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Der Weg Ursula Mattheuer-Neustädts begann 1926 in Plauen, wo sie zur Schule ging und sich als eine »Trümmerfrau« für ihre vogtländische Heimatstadt einsetzte. Sie strebte nach gründlicher Ausbildung: zuerst nach dem Krieg bei Hermann Henselmann in Weimar mit dem Wunsch, Architektin zu werden. Doch als sie ihre Neigung und ihr Talent besser kennengelernt hatte, studierte sie bei Elisabeth Voigt, Egon Pruggmayer, Max Schwimmer und Walter Arnold an der Hochschule für Grafik und Buchkunst, wo sie Wolfgang Mattheuer kennenlernte. 1952 wurde das Jahr ihres Diploms und der Eheurkunde. Von Anbeginn nahm die intensive Auseinandersetzung mit der Literatur einen breiten Raum ein, entstanden Illustrationen (für circa 70 Bücher) und Blätter zur Literatur, errang sie Auszeichnungen für »Schönste Bücher«; 1965 erhielt sie zwei Silbermedaillen der Internationalen Buchkunstausstellung in Leipzig sowie 1972 den Kunstpreis der Stadt Leipzig. Konzentriert auf wenige bildnerische Mittel, auf das Schwarz-Weiß, entwarf sie einen bildnerischen Kosmos, reich an erlebten Wirklichkeitsmomenten, die sinnbildlich gesteigert mit allegorischen und mythischen Motiven verschmolzen sind zu einer einzigartigen Komplexität. Ursula Mattheuer-Neustädt ist mit ihrer unverwechselbaren Gestaltenwelt eine Künstlerin von nationaler Bedeutung und internationaler Anerkennung, eine herausragende Exponentin deutscher Zeichenkunst, deren bedeutende Tradition über Käthe Kollwitz, Otto Pankok, Otto Dix, Caspar David Friedrich bis zu Albrecht Dürer zurückreicht. Ursula Mattheuer-Neustädts Leben und Werk können nicht betrachtet werden, ohne auf Wolfgang Mattheuer einzugehen und auf die großartige Beziehung der beiden, ihrer Liebe zur Heimat, ihrer Bewunderung der Landschaften und ihrer sich in symbolischen Werten und in der Form berührenden Kunst bis hin zum politischen Engagement. Bei den Leipziger Herbstdemonstrationen 1989 »hielten [sie] einander bei den Händen wie Philemon und Baucis« (Werner Heiduczek). So gingen sie durch ihr gemeinsames Leben, wanderten mit »Fernhinsehnsucht«, wie sie einmal sagte, durch die Landschaften und zeichneten beieinander. Mattheuer berichtete über die weltläufigen Reisen: »Ich stand mit Ursula im ewigen Schnee am Popocatepetl, 4500 m hoch. Wir standen auf dem Gornergrat zwischen Monte Rosa und dem Matterhorn, auf der Zugspitze und am Groß Glockner, auf dem Brocken und dem Großen Arber, auf Kaukasusgipfeln und auf Polarkreisbergen im Licht der Mitternachtssonne und auf und zwischen diversen anderen Attraktionen in allen Himmelsrichtungen«. Doch Mattheuer beschließt seinen Gedankengang zu den Reisen in die Welt mit der Rückkehr zum Geburtsort, »ein Zeichen meiner Sehnsucht«. Der Künstlerin Sehnsuchtszeichen liegt im Vogtland; in dieser Landschaft hält sie andächtig mit der Natur Zwiesprache. Deshalb zeigt das Museum auf Burg Mylau die Zeichnungen »Garten in Reichenbach«, »Heller Horizont, Vogtland bei Unterlosa«, »Frühlingsmond (Ganzgrün)«, »Im Triebtal Vogtland«, »Sonniger Herbsttag im Vogtland«, »Steinbruch im Steinicht (Vogtland)«, »Landschaft bei Stützengrün«, »An der Talsperre nach einem trockenen Sommer« und andere Bilder ihrer Heimat. »Deutschland, Deutschland über alles.« Diesen Vers kritisierte Kurt Tucholsky mit scharfem Nein. Manche »Linke« und Internationalisten verurteilen – ohne mein Verständnis – heimatliche Gefühle als eine Beschränkung. Doch auch Tucholsky beschloss mit einem »Ja–: zu der Landschaft und zu dem Land Deutschland. Dem Land, in dem wir geboren sind und dessen Sprache wir sprechen. Der Staat schere sich fort, wenn wir unsere Heimat lieben.« Auch Volker Braun hat sich im unbesetzten Land »gänzlich zu hausegefühlt, in der Heimat« (Das Nichtgelebte). In Versen der Künstlerin nennt sie ihre Motive: den Wildgarten, die Gräser, die sich leis und geschwind neigten, alte Eichen in ihrer breiten Ruhe, Nebelstreifen, die sanften Schwünge der braungrünen Wiesen, die Wege, die sie ging. Die Künstlerin suchte ihre »imaginäre Topographie«. Sie ist beglückt von dem Reichtum der schönen Erde mit »vieltausend Nuancen / einer Farbe allein / in Formen unzählig«. In ihren Zeichnungen erfasst sie deren besondere Stofflichkeit naturnah und in differenzierten Strukturen. Grandios steigen, teilweise von Sonnenstrahlen durchdrungen, die dunkel- und hellgrauen bis zum blendenden weißen Wolkenformationen auf; ihr auseinandertreibendes wucherndes Gekröse wirkt bedrohlich. Dann bietet die horizontal schwingende Wiesenstruktur dunkel den Gegensatz zum dunklen Gitter der darauf eng beieinanderstehenden Bäume, über deren beknospeten Zweigspitzen die Lichtkrone des Frühlingsmondes steht. Sie zeichnete [naturverbundene,] kurvende Wege, ortsverbindende Straßen, die im Gegenlicht der Sonne leuchten, bis sie hinterm Hügel verschwinden. Vom hohen Blickpunkt locken von Horizont zu Horizont die gestaffelten Bergfolgen. Die Künstlerin erlebte romantisch die mannigfaltige Landschaft und fixierte die unmittelbaren Begegnungen meist mit Bleistift, zusammen mit Farbstift, mit Deckweiß gehöht oder aquarelliert, mit Tusche oder Kugelschreiber; manchmal wurden sie mit Kreiden, Gouache oder Mischtechnik zum Bild weitergetrieben. Alles ist mit solcher Ausdauer gezeichnet, die nur möglich wird durch die Begeisterung zu der Landschaft, darüber die Wolken, durch die Liebe und Demut zur Heimat. Wer über die Heimat nachzusinnen beginnt, fragt sich: Fängt damit das Alter an? So fragte der Dichter Durs Grünbein unlängst in MDR Kultur. Die Antwort gab Ursula Mattheuer-Neustädt schon 1952 in einem Gedicht: »Erinnerung die Gegenwart durchglänzt: / Die Schönheit blieb und Träume kehren wieder.« Blick in die Heimat. 6. August bis 30. September 2016, Museum Burg Mylau, Burg 1, 08499 Mylau; Di bis Do sowie Sa und So 11 bis 17 Uhr
Erschienen in Ossietzky 18/2016 |
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