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Der Blick der Moderne« in der Hamburger Kunsthalle (bis 4. September, Katalog 256 Seiten, 24 €) konzentriert sich auf den Ausdruck der Dargestellten, auf die Augen. Sie scheinen die Besucher zu fixieren. Das war es auch, was im 19. Jahrhundert Bürger und Kritiker irritierte: der freche, ungenierte Blick der Kokotten, dem nicht auszuweichen war. Der Bettler sieht aus leicht zugekniffenen Augen auf uns herab – argumentierend? Sein Pendant hängt an einer Seitenwand, ein Gemälde von Diego Velázquez: der Philosoph »Menippus« (1639/40). Manet sah im Prado dieses Bild und wollte Ähnliches schaffen. Die Unterschiede zu studieren ist in Hamburg nun möglich. Die Hamburger Kunsthalle besitzt schon lange drei Bilder von Manet. Nun sind es für kurze Zeit über vierzig. Warum sie die Kritiker damals so aufregten, dass Bürger sogar mit ihren Spazierstöcken gegen die Gemälde vorgingen, ist heute kaum zu verstehen. Wichtig für die Künstler waren die jährlich stattfindenden Ausstellungen, die »Salons« im Paris des 19. Jahrhunderts. Viele Gemälde, die Manet einsandte, wurden nicht angenommen oder verursachten Skandale – so das »Frühstück im Freien« oder »Olympia« (beide 1863). Nicht allein die Nacktheit provozierte. Wie Manet die Modelle (oft bekannte Bühnensternchen) darstellte und wie sie die Besucher mit dem Blick festnagelten – das war nicht zu ertragen. Die »Nana« (1877) wurde als zu groß und dadurch empörend empfunden – für das intime Thema. Sie steht selbstbewusst im Mittelpunkt des Bildes, im Unterrock und zartblauem Korsett, die Puderquaste in der Hand vor dem Spiegel – wie überrascht, aber ganz lässig. Ihr Galan mit Zylinder auf dem Sofa ist nur halb zu erkennen. Er blickt zu ihr. Manet fügte nach dem Lesen von Emile Zolas Roman »Der Totschläger«, in dem schon die Wäscherinnentochter Nana erscheint, die Figur des wartenden Mannes hinzu. Nana sieht aus dem Bild heraus direkt in die Augen aller. Auffordernd? Das Gemälde wurde vom Salon 1877 als »indécente« (anstößig) zurückgewiesen. Manet stellte es dennoch aus, im Schaufenster eines Luxuswarengeschäfts. Die Gaffer fühlten sich als Voyeure. Manet hatte viele Kritiker, die ihn beschimpften und in Karikaturen verspotteten – aber auch Freunde. Emile Zola gehörte dazu. Er verteidigte seinen Freund in der Zeitschrift L´Événement und musste daraufhin seine Mitarbeit dort einstellen. Doch selbst ein Sammler der Werke Manets wie Theodore Duret, der die erste Biografie über ihn schrieb, war unsicher dem Hohn der Kritiker gegenüber. Auf dem Porträt, das Manet von ihm machte, prangte der Schriftzug des Malers auf hellem Untergrund, gut sichtbar. Das war unangenehm, zu deutlich. Duret bat Manet, das zu ändern. Der drehte die Schrift auf den Kopf und ergänzte das Bild durch boshafte Kleinigkeiten. Eine Zitrone auf einem Tischchen, ein Buch (von Duret) achtlos auf den Boden geworfen. 1870 duellierte sich Manet sogar mit dem Kritiker Edmond Duranty, der dabei verwundet wurde. Henri Rochefort, Journalist und Politiker, gehörte zuerst zum linken Flügel der Republikaner, später stand er weit rechts, war ultranationalistisch und Antisemit. Ein zwiespältiger Mensch, was Manet in sein Porträt von 1881 einfließen ließ. Mit verschränkten Armen, die ihn abschotten sollen, sieht er in die Ferne, mit abgewandtem Kopf. Das graue Haar wie weggeweht vom Sturm. Das Porträt des Antonin Proust von 1880 zeigt einen etablierten Großbürger im Gehrock und mit Zylinder, eine Hand in die Hüfte gestemmt, die andere am Spazierstock, gelbe Handschuhe. »Seht mich an. Ich hab es geschafft« zeigt sein Gesichtsausdruck, sagen seine Augen. Bald danach wurde er Kulturminister und verhalf Manet zur Aufnahme in die Ehrenlegion – gegen viele Widerstände. Ein Gegenbild zu diesem Proust: der »Künstler, Marcellin Desboutin« (1875). Dieses fast zwei Meter große Bild hängt links vom »Maskenball«, der von Zylindermännern wimmelt. Rechts ein lebensgroßes Bild der »Pariserin«. Vor dem undeutlichen grauen Hintergrund steht sie im eleganten schwarzen Kleid mit Hut – wie aus dem Modejournal. Desboutin auf der linken Seite, ein verarmter Adliger, der Gedichte und Dramen schrieb, malte und – nach einer Erbschaft – in einer Villa in Florenz italienische Kunst sammelte. Nach Fehlspekulationen ging er zurück nach Paris, musste nun mit Radierungen seinen Unterhalt verdienen (einige in der Kunsthalle). Das Gemälde zeigt ihn in derangierter Jacke und Hose. Der Hut verbeult, lange Haare, wildwuchernder Bart, ein lässig gebundenes Halstuch, in den Händen ein Tabakbeutel – hell wie sein großer Hund, der aus einem Trinkglas schlabbert. Wunderbar, wie das Licht das Fell umschmeichelt, fast eine Glorie. Der Blick des Künstlers geht in die Weite, etwas müde, melancholisch. Manet hat sich eher mit dem Dandy Antonin Proust, dem Flaneur in tadelloser Kleidung, identifiziert – ein anerkanntes Mitglied der guten Gesellschaft. Aber ein bisschen Bürgerschreck musste sein, um bekannt zu werden. Das Auftragsbild eines Kindes, der achtjährigen Lise Campinéanu (1878). Zart und blond, in hellblauer Bluse mit Spitze, die eine Schulter frei. Ein Blick aus großen blauen Augen, träumerisch, aber gleichzeitig wissend. Der Mund, fast skeptisch. Wie eine kindliche Nana. Kümmerte sich Manet um seine Modelle? Ein Bild von 1858 zeigt einen halbwüchsigen Jungen ohne Namen. Blond, mit roter Mütze, hebt er sich von dem dunkelbraunen Hintergrund ab. Er lehnt sich über eine Mauer, in den Händen: Kirschen. Aus einer »aufgerissenen Tüte«, so im Katalog. Es sind Kohlblätter, in die er die Früchte gewickelt hat. Dieser Junge in löchriger Jacke hatte sicher kein Geld, um sich Kirschen zu kaufen. Er diente Manet als Gehilfe beim Pinselwaschen. Seine braunen Augen sehen uns an, intensiv – um den Mund ein bitterer Zug. Im Katalog wird die »barocke Sinnlichkeit« hervorgehoben. Das aber nicht: Das Bild war noch nicht fertig, da fand man den Jungen eines Morgens erhängt im Atelier. Er sei depressiv gewesen heißt es. Manet zog daraufhin in ein anderes Studio. Der Junge hatte einen Namen, er hieß Alexandre.
Erschienen in Ossietzky 12/2016 |
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