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Also hieß und heißt es, ihr Renommee irgendwie zu relativieren. So tagte auch Ende Mai 2016 die Internationale Wissenschaftliche Konferenz, die traditionsgemäß anlässlich der Festspiele im Händel-Haus stattfindet, und wurde, neben Erörterungen zum Werk Händels, wieder einmal zum Schauplatz eines kalten ideologischen Krieges. Das Konferenzthema lautete »Mythos Aufklärer – Mythos Volk? Zwei Topoi der Händel-Rezeption und ihre Kontexte«. 14 Referentinnen und Referenten würden »neue wissenschaftliche Erkenntnisse« zu diesen beiden mit Fragezeichen versehenen »Topoi der Händel-Rezeption« diskutieren. So »neu« waren denn die dazu vorgebrachten »Erkenntnisse« nun auch wieder nicht, falls überhaupt von »Erkenntnissen« die Rede sein kann, wo mechanisch die seit 25 Jahren laufende Anti-DDR-Kampagne nach gewohntem Muster mehr oder eher minder historisch exakt auf die Händel-Pflege der DDR projiziert wird. Das hat Matthias Krauß in der junge Welt vom 4. April mit seinem Artikel »Die Methoden der Aufarbeiter. Die Verfahren staatlich geförderter Einrichtungen zur Fälschung der DDR-Geschichte« treffend beschrieben. Wer sind die Veranstalter? Zuerst die Stiftung Händel-Haus Halle, dann das Institut für Musik/Abteilung Musikwissenschaft der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, selbstverständlich die Internationale Vereinigung Georg-Friedrich-Händel-Gesellschaft, aber auch das Interdisziplinäre Zentrum für die Erforschung der Europäischen Aufklärung. Gefördert wurde die Konferenz von der Deutschen Forschungsgemeinschaft und dem International Office der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Allerdings dienen diese Tagungen unter anderem seit Jahren den Protagonisten einer »Forschungsgruppe ›Grundlagenforschung zur Rezeptionsgeschichte Händels in den Diktaturen Deutschlands‹« bei der Stiftung Händel-Haus, die von der Bundeszentrale für politische Bildung und vom Bundesbeauftragten für Kultur und Medien gefördert wird. 2013 wird die Zielsetzung als Auseinandersetzung mit »verschiedenen Formen der politischen Indienstnahme der Musik Händels speziell im DDR-Staat« charakterisiert. Klar, dass da »neue Erkenntnisse« schon von Vornherein nicht besonders überraschend ausfallen können. So brauchte Lars Klingenberg für sein Referat die Quellen auch nur hinsichtlich ihrer diesbezüglichen Verwertbarkeit zu durchfräsen, da sein ideologischer Kampf jede Differenzierung und sachliche Komplexität verschmäht. Tendenziös – so einseitig wie kaltherzig – referierte er das tragische Schicksal der Händel-Autorin Johanna Rudolph, die als Jüdin den Faschisten in die Hände fiel und dadurch Mitgenossen verriet, sowie das Lebenswerk des einstigen Präsidenten der Händel-Gesellschaft, Walther Siegmund-Schultze. Auf Nachfragen zu seinen diffamierenden Wertungen vermochte Klingenberg nichts Substanzielles vorzubringen. Dagegen hebt sich ein Text in den Mitteilungen Freundes- und Förderkreis des Händel-Hauses zu Halle e. V. (1/16) ab, den der einstige Leiter des Händel-Hauses, Edwin Werner, über den zwar widersprüchlichen, doch um die Händel-Renaissance in der DDR hochverdienten Siegmund-Schultze verfasst hatte. Filmautor Olaf Brühl (»Händel in Rom«, ZDF/3sat 2006) entgegnete mit einem leidenschaftlichen Statement, in dem er die Nähe der antisozialistischen Konferenzausrichtung zur Militarisierung