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Und als er Anfang der 1960er Jahre zu einem Kongress des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes (FDGB) nach Berlin-Karlshorst eingeladen wurde, fuhr er hin und sagte als Diskussionsredner sinngemäß, dass es vernünftiger sei, wenn die Deutschen, die damals in zwei Staaten lebten und gegeneinander aufgerüstet wurden, miteinander sprächen statt aufeinander zu schießen. Das lasen westdeutsche Staatsanwälte oder deren Zuträger im Neuen Deutschland und erhoben Anklage wegen Verstoß gegen das KPD-Verbot. Der Mann müsste gut zu verteidigen sein, dachte ich und fuhr mit ihm siegessicher nach Lüneburg. Aber dort amtierte eine Strafkammer unter dem Vorsitz eines Herrn Cieplic, der sich als Richter schon um den Unrechtsstaat der Nazis verdient gemacht hatte. Und so war vom ersten Ton der Verhandlung an zu spüren, dass wir hier keine Chance auf den Freispruch hatten, den die Freiheitsrechte des westdeutschen Grundgesetzes versprochen hatten. Im Urteil hieß es, der Diskussionsbeitrag des Angeklagten habe den Interessen der SED gedient, die eine Ersatzorganisation der KPD sei. Und deshalb habe er gegen das Verbot der KPD verstoßen und müsse mit sieben Monaten Gefängnis bestraft werden, die für den Fall, dass er sich »bewährte«, also die politische Gesinnung der Richter übernehmen würde, ausgesetzt wurden. Strafmildernd habe man berücksichtigt, so sagte der Vorsitzende in der mündlichen Urteilsbegründung, dass der Angeklagte im Kriege »seine Pflicht erfüllt« habe. Wer war dieser Richter, der noch im Jahr 1962 die Mittäterschaft an dem größten Massenmord der Menschheitsgeschichte und die Verwüstung der Sowjetunion für verdienstvoll erklären konnte? In einer Broschüre der VVN Lüneburg ist jetzt die Antwort auf diese Frage zu lesen. Herr Cieplic, Jahrgang 1911, studierte an der Universität in Breslau, an der die Studentenschaft schon 1932 eine Hetzkampagne gegen einen jüdischen Juraprofessor inszenierte. Die von den Nazis als »verjudet« bezeichnete Universität wurde nach ihrem Machtantritt »judenrein« gemacht. Ihre Justizausbildungsordnung schrieb eine »völkische Ausrichtung« des Studiums vor. Diese wurde später in einem zweimonatigen Referendarlager fortgesetzt, wo eine Unterweisung im Rasse- und Erbgesundheitsrecht, weltanschauliche Ausbildung sowie Kampfspiele und Übungen für das SA-Sportabzeichen unter Leitung eines bewährten Nationalsozialisten stattfanden. In diesem Sinne geschult wurde Cieplic Richter an Breslauer Gerichten. Cieplic wurde Mitglied der NSDAP und anderer NS-Organisationen. Er nahm an der Besetzung des Sudetenlandes teil und erhielt für »besondere Verdienste um die Wiedervereinigung des Sudetenlandes mit dem Deutschen Reich« eine Medaille mit der Aufschrift »EIN VOLK – EIN REICH – EIN FÜHRER«. Im Zuge der Kriegsvorbereitung wurde Cieplic zum Wehrdienst eingezogen und nahm bis 1942 als Feldwebel am Krieg gegen Polen, Frankreich und die Sowjetunion teil. 1942 wurde er im Justizdienst eingestellt. Vom 3. Mai 1945 bis zum 29. Januar 1946 war Cieplic in amerikanischer Gefangenschaft. Im September 1946 wurde er als Amtsrichter in Peine eingestellt. Er wurde zügig entnazifiziert, wurde Richter am Landgericht Lüneburg und Beamter auf Lebenszeit. 1960 wurde er zum Landgerichtsdirektor ernannt und Vorsitzender der Kammer für politische Strafsachen. Cieplic nahm als Lüneburger Richter an mehrtägigen dienstbefreiten Veranstaltungen der Bundeswehr teil, so zum Beispiel in deren Erholungsheim auf Norderney, wo sich Fachkräfte aus Geheimdienst, Justiz und Bundeswehr trafen, um unter anderem über die »subversive Tätigkeit der KPD« und die »Aufstellung und Führung von Einheiten der psychologischen Kampfführung in der Bundeswehr« sowie über den »verdeckten Kampf« dieser Militärtruppe zu unterrichten. Deren Hauptauftrag war »die Beeinflussung des Verhaltens und der Einstellung feindlicher Streitkräfte, Konfliktparteien sowie ausländischer Zivilbevölkerung mit kommunikativen Mitteln, um eigene militärische Operationen zu erleichtern.« Cieplic war nur einer der vielen unbesehen in den Justizdienst der westdeutschen BRD übernommenen Nazirichter. Als Cieplic 1985 starb wurde ihm ein salbungsvoller Nachruf in einer vom Vizepräsidenten des Landgerichts unterzeichneten Anzeige gewidmet. Oleg von Brackel starb vorzeitig an Asbestose, die er sich, wie auch andere Arbeitskollegen, in einem astbestverseuchten Betrieb zugezogen hatte, der, anders als der Palast der Republik, noch heute existiert. Und noch eines Mannes muss ich in diesem Zusammenhang gedenken. Gerhard Schröder, den ich aus gemeinsamer politischer Strafverteidigung kannte und duzte, wurde von mir, als er zum Bundeskanzler aufgestiegen war, daran erinnert, dass in der Zeit des Kalten Krieges auch in der westdeutschen BRD Justizunrecht verübt worden ist und ebenso wie in der DDR eine Rehabilitierung und Entschädigung der Opfer der Gesinnungsjustiz stattfinden müsse. Er ließ mich durch einen Ministerialrat wissen, dass bei uns im Unterschied zur DDR alles rechtsstaatlich zugegangen sei. Ich beendete die Korrespondenz mit der Aufforderung an den Ministerialbeamten, er möge seinem Chef ausrichten, dass er sich schämen soll. Die Broschüre der VVN Lüneburg, aus der im Artikel mehrfach zitiert wird, trägt den Titel: »Das Landgericht Lüneburg als ›Spitze der justizförmigen Kommunistenverfolgung‹ der 1950er/60er Jahre. Teil 1: Das Personal«. Das Ossietzky-Heft 16/2016 enthält mehrere Artikel zum Thema »KPD-Verbot: Ein Stück deutsche Geschichte«, Bezug zum Preis von 2,80 € zzgl. 1,50 € Versandkosten unter ossietzky@interdruck.net.
Erschienen in Ossietzky 18/2016 |
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