Impressum Plattform SoPos |
Schockschwerenot! Der von Ihnen benutzte Internetbrowser stellt Cascading Style Sheets nicht oder - wie Netscape 4 - falsch dar. Unsere Seiten werden somit weder in dem von uns beabsichtigten Layout dargestellt, noch werden Sie diese zufriedenstellend lesen oder navigieren können. Wir empfehlen Ihnen nicht nur für unsere Internet-Seiten, auf einen anderen Browser umzusteigen - z.B. Netscape 6/Mozilla, Opera, konqueror. Kafka – von »Ballast« befreitMonika Köhler Warum müssen die Dorfbewohner so aussehen? Unförmige Monster, aufgequollen, mit Riesenbäuchen und -schenkeln, ungepflegt – irgendwelchen Comicfiguren ähnelnd, die man wohl kennen muss. Wir sitzen in einer Inszenierung von Kafkas Romanfragment »Das Schloss« im Hamburger Thalia Theater. Regie führte der Hausregisseur Antú Romero Nunes. Bewunderungswürdig abschreckend die Kostüme, die Teil der Dorfbevölkerung sind: Fleischkreationen (wohl aus Plastikmasse). Geschaffen von Victoria Behr, die sonst mit Herbert Fritsch zusammenarbeitet. Wollte Nunes dem Erfolgsregisseur nacheifern? Comic und Pantomime beherrschen drei Viertel der Aufführung, genauso wie das Dauergelächter im Publikum. Slapstick auf der Drehbühne – alles kommt wieder, also bleibt so, wie es ist. Groteske Szenen, die gibt es auch bei Kafka, manchmal. Aber alle Menschen deformiert, Underdogs? Eine Alte, gebückt, die den Boden absucht – die Leute lachen. Sie lachen auch noch, wenn sie beschimpft werden von der Bühne herab. Nicht direkt. Wer fehlt in der Dorfgemeinschaft: der Landvermesser K. Der von außen kam und nicht hierher gehört: »Sie sind nicht aus dem Schloss, Sie sind nicht aus dem Dorfe, Sie sind nichts.« K. will in die Dienste des Schlosses, was unmöglich scheint. »Wir brauchen keinen Landvermesser«, ruft der Lehrer mit überdimensioniertem Hinterteil und Stock. »Meine Herren«, sagt die dicke Olga im hellblauen Tüllkleid – und sie meint die Beamten dort –, »sind unfähig, den Anblick eines Fremden zu ertragen.« Aha, diese verschworene Gemeinschaft, debil oder nicht, die gibt es doch heute noch. Oder schon wieder. Aber wo ist K.? Langsam kommt die Erkenntnis, dass es den Landvermesser gar nicht gibt – er sitzt im Publikum – er ist das Publikum. Schön abgehoben von den Dorfdeppen. Die Erlaubnis, die K. benötigt, um im Dorf zu übernachten – die Zuschauer brauchen sie nicht. Das Schloss ist eine gigantische Behörde mit tausend Ohren und Armen: Angestellte, Helfer, Aufsteiger – abgeschottet. Die Devise: »Gastfreundschaft ist bei uns nicht Sitte, wir brauchen keine Gäste.« Hinten auf der dunklen Bühne wird sich geprügelt – oder ist das eine »Gruppenvergewaltigung« wie es die Zeit erkennt? Immer wieder viel Nebel. Eine wirkliche Sexszene zeigt Frieda – die einen Kontakt zum Schloss hat, weil sie als die Geliebte des wichtigsten Beamten Klamm gilt – im imaginären Geschlechtsverkehr mit dem Landvermesser K. Also mit dem gesamten Publikum. Dann eine Gemeindesitzung. Der Vorsteher im Jägerlook. Beisitzer und Mizzi, die hereinschwebt im unsichtbaren Rollstuhl, unhörbar. Ein riesiger Reifrock darüber, keine Arme – nur Volumen mit blauer Schleife. Wie soll sie die gewünschte Akte finden? Es kracht nebenan, alle Sitzungsteilnehmer wenden sich stumm dorthin, ein choreographischer Regieeinfall. Kein Suchen nach den verstreuten Akten wie bei Kafka. Das Verlangte bringt Mizzi mithilfe ihres Mundes. Warum das alles? Und wieder dieser Satz: »Wir brauchen keinen Landvermesser, unser Land ist vermessen.« Dann etwas völlig Neues, ein zweiter Teil: eine Schultheateraufführung – alle tragen bunte Schirmmützen. Sechs Schüler und Schülerinnen proben Kafkas »Schloss« – so albern wie vorher, jetzt im Sprechgesang. Hier gibt es den Landvermesser real, der sich als Schuldiener verdingt. Er soll die Räume heizen, nur tagsüber. Hat er den Holzschuppen angezündet? Der Lehrer in karierter Jacke und mit Riesenarsch, er schwingt seinen Stock, brüllt und schlägt. Vor allem den, der nicht hierher gehört: K. Der liegt auf dem Boden, wird bearbeitet. Seine Fettwanst-Kleider werden abgerissen, darunter erscheint ein schmales blasses Bürschchen, fast nackt (Mirco Kreibich, nun erlöst und gelenkig). Endlich ein Mensch? Nein. Er wird neu geboren als Tier. Verwandelt. Hier hat unmerklich der dritte Teil begonnen. Gregor Samsa ist im Stück eingetroffen. Er prüft seine Glieder, streckt sie von sich nach oben, alle viere, auf dem Rücken liegend, hilflos. Ein Käfer – im »Schloss«? Langsam dehnt er sich, kriecht rückwärts, ein zartes Insekt. Stößt hinten an Metall. Dort sind Türme errichtet aus Stahlstangen, ein Gerüst. Er erklimmt es behände und versucht, im Nebel etwas zu erkennen: das Schloss? Auch die Dorfbewohner bemühen sich, diese Höhen zu erreichen, schwerfällig in ihrer Körperlichkeit. Zu Frieda gewandt fragt K, ob sie nicht mehr wisse, »wie um das Vorwärtskommen gekämpft werden muss, besonders wenn man von tief unten herkommt«. Von oben erscheint eine Lichtgestalt, engelgleich. Am Seil lässt sie sich herab, landet neben K. Einer vom Schloss, ein Abgesandter? Dass der Landvermesser einschläft bei dessen Rede, ist sie ein Gesang, der jiddisch klingt? K. wird aufgenommen von starken Armen, die ihn tragen. »Schlaf nur fein«, singen sie. Er folgt dem Gesang, was sein Unglück ist. Nun, so heißt es, wird ihm kein Wunsch erfüllt. Er ist auf sich selbst gestellt, muss »sofort das Gebiet verlassen«. Die Straße zum Schloss führt ins Leere. Der Mensch K. läuft und kommt nicht vom Fleck. Leise rieselt der Schnee. Sehr symbolisch, dieser dritte Teil. So, als hätte der Regisseur gedacht: ein bisschen Metaphysik muss noch rein. Kafka von »einigem Ballast befreit«, jubelte das brave Hamburger Abendblatt. Kafka wäre weniger amüsiert.
Erschienen in Ossietzky 13/2016 |
This page is hosted by SoPos.org website
<http://www.sopos.org> Contents copyright © 2000-2004; all rights reserved. Impressum: Ossietzky Maintained by webmaster@sopos.org |