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Etwa zwanzig Jahre später, nach 1883, erlebte er sie in der Wirklichkeit, in Anna Strakosch, 35 Jahre jünger als er, der Diotima von Platon und von Friedrich Hölderlin verwandt und ilsegleich. Und der Dichter durfte sich ebenso selbst als seine Romanfigur, als jener »fremde Mann«, verstehen, von dem bei Ilse »eine Fülle von Bildern, Gedanken, Gefühlen in ihrer Seele aufgegangen war« (G. F.). Anna wurde seine dritte Frau und weckte seine Lebensgeister, brachte ihn zum Schreiben seiner Erinnerungen und wurde »Vertraute seiner Werkstatt und Mahnerin« (G. F.). Die Skulptur des Dichters mit der ilsengleichen Anna »Wenn ich«, so Freytag, »etwas von der Nachwelt ersehne, so ist es das eine, dass diese mein Schattenbild bewahre, Ilses Kopf an meiner Schulter … Ihr möchte ich die Unsterblichkeit bereiten, soweit diese den Menschen vergönnt ist, und ihr Wesen, ihre Gestalt möchte ich kommenden Geschlechtern lieb und vertraulich machen. Die Geliebte, die Freundin, das Weib eines Dichters.« Nicht in einer mythologischen Figurenverbrämung, sondern in profaner Wirklichkeit, wie es sich der Realist Freytag dachte, wird das Paar in der lebensgroßen Marmorskulptur Gustav Freytag und seine Frau Anna, 1899, vom österreichischen Bildhauer Emil Fuchs (1866-1929) gezeigt (Original im Gustav-Freytag-Gymnasium Gotha; Replik im Garten der Freytag-Gedenkstätte, Gotha-Siebleben). Fuchs studierte an der Königlichen Akademie der Schönen Künste in Wien, wo er 1866 geboren wurde, und an der Königlichen akademischen Hochschule für bildende Künste in Berlin. Dort war sein Lehrer Hugo Wilhelm Fritz Schaper (1841–1919) einer der bekanntesten Repräsentanten der Berliner Bildhauerschule, der mit seinem realistischen Formgefühl in der künstlerischen Tradition Schadows und Rauchs stand. Im Vergleich würdigte fast siebzig Jahre später Heinrich Drakes »Goethe mit seiner Muse« den bedeutenden Rang von Frauen für den Dichter, die Frau als seine Inspiration. Dagegen stehen Gustav und Anna durch Berührung und Blickbeziehung in enger Beziehung. Zwar entstand die Doppelskulptur von Fuchs erst vier Jahre nach dem Tode Freytags, doch ein postumes Werk ist es nicht ganz. Denn Emil Fuchs zeichnete und modellierte den Schriftsteller, seinen »Schwippschwager«, schon zu dessen Lebzeiten. Seine Briefe an Gustav Freytag weisen aus, dass er ihn und sein Werk »zur Ehre und zum Stolz Ihres Fürsten und Ihrer Nation« schätzte und sein später entstandenes Doppelstandbild als Beitrag zu Freytags Ruhme sah und »zum Segen Ihrer Familie«. Freytag und seine Frau Anna förderten den jüngeren Stiefbruder Annas mit diesem Auftrag. Bei der Erschaffung der lebensgroßen Doppelfigur konnte der Bildhauer die Gebärden, Haltungen und Blicke der Gestalten nicht von den lebenden Gestalten abnehmen. Von der These ausgehend, Kunst komme auch aus Kunst, suchte er seine künstlerischen Vorbilder in der Kunstgeschichte. Er entdeckte im Museo Nazionale Romano die römische Marmorskulptur des Menelaos »Elektra empfängt Orest« aus der 1. Hälfte des 1. Jahrhundert. Die Öffentlichkeit erfuhr von Fuchs‘ Plastikgruppe kaum etwas; die Kunstgeschichte weiß erst mit der neuen Publikation von ihr. Dabei bewunderte die italienische Königin Margherita Maria Teresa Giovanna di Savoia, Mutter des Königs Victor Emmanuel, die Skulptur in dem römischen Atelier von Fuchs, auch Gustav Freytags Werke hatte sie in deutscher Sprache gelesen. Erst der Gothaer Künstler Franz Vetter erwähnte 1935 die lebensgroße Marmorgruppe, und empfahl zum Verständnis die »herrlichen Briefe« Gustav Freytags zu lesen. Gustav Freytag wendete sich in der Spätzeit von »Soll und Haben« ab, auch von antisemitischen Anklängen; Anna, eine geborene Götzel, stammte aus jüdischer Familie. Vielmehr wendete er sich in seinem letzten literarischen Werk, »Briefe«, dem Persönlichen zu. Die von ihm kanalisierte Intention des Skulpturenpaares nimmt Abstand von den Zielen, die von außen kommen, und bringt den Mut auf, sich liebend zu zeigen und der Liebe zuzustreben. Der Realismus