von Forschungen an der Universität Halle-Wittenberg bemerkte (vgl. junge-Welt-Artikel vom 7.11.2015 und 23.5.2016). Er solidarisierte sich mit Initiativen von Studenten des Arbeitskreises Zivilklausel an der Martin-Luther-Universität, eine Antimilitarisierungsklausel zu installieren und deutschgermanische Kriegerdenkmale vom Campus zu entfernen. Im Zentrum seines Vortrags stellte Brühl Musiklehrbücher der DDR vor und dazu den gegenwärtigen Sozial- und Kulturabbau ins Verhältnis. Teile des Publikums atmeten erleichtert auf und dankten Brühl für seinen Mut. Der ließ auf einem Handout seinen Protest gegen die Händel-Konferenz 2013 verteilen, in dem er Thomas Mann (1945 an David McCoy) zitierte und aus aktuell gegebenem Anlass auf die Gegenwart übertrug: »Den russischen Kommunismus mit dem Nazifaschismus auf die gleiche moralische Stufe zu stellen, weil beide totalitär seien, ist bestenfalls Oberflächlichkeit, im schlimmeren Falle ist es – Faschismus. Wer auf dieser Gleichstellung beharrt, mag sich als Demokrat vorkommen, in Wahrheit und im Herzensgrund ist er damit bereits Faschist und wird mit Sicherheit den Faschismus nur unaufrichtig und zum Schein, mit vollem Hass aber allein den Kommunismus bekämpfen.« Da passte der Vortrag der Musikhistorikerin Juliane Riepe am zweiten Tag lupenrein. Sie bot ihre »Forschungsergebnisse« über die politische Instrumentalisierung des »Topos Volk« in »den zwei Diktaturen« dar. Riepe versuchte in ihrem Vortrag mit Pseudo-Sachlichkeit die hanebüchene Gleichsetzung von Inszenierungen des Nazi-Faschismus mit solchen der DDR zu behaupten. So präsentierte sie unter anderem ein Foto, das Furtwängler mit den Berliner Philharmonikern vor Arbeitern in einer Fabrik der Kriegsindustrie zeigt und ein anderes aus DDR-Zeiten, wo Künstler in einem Volkseigenen Betrieb der Fünfziger Jahre Händel musizieren. Kommentar: »So machen das Diktaturen immer.« Wenn Bilder sich gleichen, bedeutet es noch lange nicht Gleiches, wissen schon Anfänger im Fach Medienkritik; aber die bürgerlichen Wissenschaftler schien das nicht weiter zu stören. Riepe ignorierte komplett die geschichtliche Rolle des Faschismus, der mit der NSDAP gezielt Symbole und Traditionen linker Arbeiterbewegung adaptierte, um sie in imperialistischen Interessen gegen die Interessen der Arbeiterschaft zu führen. Riepe folgte mit ihrer »Beweisführung« dem Schema: Herzinnige Feindseligkeit gegen alles Sozialistische, tiefer Antikommunismus, der jede historische Wahrnehmung ausschaltet, hebt die Perspektive für Raum und Zeit auf, verschleiert Sinn und Ziele. Das Wissenschafts-Auditorium schwieg fein still. Leider schien Olaf Brühl aus Protest gegen die Rechtsausrichtung der Versammlung bereits abgereist gewesen zu sein, viele andere hatten gar nicht erst teilgenommen. Händel-Konferenz in der Talsohle. Wer die Geschichte nicht kennt und von Ökonomie und Politik nichts versteht, kann sie nicht interpretieren. Ministerpräsident Reiner Haseloff sicherte bei der Eröffnung der Händel-Festspiele deren Finanzierung für die nächsten Jahre zu, denn, so Haseloff, »Händel ist eine Marke«. Mehr fällt dem Kapitalismus im Stadium des Neoliberalismus zu Händel halt auch in Halle nicht mehr ein. Ob das kein brennenderes Thema für eine Wissenschaftskonferenz während der Festspiele gewesen wäre?
Erschienen in Ossietzky 14/2016 |
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