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Zunächst einmal sollte sich die Empörung darüber in Grenzen halten, dass Vermögende fürs Nichtstun keine Zinsen mehr erhalten. Der größte Teil des weltweit völlig ungleich verteilten Vermögens, das wissen wir endgültig durch den französischen Ökonomen Thomas Piketty, wurde nur geerbt. Erben haben für ihre Erbschaft selbst nichts geleistet. Zinsen sind zudem ein Ausbeutungs- und Umverteilungsinstrument, weil Zinsempfänger immer andere Menschen für sich arbeiten lassen. Schließlich muss hinter jedem Euro Zinsen menschliche Arbeitskraft in der einzig wertschaffenden produzierenden Realwirtschaft stehen, während die Finanzindustrie die Zinsen über den Banken- und Versicherungsapparat lediglich verteilt. Werden dabei die Gelder temporär nicht in der produzierenden Wirtschaft, sondern auch auf den hoch spekulativen Finanzmärkten in sogenannten Bank- und Versicherungsprodukten angelegt und »zwischengeparkt«, ist es immer nur eine Frage der Zeit, bis die dadurch entstehende Vermögenspreisblase platzt. Wie naiv sind viele Menschen, die offensichtlich glauben, dass ihre Lebensversicherungen oder in Pensionsfonds angelegten Gelder für eine Rente sicher sind und sich völlig losgelöst von der produzierenden Wirtschaft verwerten lassen und Überschüsse abwerfen können. Nein, so funktioniert Wirtschaft nicht! Entstanden ist die weltweite Überersparnis und Überschussliquidität (von dem herausragenden britischen Ökonomen John Maynard Keynes als »räuberische Ersparnis« bezeichnet), die jetzt für Null- und Negativ-Zinsen sorgt, durch eine neoliberal herbeigeführte gigantische Umverteilung von den Arbeits- zu den Kapitaleinkünften. Zu den letzteren zählen neben den Zinsen auch die Profite und Grundrenten (Mieten und Pachten). Sowohl in der marktbezogenen Primärverteilung an den Arbeitsmärkten als auch durch die staatliche Sekundärverteilung durch eine ungerechte Steuer- und Abgabenpolitik wurde einseitig zu Gunsten der Kapitaleinkünfte umverteilt. Überall sind dadurch in Folge sowohl die Brutto- als auch die Nettolohnquoten gesunken und die Profitquoten gestiegen. Dies hat schließlich einen gesamtwirtschaftlichen Teufelskreis ausgelöst. Die Umverteilung führte zu einer Wachstums- und immer mehr zu einer Produktivitätsschwäche mit Arbeitslosigkeit und prekarisierten Arbeitsverhältnissen, die in Summe eine weitere kontraproduktive Umverteilung zu Gunsten der Kapitaleinkünfte ermöglicht hat. Es ist empirisch davon auszugehen, dass das heute weltweit bei wenigen konzentrierte Geld- und Finanzvermögen viermal so groß ist wie die reale Produktion an Gütern und Diensten. Das heißt, die ansteigenden Profit- und Zinsansprüche der Kapitaleigentümer müssen aus einer in Relation immer kleiner werdenden realen Produktion beziehungsweise Wertschöpfung befriedigt werden. Dies provoziert Verteilungskonflikte, die sich jetzt unter anderem in den negativen Zinsen entladen und zukünftig noch heftiger werden. Was sind dazu die Alternativen? Erstens könnten die Arbeitseinkommen noch mehr sinken. Dies würde aber das eh schon nur schwache Wachstum weiter absenken, Arbeitsplätze vernichten und damit noch weniger Anlagemöglichkeiten für das Geld- und Finanzvermögen bedeuten. Zweitens könnten die Profite und Grundrenten (Mieten/Pachten) gesenkt werden. Dadurch würden noch mehr realwirtschaftliche Investitionen ausbleiben, und die Krise würde angeheizt. So muss die Europäische Zentralbank mit ihrer expansiven Geldpolitik helfen. Das verstehen viele nicht. Sie muss jedoch die in der Krise notleidend gewordenen Kredite der Schuldner, unter anderem die von Griechenland, vom Markt nehmen oder refinanzieren, was selbstverständlich wegen der damit verbundenen Ausweitung der Geldmenge unweigerlich die Zinsen senkt – aber gleichzeitig auch die vermögenden Gläubiger schützt. Sie verlieren so zumindest ihre Vermögensbestände nicht. Diese Geldpolitik kann man aber nicht unbegrenzt fortführen. Zumal eine damit notwendig zu verbindende expansive Fiskalpolitik durch die Staaten beziehungsweise durch die Politik mit wirtschaftlich kontraproduktiven Schuldenbremsen verbaut worden ist und man deshalb auf eine Austeritätspolitik setzt, die einen maximalen ökonomischen Schaden anrichtet. Aber selbst wenn die herrschende Politik hier zur Besinnung käme und Geld- und Fiskalpolitik gleichgeschaltet expansiv ausrichten würde, führt an einem gezielten weltweiten Kapitalschnitt bei den Vermögenden kein Weg mehr vorbei. Ich empfehle hier bei den 62 Super-Superreichen, denen die halbe Welt gehört, anzufangen (siehe dazu die Briefe in Ossietzky Heft 3/2016). Das überschüssige und funktionslos gewordene Geld- und Finanzvermögen der Reichen muss entwertet und der realen Produktion wieder anpasst werden. Jedenfalls wird es nicht noch einmal gelingen, dass sich die Vermögenden, wie 2007 beim Ausbruch der Weltwirtschaftskrise an den Finanzmärkten, der Krisenlasten entledigen und diese allgemein den Staaten per Staatsverschuldung aufbürden. Dies hatte für die Vermögenden zwei Vorteile: Erstens haben sie ihr Vermögen nicht eingebüßt, und zweitens konnten sie so das nicht verlorene Vermögen den Staaten als Kredit geben und bekamen dafür Zinsen. Sie wurden also durch die Krise noch reicher. Und die herrschende Politik, mit den Vermögenden verbandelt, konnte danach von einer Staatsschuldenkrise faseln und den Völkern Sozialabbau und Austerität predigen. Wohin das geführt hat, können wir jetzt überdeutlich sehen. Ganz Europa steckt, nicht nur wegen des Brexit, in einer tiefen ökonomischen und politischen Krise, und die selbsternannten Herrschaftseliten in Politik und Wirtschaft sind mit ihrem neoliberalen und marktradikalen Latein am Ende. Nur wahrhaben wollen sie es noch nicht – und das ist gefährlich. Die außerparlamentarische Zivilgesellschaft und die politische Opposition sind hier gefordert, den notwendigen Druck zu entfachen.
Erschienen in Ossietzky 15/2016 |
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