des Kunstwerkes sucht über die bloße Abbildung des Paares, über dessen Privatheit, exemplarisch zum Sinnbild für die Liebe hinauszugehen. Das Freytag-Gemälde als höchste Leistung Stauffers als Porträtist In der Folge von des Kaisers Glückwunsch zu Freytags 70. Geburtstag sollte von dem Romancier, Dramatiker und Kulturhistoriker für die Ehrengalerie deutscher Kulturrepräsentanten ein Porträt für die Nationalgalerie gemalt werden. Das preußische Kultusministerium vergab den Auftrag für das Bildnis an den berühmten, in Berlin arbeitenden Schweizer Maler Karl Stauffer-Bern, ein Lehrer Käthe Kollwitz‘. Dem wurde persönlich die Form als Ausdrucksmittel zwar immer wichtiger, so kam er in der Radierung zu großem Erfolg. Darüber hinaus begann er umzurüsten, mit der Absicht, Bildhauer zu werden und nach Rom aufzubrechen. Doch nun sollte er Gustav Freytag in Siebleben malen, immerhin für 4000 Mark Honorar, das er für den Rom-Aufenthalt gut gebrauchen konnte. Man trug Stauffer-Bern auf, im Bildnis von Gustav Freytag »den Mann absolut getreu festzunageln« (Max Jordan). Stauffer schrieb an seine spätere Geliebte Lydia Escher-Welti: »Freytag, (der seine Pflicht gethan und sein Pfunde gehörig hat wuchern lassen), ist ein Prachtmensch in des Wortes verwegenster Bedeutung, ein rüstiger Greis von 70 Jahren mit der Geistesklarheit eines Weisen und der Seele eines guten Kindes; das ist wieder einer, an dem der liebe Gott Freude haben muß, daß er so geraten ist, und ich freue mich, daß ich ihn malen kann. Ich werde mich nicht blamiren, soviel steht fest. In Beziehung auf bildende Kunst ist er außer Keller der einzige Schriftsteller, welcher ein so sicheres Urteil hat, als es der nicht selbst ausübende Maler haben kann. Es ist ein wahrer Staat, ihm zuzuhören.« Allerdings mache er, wie der Maler feststellt, »einen solch fürchterlichen ›Trümel‹ [schweizerdt. Sägeblock, P. A.], dass er unmöglich so gemalt werden kann«. Deshalb nutzte der Künstler 1887 zur Weiterarbeit eigene photographische Aufnahmen. Gustav Freytag, selbst Realist, bezeichnete am Ende des 19. Jahrhunderts den Realismus als »Signatur der Gegenwart«, erwartete jedoch, dass diese »erste Bildungsstufe sich nach allen Richtungen zu vergeistigen sucht«. In der Porträtkunst betonte Freytag mehrfach das Kriterium »Ähnlichkeit« und fügte mit Ironie hinzu: »etwa 5 Jahr älter sich das Object im Aussehn schätzt. Das kam von dem sorgfältigen Detail.« Auch ein Freund Stauffers fand das Porträt »sehr ähnlich und auch in der Farbe viel individueller als die früheren Arbeiten« (Peter Halm). Befremdlich fand Freytag das Ende der Porträtsitzungen: »Am letzten Tage machte er dicke Striche in das Gesicht, zog blitzschnell eine große vernichtende Locke über das ganze Bild, und erklärte, er wolle ein besseres malen. Nach einem Monat Sitzungen!« Rückblendend sagte Freytag dazu: »Dem Maler machte die Farbe viel zu schaffen, den seelischen Ausdruck der bewegten Züge vermochte er nicht mit derselben Sicherheit zu finden«, und zog die völlig richtige Einschätzung, dass »der Maler zu denen gehört, die sich selbst nicht Genüge thun können«, vielleicht weil er den Porträts Dürers und Böcklins als Vorbildern nachstreben wollte. In Berlin wurde das wiederhergestellte Freytag-Porträt mit »hoher Befriedigung vom Minister abgenommen« (Karl Stauffer-Bern) und als »die höchste Leistung Stauffers als Porträtist« (Georg Jacob Wolf) bezeichnet. Die Nationalgalerie zeigte das Bild bis vor kurzem und hängte es in diesem vergessenen Jubiläumsjahr ab. Ausstellung: »Verehrt und vergessen – Zum 200. Geburtstag des Schriftstellers Gustav Freytag«, Schloss Friedenstein Gotha. Historisches Museum, Spiegelsaal der Forschungsbibliothek. 10. Juli bis 25. September, Di-So 10–17 Uhr. Literatur: Hans-Werner Hahn, Dirk Oschmann (Hg.): »Gustav Freytag (1816-1895). Literat – Publizist – Historiker«, Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Thüringen, Kleine Reihe, Bd. 48, Böhlau Verlag, 295 Seiten, 40 €
Erschienen in Ossietzky 14/2016 |
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