrückten können an ihr Anteil haben, indem die Berechtigung, die Außenstehenden zu verachten, sie für die Beeinträchtigung in ihrem eigenen Kreis entschädigt. Man ist zwar ein elender, von Schulden und Kriegsdiensten geplagter Plebejer, aber dafür ist man Römer, hat seinen Anteil an der Aufgabe, andere Nationen zu beherrschen und ihnen Gesetze vorzuschreiben.« Das Resultat des Vorgangs ist dann: die »Identifizierung der Unterdrückten mit der sie beherrschenden und ausbeutenden Klasse«. Übrigens müssen es nicht zu verachtende »Außenstehende« allein sein in dem Sinne, dass sie in anderen Erdteilen zuhause sind oder waren und nun immigrieren; es können auch im Landesinnern Befindliche sein, die von den Herrschenden aber gegenüber den Beherrschten als aus der eigenen Kultur Ausgeschlossene bezeichnet werden (im Faschismus als »Nichtarier«). Kompliziert kann die Situation dadurch werden, dass eine Tonangeberin der Herrschenden, zum Beispiel die amtierende Bundeskanzlerin, in den Augen der Unterprivilegierten die sich ins Land flüchtenden Angehörigen anderer Kulturkreise zu begünstigen scheint. Dann lockert sich die »Identifizierung« der Unterdrückten mit der »sie beherrschenden und ausbeutenden Klasse«, und es kommt seitens jener womöglich zur Frontstellung gegen diese (wie in den Parolen gegen Merkel bei Demonstrationen). Dass es allerdings falsch wäre, die nun entstandene Frontstellung als prinzipielle aufzufassen, lässt sich daran erkennen, dass an der derzeit zentralen Ideologie der Herrschenden festgehalten wird, am Neoliberalismus. Es ist also eine sekundäre Frontstellung, eine jederzeit auflösbare. Bedingung: Die Herrschenden geben die – kaum tatsächliche, eher gewähnte – Begünstigung der Migration auf. Der psychische Mechanismus erweist sich als komplexes Phänomen mit vertrackten Folgen. Es nimmt seinen Ausgang bei dem Narzissmus, der Teile eines Kollektivs ergreift, der in Klassen unterteilten Nation, darunter der unterdrückten Klassen, bis hin zu deren politisch gravierender Identifizierung mit der Klasse der Unterdrücker. Daraus ergibt sich die Verachtung »Außenstehender« (Angehöriger der nicht heimischen Kultur) sogar auch durch Teile der Klasse der Unterdrückten, die nunmehr zur Frontstellung gegen die Immigration neigen – statt gegen ihre eigenen Unterdrücker. Gehen die Herrschenden dazu über, eine Politik der Verachtung »Außenstehender« gegen eine auszutauschen, die in der Sicht der Beherrschten die Flüchtlinge begünstigt, gehen Teile der Unterdrückten in Opposition zur Regierungspolitik. Ihre Frontstellung ist jetzt die doppelte: eine falsche gegen die Migration wie eine falsche gegen die Herrschenden – gegen diese die richtige wäre eine gegen die unsägliche Identifizierung. Auf wen können die Anhänger der offenen demokratischen Gesellschaft bei der Abstellung des beschriebenen psychischen Mechanismus zählen? Kämpfen sie einen aussichtslosen Kampf oder widerstehen sie dem Rechtspopulismus mit vervollständigter überlegter Argumentation erfolgreich? »… die Stimme des Intellekts ist leise, aber sie ruht nicht, ehe sie sich Gehör verschafft hat. […] auf die Dauer kann der Vernunft und der Erfahrung nichts widerstehen …« (Freud, ebd.)
Erschienen in Ossietzky 19/2016 |
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